SARS-CoV-2-Pandemie
Neuer Vorschlag zur Corona-Impfpflicht soll Mehrheit bringen
Impfpflicht zunächst nur für alle über 50-Jährigen, Beratungspflicht für Jüngere: Kurz vor der Abstimmung im Bundestag am Donnerstag zeigen Ampelpolitiker einen Kompromissweg auf. Ullmann-Gruppe und Union winken bereits ab.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. In der Debatte um eine mögliche Corona-Impfpflicht haben die Befürworter einer solchen Verpflichtung ab 18 einen Kompromissvorschlag auf den Tisch gelegt. Demnach soll es eine Impfpflicht zunächst nur für Menschen ab 50 Jahren geben. Diese soll ab dem 1. Oktober greifen. Ziel sei es, die Impfquote weiter zu erhöhen und die Risiken für schwere Krankheitsverläufe in der Altersgruppe zu minimieren, teilten die Initiatoren des Gesetzesantrags in einer eilig einberufenen Presseunterrichtung am Montagvormittag mit.
Gastbeitrag zur Corona-Pandemie
Allein auf Hoffnung zu setzen, ist keine Option
Bundesbürger im Alter zwischen 18 und 49 Jahren sollen sich dem Vorschlag zufolge – sofern ungeimpft – ab Oktober „zumindest“ einer verpflichtenden Impfberatung unterziehen. Zugleich ist vorgesehen, die Impfpflicht „bei Bedarf“ auf alle Erwachsenen auszuweiten. Dazu soll der Bundestag nach der Sommerpause eine Entscheidung treffen.
Impflicht ab 18 als zweiter Schritt
Ausschlaggebend, ob es eine Impfpflicht ab 18 gebe, sollten der dann erreichte „Impffortschritt“ und die Frage sein, ob möglicherweise neue Virusvarianten auftreten würden, sagte der Grünen-Abgeordnete Till Steffen.
Darüber hinaus soll laut Vorschlag „unverzüglich“ mit dem Aufbau eines Impfregisters begonnen werden. An dieses sollen die Krankenkassen die von ihnen erhobenen und gespeicherten Impfdaten melden. Auch das sei ebenso wie die Impfung „Vorsorge für die Zukunft“, sagte die SPD-Gesundheitspolitikerin Heike Baehrens.
Die Kassen, die sich zuletzt gegen eine Datenerhebung gesträubt hatten, wüssten, dass sie als Körperschaften öffentlichen Rechts Gesetze umzusetzen hätten, betonte Baehrens. Für die Einhaltung der Impfpflicht seien die Ordnungsbehörden vor Ort zuständig, an die die Kassen ebenfalls meldeten, stellte die SPD-Politikerin klar.
Der Vorschlag für ein „gestuftes Modell“ zur Impfpflicht sei „gut austariert“, sagte SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt. Er schlage Brücken zu den Anträgen der Ullmann-Gruppe und zum Unions-Vorschlag eines Impfvorsorgegesetzes. Bisherige Versuche, zu einem Kompromiss mit beiden Gruppen zu gelangen, seien gescheitert, gestand Schmidt ein. „Wir haben keine Verhandlungsbereitschaft erlebt.“
Ullmann-Gruppe: Keine Grundlage für sofortige Impfpflicht
Die Vertreter der Gruppe um den FDP-Politiker und Infektiologen Professor Andrew Ullmann erteilten auch dem Kompromissvorschlag umgehend eine Absage. „Eine sofortige Impfpflicht ab 50 ohne Würdigung der vielen unbekannten Variablen im Herbst, von dann denkbaren Virusvarianten bis zur Immunitätsquote in der Bevölkerung, kann auf der Basis der aktuellen Datenlage nicht ausreichend gut begründet werden“, teilten die Politiker – darunter auch die Ärzte Paula Piechotta (Grüne) und Herbert Wollmann (SPD) – am Montagnachmittag mit.
Ungeimpfte seien zunächst mit „verbesserter und vertrauensvoller Beratung“ von der Impfung zu überzeugen. Bei drohender Überlastung im Gesundheitswesen könne der Bundestag dann eine Impfpflicht ab 50 beschließen. „Dazu benötigen wir gute und valide Daten zum Immunstatus.“
Union: Bleiben bei unserem Vorschlag
Auch aus der Unionsfraktion gab es prompt einen Korb. Er sei von dem Kompromisspapier der Ampel-Politiker „überrascht und irritiert“, sagte Fraktions-Vize Sepp Müller (CDU) dem „Spiegel“ (Online-Ausgabe) am Montag. Den Gremien seiner Fraktion werde er vorschlagen, „dass wir bei unserem eigenen Vorschlag bleiben“, sagte Müller, der zuletzt für CDU/CSU mit der SPD über den Impfweg verhandelt hatte.
Die Gruppe um Schmidt, Baehrens und Steffen verfügt aktuell über 237 Unterstützter im Parlament – unter ihnen etwa Kanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD). Schmidt sprach von einer „theoretischen“, aber keiner „praktischen“ Mehrheit. Dass die Befürworter einer Impfpflicht ab 18 ihren Vorschlag ad acta gelegt hätten, stimme nicht. Vielmehr biete man den Abgeordneten im Parlament mit einem neu formulierten Impfmechanismus einen „gemeinsamen Weg“ an.
Ausgang der Abstimmung weiter offen
Den Angaben zufolge soll der Vorschlag jetzt per Änderungsantrag zum Gesetzentwurf eingebracht und am Mittwoch im Gesundheitsausschuss beraten werden. Am Donnerstag will der Bundestag darüber entscheiden, tags darauf könnte der Bundesrat grünes Licht geben. Aktuell liegen fünf Modelle vor – darunter auch zwei gegen eine Impfpflicht.
Gastbeitrag
Flexible Corona-Impfvorsorge als Kompromiss
Der SPD-Rechtspolitiker Dirk Wiese nannte den Kompromissvorschlag „verfassungsfest, rechtssicher“ und „vernünftig“. Der Grünen-Gesundheitspolitiker und Arzt Dr. Janosch Dahmen sagte, Deutschland müsse sich gegen eine mögliche neue Infektionswelle im Herbst und Winter wappnen. Ziel einer Impfpflicht sei es nicht, Ansteckungen zu verhindern, sondern schwere Verläufe und Hospitalisierung. Letzteres könne das Gesundheitssystem überlasten. Sämtliche in Deutschland zugelassene Impfstoffe würden gut vor schweren Krankheitsverläufen schützen, so Dahmen.
Laut Corona-Impfdashboard sind aktuell 76 Prozent der Bundesbürger grundimmunisiert. Etwas mehr als elf Prozent der rund 24 Millionen Bundesbürger über 60 Jahren haben noch keine Impfung.