Schnüffeln für die Sicherheit

Karlsruher Aussagen zu Ärzten wenig konkret

Wie weit reichen die Schnüffelbefugnisse des Bundeskriminalamts? Was bedeutet dies für das Verhältnis von Arzt und Patient? Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz ist ein gesellschaftlicher Offenbarungseid.

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Ein Leitartikel Martin Wortmann

KARLSRUHE. Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender des Ersten Senats, sprach bei der Urteilsverkündung von einer "Grundsatzentscheidung": Die bisherige Rechtsprechung zu staatlichen Überwachungsbefugnissen sei "zusammengeführt" und "fortentwickelt" worden.

Die Formulierung ist wohl nicht der Bescheidenheit des hohen Richters geschuldet, sie ist eine wohl bewusste Untertreibung. Denn erstmals in der deutschen Nachkriegsdemokratie darf die Polizei sich nicht nur um die Aufklärung bereits begangener Verbrechen kümmern.

In Gestalt des Bundeskriminalamts (BKA) darf sie auch vorbeugend lauschen, spähen und schnüffeln - Befugnisse, die vor 2009 nur die Geheimdienste hatten.

Hoch angesehene Politiker, allen voran der Altliberale Gerhart Baum, hatten dagegen geklagt, ebenso aber auch Rechtsanwälte, zwei Ärzte und ein psychologischer Psychotherapeut.

Mit seinem Urteil legt das Bundesverfassungsgericht Hand an das von ihm selbst erfundene und bislang sehr hoch gehaltene Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Man kann, ja, man muss das bedauern.

Zugeständnis an die Sicherheitslage

Zu kritisieren ist das Urteil deswegen nicht. Es ist ein leider notwendiges Zugeständnis an die Gefahren des Terrors, ein Offenbarungseid, den das Bundesverfassungsgericht hier letztlich für die gesamte Gesellschaft formuliert, ohne das Grundrecht auf Privatsphäre aus dem Auge zu verlieren.

Das BKA-Gesetz geht noch auf die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA zurück. Als es Ende 2008 verabschiedet wurde, waren die Bedrohungen durch den IS noch unbekannt.

Doch ohne die Anschläge von Paris und Brüssel wäre das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wohl anders ausgefallen. "Sicherheitslücken können wir uns angesichts der aktuellen Bedrohungslage nicht leisten", fasste BKA-Chef Holger Münch auf "Spiegel Online" zusammen.

Juristisch-nüchtern ist dies auch der erste Leitsatz der 120-seitigen Entscheidung: "Die Ermächtigung des Bundeskriminalamts zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen (…) ist zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus im Grundsatz mit den Grundrechten des Grundgesetzes vereinbar."

Erst danach folgen die Einschränkungen: Alles muss verhältnismäßig sein. "Besondere Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sowie einen Schutz von Berufsgeheimnisträgern" sind nötig.

Weiter verlangen die Karlsruher Richter mehr Transparenz, klare Löschungspflichten, einen besseren Rechtsschutz und vor allem eine unabhängige externe Kontrolle. Der Einsatz von Vertrauenspersonen oder verdeckten Ermittlern bedarf einer richterlichen Genehmigung.

Vage Ausführungen zu Ärzten

Was nun bedeutet dies für den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Ärzten und Patienten? Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts bleiben hier recht vage.

So fordern die Karlsruher Richter, dass es einen überwachungsfreien "Kernbereich privater Lebensgestaltung" geben muss. Selbst "überragende Interessen der Allgemeinheit" könnten hier Eingriffe nicht rechtfertigen.

"Geschützt ist insbesondere die nichtöffentliche Kommunikation mit Personen des höchstpersönlichen Vertrauens, die in der berechtigten Annahme geführt wird, nicht überwacht zu werden", heißt es hierzu in dem Urteil.

Zu diesen Vertrauenspersonen rechnen die Karlsruher Richter neben Ehe- oder Lebenspartnern sowie engen Freunden auch Strafverteidiger, Ärzte und Geistliche.

Daraus können sich Grenzen wohl weniger für die Erhebung, danach aber für die Speicherung und Verwendung von Erkenntnissen aus überwachten Arzt-Patient-Gesprächen ergeben, wenn dies wie gefordert künftig unabhängig kontrolliert wird. Gegebenenfalls muss deswegen auch eine Überwachung abgebrochen werden.

Strikterer Schutz nicht für Ärzte

Nicht geschützt sind dabei in der Regel Gespräche, bei denen es unmittelbar um Straftaten geht. Sogar hier macht das Bundesverfassungsgericht aber eine Ausnahme bei Gesprächen, die gerade dazu da sind, "ein Fehlverhalten einzugestehen oder sich auf dessen Folgen einzurichten".

Als Beispiele führt das Urteil "Beichtgespräche oder vertrauliche Gespräche mit einem Psychotherapeuten oder einem Strafverteidiger" auf.

Keinen höheren Schutz als bislang können Ärzte dagegen aus ihrem Status als "Berufsgeheimnisträger" ziehen. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit dieser Gruppe nur kurz. Das BKA-Gesetz räumt hier Abgeordneten, Geistlichen und Strafverteidigern einen höheren Schutz ein.

Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine Gleichbehandlung aller Anwälte, hat die Zweiteilung aber ansonsten gebilligt. Journalisten und auch Ärzte könnten einen "strikteren Schutz" nicht verlangen.

Az.: 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/99

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Kommentare
Hauke Gerlof 27.04.201619:17 Uhr

Die Beschwerde der Ärzte ist vor Verfahrensende beim Verfassungsgericht erloschen

Eine Klarstellung von Jürgen Hardt, der die Belange der Psychotherapeuten vor dem BVG in der Sache BKA-Gesetz vertreten hat, erreichte uns per E-Mail.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie berichten, wie so viele Medien, dass ein Arzt unter den Beschwerdeführern gegen das BKA-Gesetz gewesen sei. Das entspricht nicht den Tatsachen! Es stimmt zwar, dass anfänglich Herr Prof. Dr. med. J. Hoppe zum Kreis der Beschwerdeführer gehörte; nach seinem Tod 2011 ist aber seine Beschwerde "erloschen", wie mehrmals bei der Urteilsverkündung betont wurde.
Kein anderer Arzt hat sich der Beschwerde angeschlossen. Deswegen habe ich als Psychologischer Psychotherapeut und Psychoanalytiker die ärztlichen Belange mit vertreten und zwar sowohl bei der Präsentation der Beschwerde in der Bundespressekonferenz, 2009, an der Herr Hoppe kurzfristig nicht teilnehmen konnte, als auch besonders bei der Anhörung vor dem 1. Senat des BVG im letzten Sommer.
Ich fühlte mich dazu ermächtigt und gezwungen, weil erstens die Rechtslage für beide Berufsgruppen gleich sein muss und weil ich zweitens, selbst im Gericht, aber überwiegend in der Presse, als Arzt - Psychiater oder Nervenarzt - bezeichnet wurde.
Diese Verwirrung der Berufsbezeichnungen hat zwar bewirkt, dass auch die ärztlichen Belange bei der Urteilsfindung mit berücksichtigt worden sind, aber doch offensichtlich nur, weil ich als Nicht-Arzt die ärztlichen Belange mit vertreten konnte.
Ich bitte Sie, Ihre falsche Meldung zu berichtigen und den wahren Vorgang zu vermitteln. Das ist für die kommende, erforderlich Lobbyarbeit in Begleitung des aufwendigen Novellierungsprozesses von großer Bedeutung, denn wegen der Isomorphie der rechtlichen Belange in Bezug auf die absolute Vertraulichkeit ist es unbedingt notwendig, unsere Belange in Absprache und gemeinsam zu vertreten. Einen ersten Schritt dazu habe ich unternommen, den Sie anerkennen sollten.

Herzlich

Jürgen Hardt

--
Jürgen Hardt, Dipl.-Psych.
Psychologischer Psychotherapeut
Psychoanalytiker (DPV/DGPT)
Gründungspräsident PTK Hessen

Dr. Thomas Georg Schätzler 23.04.201623:18 Uhr

Karlsruher Aussagen zu Ärzten bei BKAG-Schelte mehr als konkret!

Ich habe die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Karlsruhe durchsucht und zu dessen Entscheidung zum Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) die folgenden Formulierungen gefunden:

"Die dem Bundeskriminalamt eingeräumten Befugnisse sind danach vom Grundsatz her nicht zu beanstanden. Wo sie jedoch - wie überwiegend - tief in die Privatsphäre eingreifen, unterliegen sie als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes übergreifenden Anforderungen an ihre Ausgestaltung. Insbesondere müssen Befugnisse auf den Schutz gewichtiger Rechtsgüter begrenzt bleiben und sind nur in den Fällen verfassungsmäßig, in denen eine Gefährdung dieser Rechtsgüter hinreichend konkret absehbar ist. Auf nichtverantwortliche Dritte aus dem Umfeld der Zielperson dürfen sie sich nur unter eingeschränkten Bedingungen erstrecken. Für Befugnisse, die typischerweise dazu führen können, in den strikt geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung einzudringen, bedarf es besonderer Schutzregelungen. Auch bedarf es eines hinreichenden Schutzes von Berufsgeheimnisträgern..."

Berufsgeheimnisträger sind im juristischen Sinne ausnahmslos alle, auf die der Schweigepflicht-Paragraph 203 StGB anwendbar ist. Das BVerfG hat sich nur zu Recht mokiert, dass das BKAG in seiner novellierten Form zwischen Strafverteidigern und "sonstigen Rechtsanwälten" unterscheiden wollte.

Ärztinnen und Ärzte spielen in der BVerfG-Entscheidung keineswegs eine untergeordnete Rolle!

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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