Europawahl: Kritische Stimmen aus der Gesundheitswirtschaft
Kliniken und Pharma mahnen fordern nach Rechtsruck in Europa mehr Wachsamkeit
Der große Anteil europakritischer, rechter Parteien im neuen EU-Parlament lässt die Pharmaindustrie um den Standort bangen. Die Kliniken mahnen zu einer Kurskorrektur in der Krankenhauspolitik.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin/Brüssel. Angesichts des im Nachgang zur Europawahl zu erwartenden Rechtsrucks im neuen EU-Parlament mahnen verschiedene Akteure aus Versorgung und Politik Durchhaltevermögen, aber auch Kurswechsel an. Dabei geht es nicht nur um Belange auf europäischer Ebene. Reaktionen im Überblick:
Pharma Deutschland: Der nach eigener Aussage mitgliederstärkste Pharmaverband Deutschlands fordert angesichts der Zugewinne EU-kritischer Parteien bei der Europawahl entschlossenes gesundheitspolitisches Handeln aller Parteien. Der Verband appelliere, wie es am Montag hieß, eindringlich an die zukünftigen Mitglieder des Europäischen Parlaments, sich entschlossen für eine starke, gerechte und wettbewerbsfähige europäische Pharmaindustrie einzusetzen.
Hauptgeschäftsführerin Dorothee Brakmann betont die entscheidende Rolle der EU in der Arzneimittelversorgung und fordert das europäische Parlament auf, an der Stärkung des Pharmastandorts Europa festzuhalten: „Die Zukunft Europas als Standort für Pharmaindustrie steht auf dem Spiel, wenn das neue Parlament nicht handelt, um eine sichere Gesundheitsversorgung in Europa zu gewährleisten und Innovationen voranzutreiben. Unsere Sorge ist, dass das wichtige Thema der Arzneimittelversorgung nicht europäisch gedacht wird.“
Pharma Deutschland fordert, dass die EU-Gesundheitspolitik weiterhin im Mittelpunkt steht und Initiativen im Bereich der öffentlichen Gesundheit mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattet werden. „Wir müssen die Innovationskraft und Wettbewerbsposition der europäischen Pharmaindustrie stärken, statt sie mit immer mehr Bürokratie zu belasten“, appelliert Brakmann an die neu gewählten Parlamentarier und die künftige EU-Kommission.
Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG): DKG-Chef Dr. Gerald Gaß geht in seinen Ausführungen nicht nur auf die Europa-, sondern auch auf die Kommunalwahlen in Deutschland ein. „Nach dem starken Abschneiden rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien bei den Europa- und Kommunalwahlen muss die Ampel-Regierung ihren Kurs korrigieren. Dazu zählt auch die Krankenhauspolitik. In Deutschland haben Rechtsextreme und Rechtspopulisten massiv vor allem in ländlichen Regionen an Stimmen gewonnen und sind in den meisten Landkreisen stärkste Kraft geworden, obwohl sie tatsächlich keine überzeugenden Lösungen für die Probleme zu bieten haben“, verdeutlicht Gaß.
Sie lebten von den Ängsten der Menschen. Und diese Ängste beträfen nicht zuletzt die medizinische Versorgung. Wo Krankenhäuser schließen, Arztpraxen nicht mehr besetzt sind und die nächste Notaufnahme nur nach langer Fahrt erreichbar ist, sorgten sich die Menschen um ihre Grundversorgung. „Eine Krankenhauspolitik, die diese Prozesse verschärft und dem kalten Strukturwandel der wirtschaftlich bedingten Klinikschließungen tatenlos zuschaut, bereitet den Boden für demokratiefeindliche Entwicklungen, die am Ende weitaus mehr als die Gesundheitsversorgung betreffen. Schon ein kurzer Blick auf die eingefärbten Landkarten nach den Wahlen zeigt ganz deutlich, dass sich Stadt und Land immer weiter auseinanderentwickeln. Gegenseitige Verständnislosigkeit verschärft sich. Hier gibt es großen Handlungsbedarf für die Bundesregierung: Sie muss das Grundversprechen der deutschen Nachkriegspolitik, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land, sichern“, mahnt Gaß. Dazu zähle die flächendeckende Gesundheitsversorgung in flächendeckend hoher Qualität. Die Ampelparteien müssten die Menschen mit ihrer Politik wieder mitnehmen. Dass die SPD nach mehr als 160 Jahren Parteigeschichte als traditionelle Vertreterin der breiten Masse, der „kleinen Leute“, bei Wahlen ein Rekordtief nach dem anderen einfahre und gerade in ostdeutschen Kommunen vielfach praktisch nicht mehr existiere, sei kein unabwendbares Schicksal. „Es liegt an einer Bundespolitik, die sich immer weiter von den Bedürfnissen entfernt, die gerade im Gesundheitsressort kompromisslos ‚durchzieht‘, den Dialog verweigert und den kalten Strukturwandel geschehen lässt, statt auf Bedürfnisse und berechtigte Bedenken einzugehen. Nicht nur im Sinne einer guten Gesundheitsversorgung, sondern auch zum Schutz unserer Demokratie und Freiheit können wir nur raten, diesen Kurs zu korrigieren“, so das Plädoyer des DKG-Chefs.
Sozialverband VdK: Zum Ausgang der Europawahl sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele: Angesichts der Wahlergebnisse muss der Ampel-Regierung klar sein: So wie bisher geht es nicht weiter. Die Ampel sollte jetzt dringend an einem Strang ziehen und vor allem die Sozialpolitik stärken.“ In den bald anstehenden Haushaltsverhandlungen könne die Regierung zeigen, dass sie ohne Streit politisch gute Entscheidungen treffen kann. „Mit der Umsetzung wichtiger Maßnahmen wie einer guten Kindergrundsicherung, mietrechtlicher Verbesserungen oder Verbesserungen in der häuslichen Pflege kann sie gezielt große Bevölkerungsteile überzeugen, dass sie Menschen mit ihren Sorgen und Problemen nicht alleinlässt.
Die Ampel hat wichtige Vorhaben bereits in den Koalitionsvertrag aufgenommen. So würde beispielsweise die Einführung einer Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige vielen Menschen helfen und zeigen, dass unsere Regierung nicht nur streiten, sondern auch handeln kann“, ergänzt Bentele.
Neuwahlen hingegen, wie sie die Unionspartei jetzt fordert, und damit verbundene Walkampfparolen lehne der VdK ab. Vielmehr sollte die Regierung das letzte Jahr der Legislatur nutzen, um soziale Politik voranzutreiben, heißt es. (eb)