Junge Erwachsene

Komasaufen bleibt beliebt

Alcopops, Bier und Wodka: Viele Jugendliche heben das Glas immer noch, bis der Arzt kommt. 26.000 landeten 2012 mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus. Experten wollen die Trendwende und hoffen auf Facebook und Co.

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Auf zum Feiern: Zwei Jugendliche tragen einen Bierkasten. 26.000 von ihnen landen jährlich nach Rauschtrinken in der Klinik.

Auf zum Feiern: Zwei Jugendliche tragen einen Bierkasten. 26.000 von ihnen landen jährlich nach Rauschtrinken in der Klinik.

© [M] Rene Ruprecht/dpa

BERLIN. Komasaufen unter Jugendlichen bleibt ein großes Problem. Das zeigt die neue Studie "Der Alkoholkonsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland 2012" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Befragt wurden dafür insgesamt 5000 Personen zwischen zwölf und 25 Jahren. Ihre Antworten sorgten bei Politikern und Wissenschaftlern jedoch nicht nur für Katerstimmung.

In der Langzeitbetrachtung erkannte BZgA-Direktorin Professor Elisabeth Pott auch positive Veränderungen: Immer mehr der Zwölf- bis 17-Jährigen würden ganz auf Alkohol verzichten, hieß es bei der Vorstellung der Zahlen am Montag in Berlin. 30 Prozent von ihnen gaben in der aktuellen Befragung an, noch nie Alkohol getrunken zu haben.

"Vor zehn Jahren waren es nur 13 Prozent", betonte Pott. Dennoch: Ab 16 Jahren trinkt fast jeder Dritte (32 Prozent) mindestens einmal in der Woche Alkohol. Viele kennen dabei keine Grenzen.

Etwa 17 Prozent der Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren trinken sich einmal im Monat in einen Rausch. Von Trendwende noch keine Spur - 2010 waren es rund 18 Prozent. Besorgniserregend ist auch der laxe Umgang mit Alkohol bei 18- bis 25-Jährigen.

Hier fanden die Forscher heraus, dass knapp 44 Prozent mindestens einmal im Monat einen Rausch erleben. Das sind zwei Prozentpunkte mehr als in der letzten Studie vor vier Jahren.

Breite Bekanntheit der "Kenn dein Limit"-Kampagne

Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, zeigte sich beunruhigt: "Im letzten Jahr mussten deutschlandweit mehr als 26.000 Jugendliche wegen einer Alkoholvergiftung in die Klinik", sagte sie in Berlin.

Es sei an der Zeit für ein gesellschaftliches Umdenken in Richtung eines verantwortungsvollen Alkoholkonsums in allen Altersklassen, forderte sie. Bis zur Veröffentlichung der nächsten Studie solle beim "Komasaufen" die Trendwende eingeleitet werden. Eine Kampagne soll den Jugendlichen helfen, ein besseres Risikobewusstsein zu entwickeln.

Die Zielgruppe für Prävention ist dabei heterogen: Zwischen Hauptschülern und Gymnasiasten zeigten sich nur wenige Unterschiede, sagt Pott. Gründe für enthemmtes Trinken gebe es in allen Schichten der Gesellschaft: Gruppendruck, Angst vor Ausgrenzung - Alkohol fungiere oft als soziales Schmiermittel für Jugendliche. Die Enthemmung durch den Alkohol ziehe weitere Probleme wie etwa Gewaltausbrüche nach sich.

Zu den Gegenstrategien gehört die Kampagne "Alkohol? Kenn dein Limit." Diese gemeinsame Präventionsoffensive von BZgA und dem Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) wurde 2009 gestartet.

PKV-Verbandsdirektor Volker Leienbach zog ein positives Fazit: "80 Prozent der 12- bis 25-Jährigen kennen die Kampagne", sagte er.

Knapp 330.000 sogenannte "Likes" bei Facebook zeugten vom Bekanntheitsgrad. Der Vertrag mit der BZgA werde um weitere fünf Jahre verlängert. Pro Jahr unterstütze der PKV-Verband die Aktion mit etwa acht Millionen Euro, hieß es.

Soziale Netze als Dreh- und Angelpunkt der Aktion

Die Kampagne solle weiterentwickelt und an aktuelle Erkenntnisse angepasst werden. Künftig sollen die Jugendlichen geschlechterspezifisch angesprochen werden.

Es habe sich gezeigt, dass bei Jungen das regelmäßige Trinken abnehme, bei Mädchen hingegen bleibe die Häufigkeit konstant. Dafür tränken sich Jungen doppelt so häufig in den Rausch wie Mädchen.

Stärker als bisher solle Prävention in Städte, Kreise und Gemeinden getragen werden. Soziale Netzwerke wie Facebook stellten einen weiteren Dreh- und Angelpunkt der Aktion dar.

Abschreckungsmaßnahmen, wie die Bilder von Raucherlungen auf Zigarettenpackungen, seien für die Regierung bei Alkohol zunächst kein Thema, erläuterte die Drogenbeauftragte. Grundsätzlich zeigte sich Mortler jedoch offen gegenüber einer höheren Besteuerung für alkoholische Getränke.

Als einen besseren Ansatz für Prävention bezeichnet sie Aufklärung von Anfang an, da dies eher zu mündigen Erwachsenen führe, so Mortler. Verlockungen gebe es immer, der richtige Umgang mit ihnen zähle. Von den Getränke-Herstellern wünschte sich die Drogenbeauftragte: "Hippe, coole Produkte ohne Alkohol." (mh)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kampftrinker gestern und heute

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 08.04.201415:37 Uhr

Weitersaufen wie bisher?

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU) und auch Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) irren mit ihren Erklärungsmodellen für jugendlichen Alkoholmissbrauch.

Denn gut zwei Millionen alkoholabhängigkeitskranke E r w a c h s e n e sind in Deutschland auf Dauer die falschen Vorbilder. Davon ziehend singend, saufend und marodierend allein ca. eine Million Menschen jedes Wochenende mit Bier, Schnaps und anderen Alkoholika durch die Fußballstadien, Kneipen und öffentlichen Plätze. Zusätzlich kommen entscheidende Vorwände zum öffentlichen Trinken und Saufen über die Unterhaltungs-, Bier- bzw. Spirituosenindustrie: Glühweinstände zu Advent und Weihnachten, die tollen, närrischen Tage zu Karneval, Champions-, Europa-League und DFB-Pokal, "englische Wochen", Kirmes, Sommerfeste, Festivals, Oktoberfeste, Herbst- und Handwerksmärkte, und was es sonst noch so alles als Vorwand gibt, sich besinnungslos einen hinter die Binde zu gießen. "Alkohol ist dein Sanitäter in der Not, Alkohol ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot, Alkohol ist das Drahtseil auf dem du stehst..." singt Herbert Grönemeyer.

Doch der Gipfel der Verharmlosung kommt vom Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI): Ganze 3 placebokontrollierte Phase-3-Studien mit einem Opiatmodulator Nalmefen (Selincro® von Lundbeck - das frühere Revex® von Bayer) zur Reduktion des Alkoholkonsums sollen genügen, einen kompletten Paradigmenwechsel bei der Alkoholentzugsbehandlung und –Abstinenz zu belegen? Der "Erfolg" spricht Bände: "Unter Nalmefen gelang es den Teilnehmern ihren Alkoholkonsum deutlich zu senken – um bis zu 60%". Leute, die vorher 10 Bier und 10 Schnäpse tranken, verkonsumieren jetzt nur noch 4 Bier und 4 Schäpse? Das kann man doch nicht ernsthaft als Therapieerfolg bezeichnen wollen? Prof. Dr. Karl Mann, Studienleiter beim ZI, leistet sich den Gipfel an Desinformation und pseudowissenschaftlicher Beliebigkeit: „Dass in den Studien die Reduktions-Idee auch allein mit Beratung und Placebo funktionierte“. Weil auch in der Placebogruppe eine Reduktion des Trinkverhaltens um rund 40% gelang?
http://www.medscapemedizin.de/artikel/4901956?src=wnl_medpl_03002014

Bei jedem x-beliebigen neuen Herzmedikament würde das als sicherer Beweis für die U n w i r k s a m k e i t der Pharmakotherapie gelten. Nicht so beim ZI-Mann. Er geht sogar einen Schritt weiter: „Dann kann der Hausarzt diese Behandlung ganz alleine übernehmen.“ Mit anderen Worten: Nachdem mit viel Mühe, Einflussnahme und pseudowissenschaftlichen Studien sich der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA bereit erklärt hatte, ein scheinbar neues Therapieprinzip (Anti-Craving-Therapie geht auch mit Baclofen) bei Alkoholabusus für 3 Monate und in Sonderfällen bis zu 6 Monate als erstattungsfähig zu erproben, treten oberschlaue Suchtexperten schon den taktischen Rückzug an: Die Hausärztinnen und Hausärzte, die man jahrzehntelang mit Alkohol-Abstinenzprinzipien gelöchert hatte, sollen jetzt zum Büttel der Pharmaindustrie werden und weiter endlos unbezahlte Gespräche bzw. frustrane verbale Interventionen vollführen, damit sich die psychiatrisch-forschenden Psychopharmakologen und „Suchtexperten“ lukrativeren Forschungsvorhaben zuwenden können?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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