Umfrage zeigt
Das vermiest den Klinikärzten den Spaß am Job
Warum steigen Ärzte aus dem Klinikalltag aus? Eine Umfrage in Mecklenburg-Vorpommern zeigt: Die Karrierechancen spielen eine eher untergeordnete Rolle.
Veröffentlicht:SCHWERIN. Haben wir einen Ärztemangel in Deutschland oder nicht? Diese Frage muss nach Region und Perspektive unterschiedlich beantwortet werden.
Fest steht, dass die Zahl der berufstätigen Ärzte in Deutschland steigt und dass das ärztliche Angebot in manchen Regionen so hoch ist, dass Kliniken und Praxen Marketing betreiben müssen und um Patienten konkurrieren.
Dennoch bilden sich vor manchen Praxen Patientenschlangen und Kliniken sehen sich in Ausnahmefällen gezwungen, Betten auf die Flure zu schieben.
Dass die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern es schwerer haben, fachärztlich versorgt zu werden, spüren die Beteiligten an der Ostsee schon seit Jahren.
Nun unterstreicht eine Masterarbeit, die an der Deutschen Universität für Weiterbildung in Berlin in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern erstellt wurde, wie angespannt die Situation in den Kliniken an der Ostsee tatsächlich ist.
Autor Martin Müller hat die Arbeitssituation und -zufriedenheit von Klinikärzten im Nordosten untersucht und kommt zu dem Schluss, dass der Ärztemangel an den Krankenhäusern stärker ist als bislang angenommen. Seine Vermutung, dass die Situation in privat geführten Häusern entspannter sein könnte, hat sich nicht bestätigt.
Viele Stellen unbesetzt
Zugleich lassen sich Hinweise ableiten, wo Klinikführungen ansetzen müssen, um ihre Ärzte zu halten oder neue zu gewinnen.
Denn Müller stellt im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" auch fest: "Es werden noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft." Er stützt sich auf Angaben von 585 Fachärzten. Den Ärztemangel macht er an folgenden Punkten fest:
Unbesetzte Stellen in den Kliniken: zum Zeitpunkt der 2014 durchgeführten Befragung waren die Positionen von zwölf Chefärzten, 40 Oberärzten, 40 Fachärzten ohne leitende Funktion und 89 Assistenzärzten nicht besetzt. Im Jahr 2012 konnten von 53 ausgeschriebenen Stellen nur 40 besetzt werden. Hauptgrund für die freien Stellen war der Mangel an adäquaten Bewerbern.
Ärztliche Besetzung: 265 von 468 Teilnehmern gaben an, dass die eigene Abteilung nicht rund um die Uhr mit Fachärzten besetzt ist. 280 machten diese Angaben für ihre Notaufnahme. Die Leitung wird zu diesen Zeiten bei rund einem Viertel der Teilnehmer durch Stationsärzte und ohne weitere Leitungsfunktion ausgefüllt.
Ärztliche Arbeitszeit: Durchschnittlich arbeiten die Fachärzte im Nordosten 52,5 Stunden pro Woche. Im Vergleich zu 2002 sind dies laut Studie drei Stunden mehr pro Woche.
Zeit für Patienten: Auf die Feststellung "Ich habe ausreichend Zeit für die Patienten" geben Chefärzte auf einer Skala von eins (stimme voll zu) bis fünf (stimme überhaupt nicht zu) nur eine drei (weder noch). Kritischer sehen dies Fach- und Oberärzte, sie geben im Durchschnitt eine 3,5.
Die Untersuchung macht auch deutlich: mit der Hierarchiestufe in den Krankenhäusern steigt auch die Zufriedenheit. Doch selbst die Chefärzte geben keine Bestnoten. Auf die Feststellung "Die Arbeitssituation an meinem Krankenhaus ist optimal" geben sie eine 2,5, Oberärzte eine drei und Fachärzte eine 3,5.
Die deutlichsten Wahrnehmungsunterschiede zeigen sich bei der Feststellung "Ich habe ausreichend Zeit für die Assistenten". Chefärzte geben hier eine zwei, Fachärzte nur eine 3,5, Oberärzte liegen dazwischen.
Fach- und Oberärzte sind sich einig, dass sie sich in ihrer Arbeit nicht frei entfalten können. Die besten Noten geben die Ärzte im Nordosten bei den Punkten Arbeitsklima und Entlohnung.
Zu lange Arbeitszeiten und starre Hierarchien sorgen für Frust
Zu denken geben sollte den Klinikmanagern, dass auf die Feststellung "In meinem Krankenhaus sehe ich für mich persönlich Karrierechancen" die Fachärzte ohne Leitungsfunktion einen Durchschnittswert angeben, der schlechter als 3,5 liegt.
Für einen Ausstieg aus der Kliniktätigkeit ist dies aber längst noch nicht der wichtigste Grund. Die Arbeitszeiten und zu viele Überstunden sind die häufigsten Motive, gefolgt von starren Hierarchien am Krankenhaus und der Nichtvereinbarkeit kaufmännischer und medizinischer Auffassungen.
Auch der Wunsch nach freiberuflicher Tätigkeit, schlechtes Arbeitsklima, Bürokratie und sogar der Verdienst sind noch wichtigere Ausstiegsgründe als die Karriereaussichten - und damit Motive, sich dem ambulanten Bereich zuzuwenden.
Müller rät den Kliniken, bei der Personalgewinnung stärker auf Anreizsysteme und auf Employer Branding - also Arbeitgebervermarktung, die die Attraktivität des Unternehmens für potenzielle Mitarbeiter erhöht - zu setzen.
Die Ärztekammer fordert als Konsequenz aus der Untersuchung, unter anderem die Arbeitsorganisation an den Kliniken zu überdenken und neu zu strukturieren und die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes besser zu kontrollieren.
Zur Situation des ärztlichen Dienstes an den Kliniken könnte damit eine öffentliche Diskussion angestoßen werden.