Beschlossen

Kabinett zündet Pflegereform

Angela Merkels Ministerrunde hat der Pflegereform ihren Segen gegeben. Aber so richtig Einigkeit herrscht selbst in der Koalition noch nicht.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Mehr Hilfen bei der Alltagsbewältigung verspricht die Pflegereform.

Mehr Hilfen bei der Alltagsbewältigung verspricht die Pflegereform.

© LyriX / fotolia.com

BERLIN. Demenzkranke sollen ab Januar ein Stück weit mehr Zugang zu Leistungen der sozialen Pflegeversicherung haben als heute. Das hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) am Mittwoch angekündigt. Zuvor hatte das Bundeskabinett den Entwurf einer Pflegereform gebilligt.

Der offizielle Name des Reformwerkes lautet nun "Pflegestärkungsgesetz 1". Dafür sollen die Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,3 Prozentpunkte angehoben werden. Dies bedeutet Mehreinnahmen von rund 3,6 Milliarden Euro im Jahr.

Ein wesentlicher Baustein der Reform soll die Flexibilisierung der bislang nur schwer zu kombinierenden Kurzzeit-, Verhinderungs-, Tages- und Nachtpflege werden. Diese Leistungen sollen zusammengefasst und ausgebaut werden, um vor allem den pflegenden Angehörigen das Leben zu erleichtern. Erstmals sollen ab Januar auch Demenzkranke Zugang zu diesen Leistungen erhalten.

Dies gilt auch für niedrigschwellige Angebote wie Hilfen im Haushalt, Begleitung im Alltag oder den Einsatz ehrenamtlicher Helfer. Bis zu 208 Euro im Monat sollen an einer Demenz erkrankte Menschen dafür erhalten.

Vollständig in die soziale Pflegeversicherung eingegliedert werden sollen Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz jedoch erst mit dem Pflegestärkungsgesetz 2. "Wir geben da richtig Gas", sagte Gröhe nach der Kabinettssitzung. Ziel sei, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff in dieser Legislaturperiode umfassend umzusetzen.

Kritikern geht die Reform zu langsam

Der derzeit geltende Fahrplan sieht vor, nach einer Erprobungsphase im laufenden Jahr und der Gesetzgebung im kommenden bereits 2016 mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu beginnen. Dafür sollen spätestens 2017 die Beiträge zur Pflegeversicherung um weitere 0,2 Prozent steigen.

Das geht Sozialverbändenund der Opposition im Bundestag zu langsam. "Ein echter Skandal ist die weitere Verschleppung des neuen Pflegebegriffs", sagte die pflegepolitische Sprecherin der Linken, Pia Zimmermann.

Die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs gehe viel zu zögerlich voran", kritisierte die Präsidentin des VdK, Ulrike Mascher. Demenzkranke seien immer noch Pflegebedürftige zweiter Klasse.

Stein des Anstoßes ist der geplante Vorsorgefonds in der sozialen Pflegeversicherung, der jährlich mit rund 1,2 Milliarden Euro gespeist werden soll. Dieses Geld fehle für die sofortige Verbesserung der Pflegebedingungen demenzkranker Menschen, heißt es bei seinen Gegnern.

Die Reaktionen in der Koalition auf den ersten Vorsorgefonds in der Sozialversicherung sind kontrovers. "Heute zeigt sich: Die große Koalition kann auch Generationengerechtigkeit", kommentierte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), den Kabinettsbeschluss. Der Fonds schütze Beitragszahler und Pflegebedürftige ab 2035 gleichermaßen vor Überforderung.

Kritik auch am geplanten Fonds

Spahns Pendant in der SPD-Fraktion, Hilde Mattheis, sprach dagegen von einem "schmerzlichen Kompromiss". Sie hätte das Geld lieber in die Verbesserung der Pflegeinfrastruktur und in die Ausbildung von Pflegekräften gesteckt. Das Geld in einem Fonds anzulegen, rechne sich nicht.

Vor zu hohen Erwartungen an den Fonds warnte auch AOK-Chef Jürgen Graalmann. "Zumindest braucht der Fonds eine verlässliche Finanzprognose", sagte Graalmann. Der Bremer Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang hatte darauf hingewiesen, dass der Fonds künftige Beitragsanstiege kaum dämpfen könne.

Teile der Pflegereform werden nicht im Gesundheits- sondern im Familienministerium ausgearbeitet. Das gilt zum Beispiel für eine neue Lohnersatzleistung für Arbeitnehmer, die in einer akut auftretenden Pflegesituation eine Auszeit benötigen. Sie werde noch in diesem Jahr dazu einen Gesetzesentwurf auf den Weg bringen, hat Familienministerin Manuela Schwesig angekündigt.

Geplant ist auch, die bislang getrennten Ausbildungsgänge von Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege durch eine gemeinsame Grundausbildung und anschließende Spezialisierungslaufbahnen zu ersetzen.

Dies steht für den GKV-Spitzenverband im Vordergrund. "Der Pflegeberuf muss attraktiver werden", sagte Gernot Kiefer, Vorstand des Verbandes. Dass viele Auszubildende noch Schulgeld zahlen müssten, sei ein Anachronismus, den sich das System bei der Personalknappheit in der Pflege nicht leisten könne.

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