IQWiG-Veranstaltung
Kosten-Nutzen-Bewertung – abgespeckt als Teil des AMNOG-Verfahrens?
Bisher führt die Kosten-Nutzen-Bewertung in Deutschland ein Schattendasein. Doch das IQWiG hat neue, pragmatische Standards für dieses Instrument formuliert. Auch der GKV-Spitzenverband zeigt sich offen für die Anwendung.
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Das IQWiG hat seine Methodik mit Blick auf Kosten-Nutzen-Bewertungen deutlich verändert. Das könnte der Anwendung im Rahmen des AMNOG-Verfahrens den Weg bahnen.
© IQWiG
Köln. Der GKV-Spitzenverband kann sich abgespeckte und auf bestimmte Fragen fokussierte Kosten-Nutzen-Bewertungen (KNB) als Ergänzung einer Nutzenbewertung im Kontext des AMNOG-Verfahrens vorstellen. KNB würden von Verfahrensparteien schon bisher vereinzelt eingesetzt, dies geschehe allerdings nur „fragmentarisch“ und „methodisch fragwürdig“, sagte Dr. Anja Tebinka-Olbrich, Leiterin des Referats AMNOG-Erstattungsbetragsverhandlungen beim GKV-Spitzenverband, am Freitag bei der Veranstaltung „IQWiG im Dialog“ in Köln.
Es gebe eine Vielzahl von Fragen, die „wir auf der Basis der frühen Nutzenbewertung nicht beantworten können“, sagte Tebinka-Olbrich. Sie nannte beispielhaft Orphan Drugs, bei denen der Gesetzgeber den Zusatznutzen unterstellt hat, bei denen eine Quantifizierung des Zusatznutzens aber oft nicht möglich sei. Ein anderes Beispiel betreffe Gentherapien, bei denen die Preisbildung durch die Hersteller in der Regel „auf Basis der Erwartungen, nicht der Nachweise“ stattfinde, so Tebinka-Olbrich. Oft seien zusätzlich auch keine Erstattungspreise aus anderen EU-Ländern bekannt.
„Kein Interesse an einer vierten Hürde“
Unklar sei in diesen Fällen, wie sich die Kosten der Gentherapie im Vergleich zur bisherigen Dauertherapie verhalten, die Patienten erhalten. „Wie berücksichtigt man korrekt zukünftige Einsparungen, die zeitlich begrenzt und nur mit begrenzter Wirkung eintreten“, formulierte die Vertreterin des GKV-Spitzenverbands die Herausforderung. Ungeachtet dieser Einzelfälle hat der Gesetzgeber mit dem Finanzstabilisierungsgesetz ohnehin gefordert, künftig auch den „Budget Impact“ bei den AMNOG-Beratungen zu berücksichtigen.
Eine KNB, die idealerweise zeitgleich zur Nutzenbewertung stattfindet, sollte nach den Vorstellungen von Tebinka-Olbrich „bindende Ergebnisse“ produzieren und sich auf Teilaspekte fokussieren. So eingesetzt, könne die KNB eine „rationale und faktenbasierte Preisbindung“ unterstützen. Wie man dann mit den Ergebnissen einer KNB umgehe, „wird sich zeigen“, sagte sie. „Wir haben kein Interesse an einer vierten Hürde“, stellte Tebinka-Olbrich klar.
Die Position der forschenden Hersteller vertrat bei der Veranstaltung Björn Stollenwerk vom Unternehmen Amgen. Er forderte, gesundheitsökonomische Modelle dürften den Wert innovativer Produkte nicht systematisch unterschätzen. Dies gelte es bei der Bewertung der Qualität gesundheitsökonomischer Modelle zu berücksichtigen.
KNB bisher ein komplexes, langwieriges Verfahren
Seit dem Start des AMNOG-Verfahrens im Jahr 2011 ist eine KNB in keinem einzigen Fall von einer der Verfahrensparteien aufgerufen worden. Möglich wäre das theoretisch in zwei Konstellationen des AMNOG-Verfahrens: Dann, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss keinen Zusatznutzen als belegt ansieht oder aber im Kontext eines Schiedsverfahrens.
Dass die KNB in Deutschland Theorie blieb, ist auch dem bisher komplexen und langwierigen Verfahren geschuldet, das sich auf mehrere Jahre erstrecken würde – keine attraktive Option bei Patentlaufzeiten von rund zehn Jahren. Das IQWIG hat daher seine methodischen Grundlagen für KNB überarbeitet und ist vom kontrovers diskutierten Konzept der Effizienzgrenze abgerückt.
Dabei sei es darum gegangen, ein „etwas pragmatischeres Konzept“ aufzusetzen, berichtete Dr. Anja Schwalm vom Ressort Versorgung und Gesundheitsökonomie im IQWIG. So wurde beispielsweise in der bisherigen IQWIG-Methodik bei einer KNB die Berücksichtigung aller Therapieoptionen im Indikationsgebiet gefordert. Nun bildet nach der veränderten Methodik die Nutzenbewertung und die dabei festgelegte Vergleichstherapie die Grundlage für eine KNB, berichtete Schwalm.
Konzept der Effizienzgrenze aufgegeben
Bisher erfolgte nach altem IQWiG-Muster die Darstellung der Ergebnisse in Form einer sogenannten Effizienzgrenze, aus der dann eine Preisempfehlung für das Medikament abgeleitet werden sollte. Nach der neuen Methode soll lediglich das inkrementelle Kosten-Nutzen-Verhältnis (ICER, Incremental Cost-Effectiveness Ratio) in Relation zur Vergleichstherapie angegeben werden.
Weder sollte dabei eine explizite Empfehlung eines Preises erfolgen, noch werde das IQWiG einen Schwellenwert verwenden, der nahelegen würde, ab wann eine Gesundheitsmaßnahme als nicht mehr kosteneffektiv gilt. Allerdings sei das IQWiG gegenüber dem Konzept der QALY „etwas aufgeschlossener“ geworden, erläuterte Schwalm. Bei QALY (Quality Adjusted Life Years) handelt es sich um ein Maß zur Messung von medizinischen Outcomes.
Auch beim Robert Koch-Institut sind gesundheitsökonomische Evaluationen längst Teil der Arbeit der Ständigen Impfkommission, erläuterte Dr. Ole Wichmann von der Abteilung Infektionsepidemiologie beim RKI. Zwar nehme die Ständige Impfkommission (STIKO) bei der Erarbeitung von Impfempfehlungen in erster Linie eine epidemiologisch-medizinische Risiko-Nutzen-Bewertung vor. Aufbauend darauf führe die STIKO aber auch mathematische Modellierungen und gesundheitsökonomische Evaluationen durch, deren Ziel es sei, nicht nur effektive, sondern auch effiziente Impfstrategien zu entwickeln.
Gesundheitsökonomische Evaluationen oftmals Standard
In vielen anderen europäischen Ländern gehöre die Berücksichtigung gesundheitsökonomischer Aspekte bei Entscheidungen zu Impfprogrammen seit Jahren zum „Standard“, erläuterte Wichmann. Als ein Beispiel für Deutschland verwies er auf Modellierungen für die Identifizierung des optimalen Impfalters bei der Herpes zoster-Impfung.
Allerdings bringe die gesundheitsökonomische Evaluation von Impfstoffen besondere Herausforderungen mit sich. Wichmann verwies beispielhaft dafür auf die Bewertung von Herdeneffekten, die nötigen teils sehr langen Betrachtungszeiträume oder die Modellierung eines teilweise nachlassenden Impfschutzes.