Oppositionsanträge
Normalität nach der Epidemie? Zu früh, warnen Ärzteverbände
Die FDP will die epidemische Sondersituation offiziell aufheben lassen. Ärzteverbände halten dies für das falsche Signal. Die Idee der Grünen für einen Pandemierat findet ein geteiltes Echo.
Veröffentlicht:Berlin. Es wäre das falsche Signal, die geltende epidemische Lage von nationaler Tragweite aufzuheben. Das geht aus Stellungnahmen für die Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag am 9. September hervor.
Am kommenden Mittwoch hören Gesundheitspolitiker sich die Auffassung von Institutionen und Experten zu Anträgen von FDP und Grünen an. Die Liberalen fordern in ihrem Gesetzentwurf, der vom 19. Juni datiert, der Bundestag solle die auf dem Infektionsschutzgesetz basierende Feststellung einer epidemischen Lage in Deutschland aufheben.
FDP will Kompetenzen vom BMG ins Parlament zurückholen
Damit würden die besonderen Rechtsetzungskompetenzen, die ab dem 25. März auf das Bundesgesundheitsministerium übertragen worden sind, wieder uneingeschränkt vom Parlament übernommen werden. Zugleich soll durch Begleitgesetze sichergestellt werden, dass beispielsweise die verschiedenen Schutzschirme – so auch für Vertragsärzte – fortgelten.
Die Bundesärztekammer wie auch andere Verbände halten einen solchen Schritt für falsch. Dazu verweist die BÄK auch auf die seit Mitte Juni deutlich gestiegenen Infektionszahlen. „Auch wenn sich die Lage gegenüber März 2020 entspannt hat, besteht nach wie vor die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems“, heißt es in der BÄK-Stellungnahme. Zudem sei die Lage „,medizinisch noch nicht beherrschbar“, da weder ein Impfstoff noch ein wirksames Medikament zur Verfügung stünden.
Verbände rügen nicht mehr stimmige Annahmen der FDP
Der GKV-Spitzenverband teilt die Einschätzung der BÄK zur epidemischen Lage und sorgt sich zugleich um die Signalwirkung eines solchen Schritts. Auch bei „differenzierter Darstellung durch Politik und Medien“ könnte dies in der öffentlichen Wahrnehmung dahingehend verstanden werden, „dass die Epidemie nunmehr überwunden“ sei und die grundlegenden AHA-Verhaltensregeln (Abstandhalten, Händewaschen, Mund-Nase-Bedeckung) damit an Bedeutung verloren hätten.
Auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hält die im Juni getroffenen Annahmen der FDP für „nicht mehr stimmig“. Zudem sei die Behauptung, die Gesundheitsämter wären „ausreichend organisatorisch und personell ausgestattet“, um das Infektionsgeschehen unter Kontrolle halten zu können, „mehr Wunsch als Wirklichkeit“.
Grünen plädieren für einen Pandemierat
Differenzierter fällt die Kommentierung der Verbände zum Antrag der Grünen aus, einen interdisziplinären Pandemierat einzurichten, der beim Bundeskanzleramt angesiedelt sein soll. Die Grünen argumentieren, bisher gebe es kein wissenschaftliches Pandemie-Gremium, das die Bundesregierung systematisch berate. Der GKV-Spitzenverband bewertet dieses Vorhaben positiv – ein solcher Rat könne dazu beitragen, die im akuten Krisenmanagement vernachlässigten gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Aspekte stärker zu berücksichtigen.
Die Grundidee der Grünen wird von der BÄK ebenfalls begrüßt, nicht aber die geplante institutionelle Verankerung. Der Pandemierat sollte besser beim Robert Koch-Institut angesiedelt werden. Werde dieses Gremium hingegen von den bestehenden Strukturen abgekoppelt, stelle sich die Frage, wie sich Empfehlungen des Pandemierats zu denen anderer Gremien verhalten würden.
Die DIVI hält ein solches neues Gremium sogar für komplett „entbehrlich“. Es erschließe sich nicht, wieso zusätzlich zu den relevanten Behörden wie dem RKI und den aktiven Fachgesellschaften unter Federführung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) ein neues Gremium nötig sein sollte. Sollte der Bundestag sich diese Idee dennoch zu eigen machen, sollte der „Bezug zur Behandlungswirklichkeit“ beim Pandemierat deutlicher erkennbar sein, fordert die DIVI.