Psychologie nach Brexit
Londoner fühlen sich verunsichert und gespalten
Der Tag danach: Großbritannien tritt aus der EU aus und in der Hauptstadt herrscht Katerstimmung. Das Referendum zeigt bei den Londonern auch psychische Folgen. Einblick in die Seele Londons.
Veröffentlicht:LONDON. Rote Doppeldeckerbusse fahren an Big Ben vorbei, die Sonne scheint in der britischen Hauptstadt: Erst im Gespräch mit den Londonern wird deutlich, wie sehr sich die Stadt mit dem EU-Referendum am Donnerstag geändert hat. Viele sind traurig, niedergeschlagen, verunsichert. Sie verstehen nicht, wie etwas geschehen konnte, das sie für unmöglich gehalten hatten.
"Ich bin am Boden zerstört", sagt etwa die 51-jährige Anne-Marie Williams angesichts der Mehrheit für den Brexit. "Ich habe richtig Bauchschmerzen." Das Ergebnis der Volksabstimmung sei eine Katastrophe.
Abgesehen von den wirtschaftlichen Folgen tut es ihr vor allem für ihre Kinder leid. "Meine Kinder haben weniger Möglichkeiten in der Zukunft. Sie werden weniger frei reisen und studieren können. Und wofür eigentlich? Da haben alte Leute über die Zukunft junger Menschen entschieden, das ist nicht fair", sagt sie.
Haben marginalisierte Briten den Austritt bewirkt?
Mangelnde Fairness ist ein Thema, das in den Augen vieler Londoner eine Rolle gespielt hat bei der Entscheidung für den Brexit. Es seien die marginalisierten Menschen gewesen, die für den Austritt gestimmt haben, meint James Dickson. Menschen, die Angst haben, in existenzielle Nöte zu geraten. Die sich bedroht fühlen.
"Wenn dieses Referendum etwas gezeigt hat, dann, dass Großbritannien nicht im Reinen mit sich ist", sagt der 52 Jahre alte Projektmanager einer Baufirma. Die britische Gesellschaft sei tief gespalten.
Britisch hat sich Mario Peleanu nie gefühlt, aber europäisch. Der 45-jährige Rumäne sitzt auf einem Mauervorsprung nahe dem Polizeihauptquartier Scotland Yard und raucht eine Zigarette. Er blickt starr geradeaus, während er spricht. Der Zimmermann lebt seit zehn Jahren in Großbritannien.
Er hat keine Sorgen, dass er das Land verlassen muss. "Ich habe eine Niederlassungserlaubnis", sagt er. Aber er fühlt sich heute weniger willkommen in dem Land, das die Heimat seiner Kinder geworden ist. (dpa)