Urteil

Verfassungsrichtern geht Überwachungsgesetz zu weit

Das Bundesverfassungsgericht fordert schärfere Anwendungsgrenzen bei der Überwachung und einen besseren Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten. Überwachung sei nur zulässig, wenn sie "der Abwehr einer erheblichen Gefahr" diene.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe bei der Urteilsverkündung am Mittwoch.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe bei der Urteilsverkündung am Mittwoch.

© Deck / dpa

KARLSRUHE. Die mit dem Bundeskriminalamtsgesetz neu geschaffenen Überwachungskompetenzen sind grundsätzlich verfassungsgemäß, das zugrunde liegende Gesetz in weiten Teilen aber nicht.

Es bleibt dennoch in Kraft, der Gesetzgeber muss aber die konkrete Ausgestaltung nachbessern und den Kernbereich der Privatsphäre besser schützen, urteilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Inwieweit dies auch Ärzte betrifft, blieb vage.

Mit dem BKA-Gesetz erhielt das Bundeskriminalamt 2009 teils geheimdienstähnliche Befugnisse, erstmals auch für die vorbeugende Verbrechensbekämpfung.

Dies betrifft etwa die Überwachung in und außerhalb von Wohnungen, von Telefongesprächen oder das Ausspähen von Computern. Mit richterlicher Zustimmung darf das BKA auch verdeckte Ermittler einsetzen.

Arzt unter den Klägern

Hiergegen hatten mehrere Politiker geklagt, darunter der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), sowie Rechtsanwälte, ein Journalist, zwei Ärzte und ein psychologischer Psychotherapeut.

Mit seinem Grundsatzurteil erkennt das Bundesverfassungsgericht an, dass die Abwehr des internationalen Terrorismus eine "verfassungsrechtlich gewichtige Aufgabe" ist.

Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof sagte, dies rechtfertige "einen Zugriff auch auf die Privatsphäre von Personen, solange sie nicht den Kernbereich höchstpersönlicher Lebensgestaltung trifft."

Bei der konkreten Ausgestaltung habe der Gesetzgeber allerdings mehrfach das Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. Der private Kernbereich müsse besser geschützt werden. So sei die Wohnraumüberwachung nur bei konkret absehbaren Straftaten zulässig und müsse sich auf Gespräche der "Zielperson" beschränken.

Bei der Wohnraumüberwachung und auch bei der Ausspähung von Computern verlangten die Karlsruher Richter eine unabhängige Kontrolle durch "externe, nicht mit Sicherheitsaufgaben betraute Personen".

Urteil umfasst 120 Seiten

In seinem 120-seitigen Urteil fordert das Bundesverfassungsgericht auch einen besseren Schutz der "Berufsgeheimnisträger". Das Gesetz sieht einen generellen Schutz für Abgeordnete, Geistliche und Strafverteidiger vor, bei anderen Rechtsanwälten, Ärzten und Journalisten eine Abwägung im Einzelfall.

Das Bundesverfassungsgericht fordert eine Gleichbehandlung aller Rechtsanwälte, hält ansonsten die Differenzierung aber für rechtmäßig.

Eine Überwachung sei aber nur zulässig, wenn sie "der Abwehr einer erheblichen Gefahr dient". Bei psychotherapeutischen Gesprächen könne auch der absolut geschützte "Kernbereich privater Lebensgestaltung" berührt sein.

Konkretere Grenzen forderten die Karlsruher Richter schließlich auch für die weitere Speicherung und Verwendung der Daten und deren Übermittlung an andere Behörden.

Insgesamt bleiben die neuen Bestimmungen des BKA-Gesetzes vorerst in Kraft. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung müssen sie aber nach den Karlsruher Maßgaben angewendet werden.

Für seine Nachbesserungen gab das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber Zeit bis Ende Juni 2018.

Az.: 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/99

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