Mit Blaulicht in die Kostenfalle

Wie viel darf ein Notfall kosten - und was ist überhaupt ein Notfall? Darüber ist in Berlin ein Streit eskaliert. Die Konsequenz: Seit Montag kommt nach dem Rettungswagen die Rechnung.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Sondersignal: In Berlin kommt jetzt die Rechnung.

Sondersignal: In Berlin kommt jetzt die Rechnung.

© suedraumfoto / imago

BERLIN. Wie viel darf ein Notfall kosten und wer entscheidet, wann ein Notfall vorliegt? Diese Fragen entzweien Politik und Krankenkassen in Berlin - seit Montag erhalten die Patienten Rechnungen, wenn sie den Rettungsdienst der Feuerwehr rufen.

In den Streit um den Rettungsdienst haben sich nun der Hausärzteverband und die Ärztekammer der Hauptstadt eingeschaltet.

Beide fordern eine schnelle Einigung zwischen den Krankenkassen und der Senatsinnenverwaltung, der die Feuerwehr als nachgeordnete Behörde unterstellt ist.

Die Feuerwehr verschickt seit Anfang Juli jeden Tag nach eigenen Angaben "tausende von Rechnungen" an Patienten, die den Rettungsdienst rufen.

Unmut auch bei den Krankenkassen

Vorausgegangen war die Kündigung der Vereinbarung zur Kostenübernahme für den Rettungsdienst durch die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen zum 1. Juli.

Seitdem verzeichnet die Feuerwehr viele Anrufe besorgter Bürger, Ärzte und Pflegeeinrichtungsleiter.

"Die größte Sorge ist, dass derjenige, der anruft, die Rechnung bezahlen muss, wenn sich der Patient nachher als nicht rettungstransportnötig erweist", sagte der Sprecher der Berliner Feuerwehr Jens-Peter Wilke der "Ärzte Zeitung". Diese Sorge wies er aber gleich als unbegründet zurück.

Eine weitere Beobachtung der Feuerwehr: Auf Sachbearbeiterebene fragen einzelne Krankenkassen laut Wilke bereits an, ob sie nicht zur bisherigen Regelung zurückkehren könnten.

Dahinter steht die Befürchtung, dass das jetzige Kostenerstattungsverfahren sehr aufwendig wird.

Unanständig und unakzeptabel

Aus Sicht des Berliner Hausärzteverbands BDA haben die Krankenkassen diese Entwicklung aber selbst verschuldet.

"Dieser Schritt der Kassen, ein patientenfreundliches Abrechnungssystem im Poker um Gebühren einfach an die Wand zu fahren, ist unanständig und unakzeptabel", so der Berliner BDA-Chef Dr. Wolfgang Kreischer.

Die Gebühren lege der Senat fest. Patienten könnten darauf keinen Einfluss nehmen, so Kreischer. Auch die Berliner Ärztekammer fordert eine schnelle Einigung.

"Der Konflikt muss schnellstmöglich ein Ende haben, um die Berlinerinnen und Berliner nicht weiter zu verunsichern", so der Unfallchirurg Dr. Werner Wyrwich, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Berlin.

Gerade in einer Stadt wie Berlin mit vielen sozial Schwachen könne das nun praktizierte Kostenerstattungs-Verfahren gravierende Folgen haben.

"Hier wird in einem Kostenstreit mit Menschenleben gespielt, weil Patienten in der Regel nicht beurteilen können, wie gefährdet sie tatsächlich sind", so Wyrwich weiter.

Mangelnde Gesprächsbereitschaft?

Die Krankenkassen betonten dagegen erneut, dass ihnen an einer Fortführung der bisherigen Regelung gelegen sei.

Sie kritisierten zuletzt mehrfach mangelnde Gesprächsbereitschaft seitens der Senatsinnenverwaltung. Die Behörde äußerte sich trotz mehrfacher Anfrage bis Redaktionsschluss nicht.

Der Ersatzkassenverband vdek Berlin/Brandenburg verweist darauf, dass die Kassen die Kündigung bereits im März ausgesprochen haben.

Sie sei vor dem Hintergrund zweier verlorener Gerichtsverfahren erfolgt, bei denen es um rund 150 Millionen Euro gehe, so der Ersatzkassenverband vdek Berlin/Brandenburg.

Infolge der juristischen Niederlagen in der ersten Instanz wollten die Kassen laut vdek eine Regelung in der Vereinbarung ändern, das Abrechnungsverfahren aber beibehalten.

Treffen am Donnerstag

Die Senatsinnenverwaltung habe daraufhin aber gefordert, dass die Kassen auch auf die vereinbarten Prüf- und Beanstandungsrechte verzichten. Das ist nach Angaben des vdek schlicht unmöglich.

Am Mittwochmorgen haben sich nach Informationen der "Ärzte Zeitung" nun kurzfristig Kassen und Senatsinnenverwaltung für Donnerstag zu einem Gespräch verabredet.

Der Ersatzkassenverband begrüßt diese Entwicklung. "Wir hoffen, dass damit endlich die Kuh vom Eis kommt und Lösungsmöglichkeiten gefunden werden", sagte die Sprecherin des vdek Berlin/Brandenburg Dorothee Binder-Pinkepank der "Ärzte Zeitung".

Der Verband verweist darauf, dass die Gebühren für den Rettungsdienst in Berlin im bundesweiten Vergleich am höchsten seien.

Demnächst muss das Oberverwaltungsgericht in zweiter Instanz entscheiden, ob die Gebühren für Rettungsdiensteinsätze in Berlin angemessen sind und ob alle Rettungsdienstfahrten notwendig waren. Diese Notwendigkeit bezweifeln die Kassen in vielen Fällen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Auf dem Rücken der Patienten

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