Ethiker

Nur letzter Ausweg Zwangsbehandlung

Die Ärzteschaft kommt aus der Deckung und bezieht in der Debatte um Zwangsbehandlungen erstmals Stellung. Das Fazit der BÄK-Ethikkommission fällt bedrückend aus.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Nein heißt nein, - auch wenn Patienten Behandlungen nonverbal ablehnen, empfehlen Ethiker.

Nein heißt nein, - auch wenn Patienten Behandlungen nonverbal ablehnen, empfehlen Ethiker.

© Phatic-Photography / fotolia.com

BERLIN. Die Ethikkommission der deutschen Ärzteschaft steckt Zwangsbehandlungen von psychisch erkrankten Menschen äußerst enge Grenzen.

"Aus ethischer wie aus rechtlicher Sicht sind Zwangsmaßnahmen generell und bezogen auf jede Einzelentscheidung auf das absolut unverzichtbare Maß zu reduzieren", schreiben die Mitglieder der zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten bei der Bundesärztekammer in einer Stellungnahme.

Es gebe Hinweise darauf, dass auch heute noch Zwangsbehandlungen zu häufig, zu lang und zu undifferenziert vorgenommen würden. Sie kaschierten zudem institutionelle Defizite.

Einwilligungsfähigkeit herstellen

Schon zu Jahresanfang hatte der Gesetzgeber mit der Novelle des Paragrafen 1906 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) Zwangsbehandlungen zur "ultima ratio" erklärt und die Befugnisse von Betreuern eingeschränkt.

Damit hat die Koalition wiederum auf verschiedene Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes reagiert. Die Verfassungsrichter hatten die Regelungen von Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und später auch Sachsens für verfassungswidrig erklärt.

Die Zentrale Ethikkommission geht nun in ihren Empfehlungen über die aktuelle Gesetzgebung und die Rechtsprechung noch hinaus.

Das aus Medizinern, Juristen und weiteren Geisteswissenschaftlern zusammengesetzte Gremium schlägt vor, die Patientenrechte konsequent auch auf nicht einwilligungsfähige psychisch kranke Menschen anzuwenden.

Dies erfordere von Ärzten, zunächst zu versuchen, die Einwilligungsfähigkeit herzustellen. Danach solle der mutmaßliche Wille des Patienten eruiert werden, zum Beispiel anhand einer Patientenverfügung.

Sogar wenn der Patient die Folgen einer Behandlung oder die ihrer Verweigerung nicht ausreichend erkennen und deshalb nicht darüber entscheiden könne, sollten die Behandler den Patienten weiter aufklären und versuchen, seine freiwillige Zustimmung zu erreichen.

Bedrückende Analyse

Die Aufklärung von Patienten vor Zwangsbehandlungen werde häufig für verzichtbar gehalten. Es werde verkannt, dass auch der nicht einwilligungsfähige Patient nach seinen individuellen Fähigkeiten in die Entscheidung einbezogen werden müsse.

Behandlungsverweigerungen würden von den Ärzten zudem ohne weiteres als Ausdruck fehlender Einwilligungsfähigkeit interpretiert.

Die Analyse der Kommission ist bedrückend: "Institutionelle Bedingungen in den Kliniken haben einen erheblichen Einfluss auf den Einsatz von Zwangsmaßnahmen, zum Teil sogar stärker als der Krankheitszustand des Patienten."

Es fehle an Personal, die Kommunikations- und Organisationsstrukturen auf den Stationen wiesen Defizite auf.

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