Regresse

KVN fühlt sich missverstanden

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Ein Chirurg in Niedersachsen drohte in die Regressfallen zu rutschen: Um 200 Prozent war sein Budget überschritten. Von der KV fühlte er sich nicht unterstützt - die wiederum fühlt sich völlig falsch verstanden.

HANNOVER (cben/maw). Das hat die KV Nidersachsen (KVN) auf die Barrikaden getrieben: "Chirurg in der Regressfalle", lautete Mitte Juli ein Beitrag in der "Ärzte Zeitung", der von einem niedergelassenen Chirurgen berichtet, dem drohte, in die Regress-Mühlen der KVN zu geraten.

"Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen fordert die Abschaffung der Regresse!", reagierten KVN-Vorsitzender Mark Barjenbuch und dessen Vize Dr. Jörg Berling in einem Leserbrief.

Anstoß nahmen sie konkret an der im Bericht publizierten Aussage des Chirurgen zu der Pflicht, sich vor einem Regress bei seiner KV beraten zu lassen.

Mit seinen Physio- und Ergotherapie-Verordnungen hat er das Budget um 200 Prozent überschritten und solle nun eine viertel Million Euro Regress bezahlen.

"Das Ganze war aber keine Beratung, sondern eine Belehrung und ist als Verunsicherung gemeint, als Schuss vor den Bug", ärgerte sich der Chirurg in dem Beitrag.

Die KVN-Funktionäre halten hier gegen: "Bis es so weit (Abschaffung der Regresse, Anm. d. Red.) ist, müssen wir uns wohl oder übel der Pflicht stellen, unsere Mitglieder vor Schäden und Risiken durch Regresse zu bewahren. Um nichts anderes ging es in unserer Briefaktion. Sie war ein frühzeitiger Hinweis an alle Ärzte, die im Begriff sind, ihre Budgets zu überziehen: ‚Passt auf - lasst euch beraten - die KVN hilft euch, den Schaden zu begrenzen.‘ Unbegreiflich, dass dieses Hilfsangebot als Drohung und Anmaßung wahrgenommen wird."

Die KVN will ihre Mitglieder also auch in Zukunft schriftlich vor drohenden Regressen warnen. Das betonte auch KVN-Sprecher Detlef Haffke auf Nachfrage der "Ärzte Zeitung".

Regressgefahr aus den Augen verloren

"Jedenfalls werden wir es so lange tun, wie Regresse, die auch wir kritisieren, gesetzlich vorgeschrieben sind", wiederholt Haffke die Position der KVN.

Im Frühjahr hatte eine Briefaktion der KVN Aufsehen erregt. In mehr als 2000 Schreiben hatte die KVN Kollegen vor der Überschreitung ihrer Arzneimittel- und/ oder Heilmittelbudgets gewarnt.

"Wir warnen sozusagen vor dem Blitzer", so Haffke. "Die Mitglieder sollen sehen, wo sie stehen. Wir wollen, dass bei unseren Mitgliedern die Überschreitung der Budgets nicht einreißt und sie ohne es zu wissen in die Regresse geraten."

Im April hatte die KVN genau 817 Praxen im Land schriftlich mitgeteilt, dass sie für das Jahr 2011 voraussichtlich mit einer Richtgrößenprüfung bei den Arzneimitteln rechnen müssen. Bei den Heilmitteln sind sogar 1471 Praxen betroffen und entsprechend informiert worden.

Seit Anfang 2011 können Niedersachsens Vertragsärzte unter drei Bedingungen den Richtgrößenprüfungen entkommen: Entweder bleiben die Gesamtausgaben für Arzneimittel prozentual mindestens 0,1 Prozent unter dem Bundesschnitt, oder es werden vereinbarten Zielwerte für zwölf Leitsubstanzen eingehalten.

Werden beide Ziele verfehlt, kann immer noch der einzelne Arzt den Kopf aus der Schlinge ziehen, wenn er diese Zielwerte individuell in seiner Praxis einhält.

Laut Haffke "haben offenbar viele Ärzte die Regressgefahr aus den Augen verloren, weil in den vergangenen Jahren keine Richtgrößenprüfungen vorgenommen werden mussten."

Information - unbedingt geboten

"Mehr als die Hälfte der angeschriebenen Praxen hat das Beratungsangebot der KVN angenommen", erklärt Haffke. Die KV verfügt landesweit über sieben speziell ausgebildete Beratungsärzte.

In den Gesprächen seien zum Teil auch Beratungsapotheker dabei, so Haffke. "Arzt und Beratende suchen nach Alternativen in der Verordnung, machen aber zum Beispiel auch klar, dass die Medikamentenpreise bekannt sein sollten, wenn das aut-idem-Kreuz gesetzt wird."

Bis heute seien noch nicht alle Beratungen abgeschlossen - aus verschiedenen Gründen, hieß es. Die Kapazitäten vor allem in den großen Bezirksstellen der KVN, etwa in Hannover, sind begrenzt und nicht alle anfragenden Kollegen verfügen über eine sofort abrufbare Buchführung.

"Eine Reihe von Mitgliedern muss zunächst ihre Verordnungsdaten sammeln, das kostet Zeit", so Haffke.

Die Regresswarnung der KVN hatte in Niedersachsen erhebliche Irritationen ausgelöst, dass die KV sich sogar genötigt sah, ihr Vorgehen zu erklären.

"Die KV hielt diese Informationen (...) unbedingt für geboten, um die Einhaltung des Regionalpakets für das laufende Verordnungsjahr 2012 nicht zu gefährden", schrieb die KVN dann unter dem Titel "Vollbremsung" im "niedersächsischen Ärzteblatt" (Juni).

Und dabei soll es auch bleiben. "Wir werden weiterhin Briefe als Regress-Prophylaxe verschicken", betont Haffke.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 04.08.201212:36 Uhr

Kollektiv- und Sippenhaftung vs. vorauseilender Gehorsam

Genau das ist aber eigentliche Intention und zugleich Problem der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und hier speziell der Führung der KVN: V o r a u s e i l e n d e r G e h o r s a m !

In dem Regressandrohungen der "Gemeinsamen Prüfungsausschüsse" von KV- und Kassenvertretern formuliert und massenweise verschickt werden, setzt dies Vertragsärzte unter Druck, n i c h t patienten- bzw. krankheitsorientiert nach medizinisch-ärztlichen, sondern rein nach wirtschaftlichen Kriterien zu operieren.

Niedersachsens Vertragsärzte könnten seit 2011 Richtgrößenprüfungen unter drei Bedingungen entkommen:
Die Gesamtausgaben für Arzneimittel bleiben m i n d e s t e n s 0,1 Prozent unter dem Bundesschnitt oder vereinbarte Zielwerte für zwölf Leitsubstanzen werden eingehalten. Ein klarer Fall von juristisch bedenklicher Kollektiv- und Sippenhaftung einer ganzen Berufsgruppe in dem Fall, dass sie sich nicht gefällig gegenüber der KVN verhält. Die dritte Möglichkeit einem Regress zu entgehen, ist die Einhaltung der individuellen Zielwerte in der einzelnen Praxis. Womit wir wieder beim vorauseilenden Gehorsam wären.

Manche Chirurgen und Orthopäden, aber auch Allgemeinärzte bzw. GKV-Nebenerwerbs-, Hobby- oder Freizeitpraxen drücken massiv den Durchschnitt ihrer Heil- und Hilfsmittelverordnungen oder verweigern sich ganz. Engagierte Kolleginnen und Kollegen, die gegenläufig weniger Medikamente geben als rehabilitierende und aktivierende Maßnahmen der Physikalischen Therapie bzw. stabilisierende Hilfsmittel, haben das Nachsehen. Obwohl sie damit schneller Restitution und Arbeitsfähigkeit erreichen könnten.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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