Volksabstimmung zum Transplantationsgesetz
Organspenden: Votieren die Schweizer für Widerspruchsregelung?
Sollen alle Menschen automatisch zu Organspendern werden, es sei denn, sie widersprechen explizit? Die Schweizer Bischofskonferenz lehnt das Widerspruchsmodell ab. Die Mehrheit der Bürger sieht es laut Umfragen anders.
Veröffentlicht:Zürich. Am Sonntag (15. Mai) stimmt die Schweiz über eine mögliche Änderung des Transplantationsgesetzes ab. Geht es nach der Politik, so braucht das Land einen Systemwechsel: weg von der Zustimmungslösung, hin zur Widerspruchslösung.
Bislang gilt, ähnlich wie in Deutschland: Nur bei einer Zustimmung dürfen Organe entnommen werden; also wenn ein Organspendeausweis vorliegt oder die Angehörigen den Willen der Verstorbenen kennen.
Allerdings gibt es auch in der Schweiz zu wenig Organspenden. „Die Spendezahlen sind verhältnismäßig niedrig, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung grundsätzlich für die Organspende ist“, kritisieren – Regierung und Parlament - und werben für den Systemwechsel.
166 Menschen in der Schweiz haben im vergangenen Jahr postmortal Organe gespendet. Das ist ein Höchstwert mit Blick auf die vergangenen zehn Jahre. Im Jahr 2011 hatte es nur 102 Spender gegeben (siehe nachfolgende Grafik).
713 Personen auf der Warteliste
Haben Verstorbene ihren Willen zu Lebzeiten nicht kundgetan, sollen nächste Angehörige nach dem mutmaßlichen Willen befragt werden. Sind keine Angehörige erreichbar und ist der Wille nirgends festgehalten, dürfen keine Organe entnommen werden. Die neue Regelung wird daher auch als „erweiterte Widerspruchslösung“ bezeichnet. Damit solle dieses Potenzial besser genutzt werden können – und Patienten auf der Warteliste bessere Chancen haben, ein Organ zu erhalten, argumentieren die Befürworter.
713 Personen warteten Ende vergangenen Jahres auf die Transplantation eines Organs, teilt das schweizerische Bundesamt für Gesundheit mit. Weitere 721 Personen werden auf der Liste mit dem Status „inaktiv“ geführt – sie kommen aus medizinischen Gründen zurzeit nicht für eine Transplantation in Frage.
Die Kritiker der geplanten Gesetzesänderung sehen das anders. Dazu gehört auch die Bioethik-Kommission der Schweizer Bischofskonferenz. Sie bezweifelt, dass die Widerspruchslösung zu mehr Organspenden führt.
Beispiele der Nachbarländer und weltweit hätten gezeigt, dass sich ein Wechsel von der Zustimmungs- zur Widerspruchsregelung negativ auf die Spenderate auswirken könne, zitiert die bischöfliche Kommission die Nationale Ethikkommission. Auch habe es in manchen Kantonen früher bereits das Widerspruchsmodell gegeben – doch man sei davon wieder abgekommen, wegen zu weniger Organspenden.
„Schweigen heißt nicht Zustimmung“
Kern der Kritik der bischöflichen Kommission ist aber die Menschenwürde, die sie in Gefahr sieht. „Schweigen heißt nicht Zustimmung“, so argumentiert sie. Die Widerspruchsregelung verletze das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.
Der Luzerner Ethiker Peter Kirchschläger zeigt sich überzeugt: „Nur weil einige andere Länder etwas ethisch Problematisches tun, sollte die Schweiz nicht auch etwas ethisch Problematisches tun. Die Widerspruchslösung wäre ein Bruch mit dem liberalen Rechtsstaat und eine Verletzung der Menschenrechte auf Freiheit und auf körperliche Unversehrtheit.“
Den Abstimmungswahlkampf nimmt Kirchschläger als engagiert und emotional war. Es sei für die Kritiker des Transplantationsgesetzes schwierig, den Argumenten von Menschen etwas zu erwidern, die dringend auf ein Organ warten. „Wegen einer starken Lobbyorganisation wie Swisstransplant auf der Seite der Befürworter liegt der Fokus hauptsächlich auf den Organ-Empfangenden und viel zu wenig auf den direkt Betroffenen, den Spenderinnen und Spendern“, kritisiert der Ethiker.
Befürworter der Widerspruchslösung liegen nach Umfragen vorn
Die Bischöfe selbst halten sich im Abstimmungskampf zurück und lassen die Mitglieder der Bioethik-Kommission sprechen. Der Schweizerische Katholische Frauenbund konnte sich nicht auf eine Wahlempfehlung einigen.
Laut Umfragen liegen die Befürworter der Widerspruchslösung klar vorn. Ein solches Ergebnis am Sonntag könnte auch die Diskussion in Deutschland neu befeuern. Denn dann wären Deutschland, Irland oder Litauen europaweit die einzigen Länder, in denen die Zustimmungslösung noch gilt.
Im Januar 2020 hatte der Deutsche Bundestag eine Gesetzesinitiative zur Einführung der Widerspruchslösung mehrheitlich abgelehnt. Die Abgeordneten votierten stattdessen für eine Regelung, die die Entscheidungsbereitschaft zur Organspende stärken soll.
Soll sollen Menschen, wenn sie auf Bürgerämtern beispielsweise einen Personalausweis beantragen oder verlängern, auf die Organspende angesprochen werden. Geplant ist, dass sie sich dort in ein Online-Register eintragen können – doch dessen Umsetzung auf Landesebene stockt. (KNA/fst)