Coronavirus-Pandemie
Opposition vermisst Transparenz bei Corona-Impfstrategie
Die Opposition ist nicht komplett gegen die Step-by-Step-Impfstrategie der Bundesregierung. Dennoch gibt es einige kritische Punkte zu klären, wie ein Streitgespräch zwischen Gesundheitsminister Jens Spahn und dem FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann zeigt.
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Die Verantwortungsdiffusion zwischen Bund und Ländern führt zu einer Konfusion in der Bevölkerung, kritisiert FDP-Gesundheitspolitiker Professor Andrew Ullmann.
© Christophe Gateau/dpa (Archivbild)
Berlin. „Bei dieser Pandemie hat keiner die Weisheit mit Löffeln gefressen. Was in einer kleinen Einheit, beispielsweise im Krankenhaus, durch Isolation und Surveillance möglich ist, das ist in einer gesamten Gesellschaft außerordentlich schwierig.“
Schon mit diesen ersten Sätzen beschränkte der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann im Diskurs mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei einer Online-Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung die Rolle seiner Fraktion.
Es gibt keinen Gegenentwurf der Opposition zur Step-by-Step-Strategie und Impfpolitik von Bundes- und Landesregierungen. Ullmann ist Professor für Infektiologie, er weiß, wovon er redet, und er weiß, wie viel nicht gewusst wird.
Doch einige kritische Anmerkungen zu den Entscheidungsprozessen sind oppositionelles Pflichtprogramm: Die Forderung nach stärkerer Einbindung des Bundestages, die bislang meist nur post hoc erfüllt worden sei, der Wunsch nach stärkerer Beteiligung des Gesundheitsausschusses und mehr Transparenz zur Verfügbarkeit von Impfstoffen.
Ist die Impfpriorisierung fair?
Weitere kritische Punkte: bessere Versorgung anderer Länder mit Impfstoffen wie Israel, Großbritannien und USA, Strategien zur globalen Bekämpfung der Pandemie, aber auch die Frage, ob die Priorisierung der Impfung fair ist. Und, so setzt Ullmann zunächst einen Schlusspunkt: Die Verantwortungsdiffusion zwischen Bund und Ländern führt zur Konfusion in der Bevölkerung.
Das greift Spahn gern auf: In der öffentlichen Zuschreibung lande am Ende nahezu alles an Verantwortung beim Bund, sogar die Bildung. Tatsächlich sei aber der Bund ohne die Leistung von Ländern und Kommunen nie in der Lage gewesen, die über 400 Impfzentren betriebsbereit zu bekommen.
Die Folge: unterschiedliche Organisationsformen und Ausgestaltungen. Spahn: „Ich bin mehr Koordinierungsminister als Entscheider.“
STIKO-Empfehlung „gut und richtig“
Doch wenn es in der Impfpolitik der nächsten Wochen und Monate konkret wird, werfen sich der Gesundheitsminister und der Infektiologe eher die Bälle zu. Sie streiten nicht gegeneinander, sondern miteinander.
Die STIKO-Entscheidung zum Einsatz der AstraZeneca-Vakzin: „Gut und richtig“, so Ullmann. Für die Zielgruppe der über 65-Jährigen sei die Datenlage noch nicht sehr aussagefähig. Möglich sei, dass die EMA die Daten besitze, sie aber – anders als in den USA – weniger schnell zugänglich mache.
Das werde nachgeliefert, hat die EMA laut Spahn zugesichert. Die erfreuliche Nachricht sei, dass der Wirkstoff die Übertragbarkeit von COVID-19 um 70 Prozent reduziere. Das mache die Impfung auch der unter 65-Jährigen sinnvoll. Jedenfalls dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass es verschiedene Klassen von Impfstoffen und dementsprechend von dafür infrage kommende Menschen gebe.
Spahn mahnte eine differenzierte Betrachtung des Impfstarts an: 10,1 Millionen Impfdosen sind – Stand 4. Februar – von Moderna und BioNTech geliefert, davon 2,7 Millionen verimpft, davon 800.000 bereits für die zweite Impfung. In Pflegeheimen seien 80 Prozent der Zielgruppe geimpft, 40 Prozent zweimal. Spahn: „Sobald die Zielgruppe der Heimbewohner durchgeimpft ist, kommen die Impfzentren ans Laufen.“
Hätte die Regierung anders verhandeln müssen?
Dennoch fragte Ullmann hartnäckig nach: Hätte man nicht energischer verhandeln, auch höhere Preise ins Spiel bringen müssen und können? Das Problem sei, dass sich in der Bevölkerung eine Pandemie-Fatigue breitmache, so Ullmann.
Die Antwort von Spahn: Nein, der Engpass sei derzeit die Produktionskapazität, die ausgebaut werde. Ferner Hilfsstoffe, für die es keine Puffer gebe. Aber, so seine Prognose: Mit Inbetriebnahme der Produktion in Marburg werde die Menge von Quartal zu Quartal steigen – auch ohne Prämien.
Trotz aller Anlaufschwierigkeiten und Ungewissheiten betonte Ullmann: Mit der einmalig raschen Entwicklung wirksamer Impfstoffe werde erstmals in einer Pandemie „mit einer rationalen Strategie reagiert“. Die Menschheit werde wohl dauerhaft in Koexistenz mit Corona-Viren und ihren Mutationen leben müssen. Möglichst breit wirkende Therapeutika seien daher stärker zu erforschen.