Rütteln an der Höchstarbeitszeit

MB und Arbeitsmediziner schlagen Alarm

Psychologen, Werksärzte und Marburger Bund reagieren ablehnend auf Vorschläge von Arbeitgebern, am Arbeitszeitgesetz zu schrauben.

Von Anne Zegelman Veröffentlicht:
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hat mit seiner Forderung, das Arbeitszeitgesetz zu modernisieren, für einigen Wirbel gesorgt.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hat mit seiner Forderung, das Arbeitszeitgesetz zu modernisieren, für einigen Wirbel gesorgt.

© Les Cunliffe / fotolia.com

NEU-ISENBURG. In der vergangenen Woche sorgte ein Vorschlag des Arbeitgeberverbandes (BDA) zur Modernisierung des Arbeitszeitgesetzes für Diskussionen.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hatte gefordert, das Arbeitszeitgesetz sollte von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt werden, um mehr Spielräume zu schaffen. Zwar gab Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) schnell Entwarnung, etwas Derartiges sei nicht geplant.

Doch Gewerkschaften, Psychologen und Arbeitsmediziner sind nichtsdestotrotz hellhörig geworden.

So ruft zum Beispiel der Marburger Bund im wöchentlichen Newsletter "MBZ Woche" zur Wachsamkeit auf. "Zwar beteuert das Bundesarbeitsministerium, Änderungen an dieser Stelle seien nicht geplant.

Wie schnell Errungenschaften aber unter die Räder kommen, hat jüngst erst das gerade in Kraft getretene Tarifeinheitsgesetz gezeigt", heißt es dort.

Völlig falsche Zielrichtung

In Tarifverträgen, die der Marburger Bund mit den Arbeitgebern geschlossen hat, seien zwar Regelungen enthalten, um dem 24-Stunden-Betrieb Krankenhaus Rechnung zu tragen, sagt Bundesverbandssprecher Hans-Jörg Freese. "Zugleich sind aber auch Höchstarbeitszeitgrenzen definiert.

So darf nach dem TV Ärzte/VKA die wöchentliche Arbeitszeit mit Einwilligung des Einzelnen durchschnittlich bis zu 58 Stunden betragen." Voraussetzung dafür sei, dass die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt und durch besondere Regelungen sichergestellt sei, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet werde (Paragraf 7 Abs. 2a ArbZG).

Für die Berechnung des Durchschnitts der wöchentlichen Arbeitszeit sei ein Zeitraum von sechs Monaten zugrunde zu legen. "Wenn man bestimmte Schutzvorschriften infrage stellt, dann bezieht sich das auf alle Arbeitsverhältnisse", warnt Freese.

"Wir glauben, dass die Zielrichtung hier eine völlig falsche ist, wir brauchen planbare, verlässliche Richtlinien und keine Aufweichung."

Dass eine Aufhebung des in Deutschland gültigen Acht-Stunden-Tags weniger zu einer Flexibilisierung als zu einer Entgrenzung führen könnte, fürchtet der Berufsverband Deutscher Psychologen und Psychologinnen (BDP).

Arbeiten rund um die Uhr?

"Heute gelten andere Arbeitsbedingungen als zur Zeit der Industrialisierung, und es ist sicherlich sinnvoll, die tägliche Arbeitszeit im Gesetz auf den Prüfstand zu stellen", erklärt BDP-Präsident Professor Dr. Michael Krämer. "Auf der einen Seite steht ‚Arbeiten rund um die Uhr in einer globalisierten Wirtschaft‘, auf der anderen Seite steht der Mensch mit seinen biopsychologischen Rhythmen.

Innerhalb von 24 Stunden ist es für die Gesundheit immens wichtig, dass Leistungs-, Ruhe- oder Erholungszeiten und Schlaf in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen." Werde dieser 24-Stunden-Rhythmus mehrfach oder regelmäßig durchbrochen, habe dies gravierende negative Folgen für die psychische und physische Gesundheit der Arbeitnehmer.

Auch Betriebsärzte sehen die Idee kritisch. "Das bisherige Arbeitszeitgesetz limitiert die tägliche Arbeitszeit auf zehn Stunden, aus Sicht der Arbeitsmedizin ist dies eine sehr sinnvolle Regelung", sagt Dr. Wolfgang Panter, Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW).

Grenzen für Belastung beachten

"Bisher ist immer davon ausgegangen worden, dass Arbeitszeit nur an einem Stück geleistet werden kann. Sicherlich wird durch neue Konstellationen wie zum Beispiel Homeoffice auch eine Teilung über den Tag hinaus sinnvoll und notwendig sein."

Insgesamt könne ein Wochenkonzept eine sinnvolle Ergänzung sein. Allerdings, warnt Panter, seien aus Sicht der Arbeitsmedizin eindeutig Grenzen für die Belastung zu sehen.

Aber er relativiert auch: "Dies gilt für dauerhafte Belastungen. Sicherlich ist die Situation anders, wenn ein Projekt durchgezogen werden muss." In einem solchen Fall sei es auch bisher üblich gewesen, dass Arbeitszeiten ausgedehnt wurden, allerdings nur für einen klar begrenzten und befristeten Zeitraum.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kommentar zu Arbeitszeiten: Flexibilität schadet nicht

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Kommentare
Dipl.-Med Wolfgang Meyer 31.07.201510:24 Uhr

Lobbyarbeit für noch mehr Ausbeutung!

Es ist gut, dass der MB zur Wachsamkeit mahnt. Ein Dementi von dieser Arbeitsministerin, die kleine Gewerkschaften zum Schweigen bringen will, noch dazu so schnell, erscheint wenig glaubwürdig. Vom Arbeitgeberverband erwartet man ohnehin nichts, was im Interesse der Werktätigen sein könnte! Noch mehr Profit durch noch intensivere Auspressung der Arbeitenden, da sind auch die "richtigen" Argumente schnell bei der Hand. Und hinzu kommen Arbeiter und Angestellte, die sich von diesen Argumenten nur zu bereit-willig "überzeugen" lassen, weil sie sich ohnehin am liebsten selbst aus-
beuten. Wir Mediziner sind ja schon seit Jahrzehnten beredtes Beispiel dafür. So sind wir von den Alten erzogen, weil es uns ja eines Tages, wenn wir die Karrierehöhen erklommen haben, dann endlich besser geht!

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