Hintergrund

Pflege-Assistenzsysteme – Spagat zwischen Fortschritten und Rückschlägen

Assistive Technologien könnten in Zukunft das Personal in Pflegeheimen bei der Arbeit entlasten. Der jetzt in Frankfurt vorgestellte Roboter Pepper zeigt aber exemplarisch, wie hoch die Hürden für einen flächendeckenden Einsatz im Versorgungsalltag noch sind.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Der humanoide Roboter Pepper mit Professor Frank Dievernich (l.), Präsident der Frankfurt University of Applied Sciences, Robotikexpertin Professor Barbara Klein und Hessens Staatsminister Axel Wintermeyer.

Der humanoide Roboter Pepper mit Professor Frank Dievernich (l.), Präsident der Frankfurt University of Applied Sciences, Robotikexpertin Professor Barbara Klein und Hessens Staatsminister Axel Wintermeyer.

© Hessische Staatskanzlei

Der Demografiewandel wird Deutschland in Zukunft fest im Griff haben. Zusätzlich wird die Pflege von einem anhaltenden Fachkräftemangel geprägt sein, da es den Pflegeberufen offenbar an Attraktivität fehlt und viele Fachkräfte nicht lange in dem kräftezehrenden Job bleiben. Um das qualifizierte Pflegepersonal deshalb künftig systematisch und effizient im Versorgungsalltag zu entlasten, läuft die Forschung an assistiven Robotersystemen für die Pflege auf Hochtouren. "Wir reden nicht von Pflegerobotern, da die Systeme nicht die Pflegearbeit der Fachkräfte übernehmen. Assistive Systeme sollen zum Beispiel in Pflegeheimen die Fachkräfte im Arbeitsalltag unterstützen", stellte Professor Barbara Klein, Leiterin der Forschungsgruppe Assistive Technologien an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), am Donnerstag vor Journalisten klar.

Anlass war die Sommerreise von Staatsminister Axel Wintermeyer, Chef der Hessischen Staatskanzlei und Demografie-Beauftragter der Landesregierung, bei der er in Frankfurt Station machte, um die an der UAS seit 2013 etablierte Ausstellung "Barrierefreies Wohnen und Leben" zu besuchen, bei der Klein als Koordinatorin fungiert. Das Highlight stellt der jüngst angeschaffte humanoide Roboter Pepper dar, den Kleins Student Kerem Türkogullari für den Einsatz in Pflegeheimen programmiert.

Individuelle Betreuung und Interaktion im Fokus

Pepper wird von dem japanischen Roboterspezialisten Softbank Robotics als Plattform ausgeliefert. Nach Unternehmensangaben ist es der weltweit erste humanoide Roboter, der bei seinem Gegenüber Emotionen wahrnehmen und situationsgerecht reagieren kann. Will Nestlé zum Beispiel in Japan rund 1000 Verkaufsstellen mit Pepper ausstatten, damit dieser Kunden individuell beraten kann, feilt Türkogullari daran, ihn fit für assistive Pflegetätigkeiten zu machen. Die Programmierung kommt dabei fast einer Sisyphosarbeit gleich – quod erat demonstrandum.

Gefüttert mit einem Foto des Staatsministers und dessen Namen, meistert er den Small Talk mit Wintermeyer. Auf Wintermeyers wiederholte Frage, ob er ihn kenne, antwortet Pepper – unter schallendem Gelächter der Anwesenden – mit "Ja, Barbara". Türkogullari betrachtet die Causa nüchtern aus der Programmiererperspektive. Die Lichtverhältnisse im Untergeschoss der Hochschule seien etwas schwierig für Pepper, wenn es darum gehe, ein Gesicht eindeutig zu fokussieren. Im konkreten Fall habe sich Pepper auf Klein fokussiert, die dicht neben Wintermeyer stand, vermutet er. Der Faux-pas hat aber durchaus seine Praxisrelevanz. Denn im Pflegealltag soll Pepper Heimbewohner individuelle ansprechen und sie aufmuntern – da sollte die Ansprache stimmen.

Wie Klein verdeutlichte, hätten Versuche ihrer Studenten mit Pepper in Pflegeheimen bisher bei vielen Bewohnern eine überwiegend positive Resonanz erfahren. Im Vordergrund hätten hier sprachliche Interaktionen gestanden. Pepper könnte zum Beispiel auch eingesetzt werden, um Heimbewohner an anstehende Tabletteneinnahmen zu erinnern. Da er bisher noch kein Tablett tragen könne, um zum Beispiel ein Glas Wasser zu transportieren, solle auch daran gearbeitet werden, so Klein.

Wintermeyer zeigte sich in seiner kurzen Ansprache durchaus offen für das Potenzial, das Pepper und andere assistive Roboter, wie zum Beispiel die in Japan und Deutschland eingesetzte Pflegerobbe Paro, bieten. "Eine Gesellschaft wie unsere, in der die Bürgerinnen und Bürger immer älter werden, muss innovative Lösungen finden, um ihren verschiedenen Bedürfnissen und Lebenssituationen gerecht zu werden", so Hessens Demografiebeauftragter.

Viele offene Baustellen wie Datenschutz und Ethik

Zugleich verwies Wintermeyer aber auf Bedenken der Bevölkerung, sich nicht von Robotern pflegen lassen zu wollen, sowie auf datenschutzrechtliche und ethische Aspekte, die beim flächendeckenden Einsatz assistiver Robotersysteme noch zu berücksichtigen seien. Wie Klein verdeutlichte, finde hier ein intensiver interdisziplinärer Dialog der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen statt.

Weiterhin offen ist derweil, ob die Europäische Union die Robotik künftig regulieren will. Im Februar hatte das EU-Parlament eine Entschließung verabschiedet, in dem es die EU-Kommission auffordert, sich stärker dem Themenkomplex der Robotik zu widmen – und mit dem Gedanken spielt, eine Europäische Agentur für Robotik einzurichten.

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