Versorgungssituation

Legen Hamsterkäufe wegen SARS-CoV-2 die Arzneimittel-Lieferkette lahm?

Der Pharmagroßhandel ächzt derzeit unter einer ungewohnten Situation. Nicht die Nachlieferung von Medikamenten aus der Industrie ist das Problem, sondern ungewöhnlich große Apothekenbestellungen.

Ruth NeyVon Ruth Ney Veröffentlicht:
In einer Kieler Apotheke. Viele Apotheken schützen ihre Mitarbeiter, so wie hier, inzwischen mit Scheiben vor einer Ansteckung durch Kunden. Zugleich haben sie immer mehr zu tun, da sich viele Menschen mit Medikamenten eindecken wollen. Das überbelastet auch die Zulieferer.

In einer Kieler Apotheke. Viele Apotheken schützen ihre Mitarbeiter, so wie hier, inzwischen mit Scheiben vor einer Ansteckung durch Kunden. Zugleich haben sie immer mehr zu tun, da sich viele Menschen mit Medikamenten eindecken wollen. Das überbelastet auch die Zulieferer.

© Frank Molter/dpa

Neu-Isenburg. Deutschlandweit kommt es aktuell bei Pharmagroßhändlern, die die Apotheken mit Arzneien beliefern, zu merklichen Einschnitten. Gründe sind fehlende Mitarbeiter, die etwa Aufgrund der Schulschließungen zuhause bleiben, und zugleich außergewöhnlich hohe Bestellaufträge aus Apotheken. Medienberichten zufolge musste zum Beispiel das Vertriebszentrum Bad Kreuznach der Phoenix aufgrund erhöhter Auftragseingänge bereits zu Wochenbeginn die Abendlieferung ausfallen lassen, Bestellungen auf die Nachttour verschieben.

Einem Bericht bei Apothekeadhoc zufolge ist die Nachfrage bei dem Großhändler riesig, vom Sechsfachen des normalen Bedarfs ist in einigen Sortimenten die Rede. Ähnliche Meldungen gibt es inzwischen auch zu den Pharmhändlern Noweda und Gehe, die beide ihre Leistungen in der Corona-Krise zusammengestrichen haben sollen mit weniger Touren und einer eingeschränkten Erreichbarkeit.

Ein Apotheker aus Südbayern berichtet Ähnliches. Es fehle an Kisten zur Belieferung, Impfstoffe hätten nicht ausgeliefert werden können, weil es zudem keine Kühlakkus mehr gegeben habe. Bei seinem Großhandel hätten sich die Bestellzeilen mehr als verdoppelt.

ABDA beruhigt

Die Apothekerschaft sieht dennoch nach wie vor keine durch das Coronavirus verursachten Engpässe in der Arzneimittelversorgung. „Wir kennen Lieferengpässe schon seit Jahren. Zusätzliche Probleme, die auf den Ausbruch der Coronavirus-Pandemie zurückzuführen wären, stellen wir aber nach wie vor nicht fest“, äußert sich Friedemann Schmidt, Präsident der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände in einer Pressemitteilung. Auch an Medikamenten für die Selbstmedikation gebe es keinen Mangel. Zudem sei die Herstellung von Desinfektionsmitteln in den Apotheken gut angelaufen.

Er räumt allerdings auch ein: „Wir können natürlich nicht ausschließen, dass Auswirkungen der Krise im Laufe des Jahres auch in der Arzneimittelversorgung in Deutschland spürbar werden.“

Rationierung in Frankreich und der Schweiz

Nachweislich angestiegen ist bereits die Nachfrage von Patienten nach Erkältungsmedikamenten, hier vorrangig Paracetamol. Um Lieferengpässe zu vermeiden, hat sich das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sowohl an die Ärzte gewandt, sich beim Ausstellen von Privatrezepten, soweit nicht ärztlich erforderlich, zu beschränken, als auch an die Apotheken, nur bedarfsgerechte Arzneimittelmengen abzugeben.

In Nachbarländern haben die Regierungen bereits reagiert: Nach einem Ansturm bei den Apotheken werden zum Beispiel in der Schweiz bestimmte Medikamente rationiert. Das beschloss die Regierung am Mittwoch. Ab sofort dürfe nur noch eine Packung pro Einkauf abgegeben werden, teilte die Regierung mit.

Betroffen seien alle verschreibungspflichtigen Medikamente sowie Produkte wie Aspirin, Calciumpräparate, gewisse Hustenmittel, Paracetamol, Ibuprofen, Diclofenac, Mefenaminsäure oder Produkte mit Codein. Eine spezielle Regelung gilt für chronisch Kranke: Auf Verschreibung des Arztes darf ihnen der Bedarf von bis zu zwei Monaten gedeckt werden. Die Regeln gelten sechs Monate.

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Und auch Frankreich schränkt wegen des Coronavirus den Verkauf von Paracetamol ein. Um die Verfügbarkeit zu garantieren, könnten Apotheker ab Mittwoch nur noch eine Packung pro Patient ohne Symptome wie Fieber oder Schmerzen oder zwei Packungen bei Symptomen rezeptfrei verkaufen, teilte die französische Gesundheitsbehörde ANSM bereits am Dienstag mit. Der Internet-Verkauf von Paracetamol, Ibuprofen und Medikamenten auf Aspirinbasis werde ausgesetzt.

Auch Apothekenschließungen möglich

Nicht nur Arztpraxen droht zudem die Schließung bei nachgewiesenen Infektionen mit SARS-CoV-2, wie jüngst bei den Med-Centers Bayreuth, wo alle Ärzte in Quarantäne mussten. Ähnliches droht Apotheken, wenn die dort arbeitenden Approbierten ausfallen inklusive der Apothekenleitung.

In einem aktuellen Schreiben an die Apotheken mit FAQ zur Coronavirus-Pandemie heißt es dazu unter Punkt 5: „Wenn aufgrund einer Anordnung der zuständigen Behörde Mitarbeiter des Apothekenpersonals von Quarantänemaßnahmen betroffen sind und eine ordnungsgemäße Besetzung der Apotheke nicht mehr gewährleistet werden kann, muss sie geschlossen werden.“

Und weiter: „Die ordnungsgemäße Leitung der Apotheke setzt die Anwesenheit eines Apothekers oder einer vertretungsberechtigten Person voraus.“ Dabei helfe auch nicht eine Erreichbarkeit via Telefon oder Video. Ebenso wird eine eigenmächtige Reduzierung der Öffnungszeiten untersagt, falls die Personalbesetzung nicht aufrechterhalten werden kann.

Inzwischen haben aber einige zuständige Apothekenkammern reagiert. So wurden etwa in Berlin und Hessen Erleichterungen bei den Öffnungszeiten per Allgemeinverfügung ermöglicht. Danach können Apotheken von der ständigen Dienstbereitschaft abweichen und müssen nur in bestimmten Kernzeiten offen sein. (mit dpa-Material)

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