Kongress „Pflege 2021“
Pflege zwischen Auf- und Abbruch
Die Politik lobt die großen Leistungen der Pflege in der Pandemie. Berufsvertreter erwarten aber von Spahn, Giffey und Heil mehr als warme Worte, wie sich auf dem Kongress „Pflege 2021“ von Springer Pflege zeigte.
Veröffentlicht:Berlin. Früher war beim Thema Pflege weniger Politik im Raum. So gesehen hat sich einiges getan in Deutschland. Dass sich gleich drei Bundesminister – Franziska Giffey (SPD), Jens Spahn (CDU) und Hubertus Heil (SPD) – bei der Eröffnung des Fachkongresses „Pflege 2021“ von Springer Pflege zur Akut- und Langzeitpflege äußerten, ist Indiz dafür. Der Auftritt des Minister-Trios vergangene Woche in Berlin zeigt: Die Politik ist sichtlich um mehr Wertschätzung für die rund 1,2 Millionen Pflegekräfte bemüht.
Corona hat das Bemühen nochmals getriggert. Pflegefachkräfte leisteten „Großes“, das habe die Pandemie allen klar gezeigt, sagte Gesundheitsminister Spahn. Ziel der Bundesregierung sei es, den Pflegeberuf zu stärken und die Pflege in die Telematik-Infrastruktur einzubinden.
Pflegekräfte hätten die Wertschätzung in Politik und Gesellschaft sehr wohl registriert, sagte Sabine Brase, Pflegedirektorin am Klinikum Darmstadt. „Aber sie sagen auch, dass das zu konkreten Schritten führen muss.“ Applaus und schöne Worte reichten nicht. Es gehe um „dauerhafte Gleichberechtigung mit der gleichen Anerkennung wie bei den anderen Professionen auch“.
Viele drehen Beruf den Rücken zu
Bereits weit vor der Coronakrise habe die Pflegeprofession auf Dienste im Laufschritt und zu wenig Partizipation bei gesundheitspolitischen Entscheidungen hingewiesen, so Brase. Lohn- und vor allem Arbeitsbedingungen müssten besser werden, sonst drehten weiterhin zu viele Pflegekräfte dem Beruf den Rücken zu. „Es muss doch möglich sein, in einem Beruf wie der Pflege lebenslang tätig zu sein.“
Corona bringe für die Pflegebeschäftigten in Krankenhäusern große Herausforderungen mit sich, berichtete Brase über Untersuchungen an ihrem Klinikum zum Umgang mit der Pandemie. Die Ergebnisse stimmten nachdenklich. Häufig seien Pflegekräfte die einzigen Kontaktpersonen für Patienten. Sehr belastend sei auch die Angst, sich selber anzustecken – vor allem zu Beginn sei Schutzmaterial Mangelware auf vielen Stationen gewesen. „Pflegekräfte sind zwischen Pflichterfüllung und Angst hin und her gesprungen“, sagte Brase. Sie habe daher schon die Sorge, dass die Pandemie „traumatisch“ auf manche der Kollegen wirke.
„Seit Jahrzehnten Bevormundung“
„Was die Pflege seit Jahrzehnten erlebt, ist Bevormundung. Man verweigert uns, wie eine Profession zu handeln“, adressierte die Vize-Chefin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogler, an die politisch Verantwortlichen. Pflegekräfte bräuchten endlich eine berufspolitische Vertretung, die das hauptamtlich und nicht – wie aktuell im Pflegerat – via Ehrenamt erledige.
Die Politik agiere in „Vier-Jahres-Zyklen“, so Vogler. Vieles werde angedacht, angeschoben und wieder ad acta gelegt. Es brauche aber langfristige Lösungen. In den nächsten zehn Jahren gingen rund 500.000 Pflegekräfte in Rente. Aktuell schaffe man es gerad, 40.000 Menschen im Jahr auszubilden – „wenn wir gut sind“. Und die Quote derer, die vorzeitig hinschmeißen, sei groß, gab Vogler zu bedenken.
Bei der Frage der Arbeitsbedingungen seien nicht nur Politik und Kassen, sondern auch die Krankenhäuser als Arbeitgeber gefordert, betonte der designierte Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Dr. Gerald Gaß. Die Krankenhäuser seien in den vergangenen 15 Jahren allerdings „gezwungen“ gewesen, immer mehr zu rationalisieren. Der „Effizienzdruck“ habe mit Einzug der Fallpauschalen zugenommen, teilweise sei die „Schraube“ überdreht worden, kritisierte der Klinikmanager.
„Zu Einsparungen gezwungen“
Dass der Rationalisierungsdruck stärker bei der Pflege als beim ärztlichen Dienst der Krankenhäuser gelandet sei, nannte Gaß ein „Versagen des gesamten Systems“. Als Teil davon trage auch das Management Mitverantwortung. Mittel- und langfristig gehe es darum, jungen Menschen Entwicklungsmöglichkeiten im Pflegeberuf aufzuzeigen. Viele wollten nicht mehr 40 Jahre lang auf der gleichen Station Dienst leisten. Nötig sei eine stärkere Akademisierung des Berufs.
20 Prozent akademisierte Pflegekräfte seien eine „gute“ und international bewährte Quote. Auf diese Weise könnten Pflegekräfte „höherwertige Aufgaben eigenverantwortlich“ übernehmen – nicht nur im Management, sondern auch in der Pflege der Patienten“. Dafür müssten die Krankenhäuser heute schon die Rahmenbedingungen schaffen. „Wir brauchen einen Aufbruch“, appellierte Gaß. „Ansonsten erleben wir große Enttäuschung bei den jungen Menschen, wenn sie nach ihrem Master- oder Bachelorabschluss quasi das Gleiche machen wie diejenigen, die eine normale Ausbildung durchlaufen haben.“
Dass bei der Pflege gespart wurde, sei auch dem „Renditedruck“ einiger großer privater Träger geschuldet gewesen, wendete Arbeitsminister Heil ein. Die Folgen seien Arbeitsverdichtung, keine adäquate Personalbemessung und Gehälter, „die nicht angemessen sind“. Geld sei nicht alles, „aber ohne Geld ist eben alles nichts“.
In der Altenpflege habe das Problem schlechter Entlohnung auch mit „mangelnder Tarifbindung“ zu tun, so Heil. Nur 20 Prozent der Beschäftigten würden nach Tarif bezahlt. Ein „allgemeinverbindlicher Tarifvertrag“ werde Lohn- und Arbeitsbedingungen „konkret verbessern“. Wenn jetzt dagegen geklagt werde, müsse man „da durch“, erklärte Heil mit Blick auf die Ankündigung von Pflegearbeitgebern, gegen einen branchenübergreifenden Tarifvertrag Klage einzureichen.
Die Konzertierte Aktion Pflege habe zahlreiche Ideen und Vorschläge hervorgebracht, um die Situation der Pflege zu verbessern. Das gehöre jetzt umgesetzt, forderte der Pflege-Bevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus. Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen, sei ein Baustein. „Wir sollten unsere Hausaufgaben aber besser zu Hause machen.“
Kann ein Pflegeregister helfen?
Pflegende müssten die Chance haben, „mitzugestalten, sie müssen an allen Tischen sitzen, in denen es um Pflege geht. Sie haben die Expertise“, so Westerfellhaus. Eine selbstverwaltete Pflege berge Vorteile auch für die die Versorgung. Westerfellhaus illustrierte das an den Intensivpflegekapazitäten. Dank DIVI-Register wisse man, wie viele Intensivbetten es gebe und wie es um die Belegung stehe. Ein Register zur Zahl der Intensivpflegekräfte gebe es aber nicht. Eine Pflegekammer könne diese Daten erheben.
Westerfellhaus machte sich zudem für einen Neuzuschnitt der Aufgaben der Gesundheitsfachberufe stark. „Ohne einen Qualifikationsmix wird es nicht gehen.“ Es sei „Ressourcenverschwendung“, Pflegekräfte auszubilden, um sie dann „zu Assistenten zu degradieren“.
Wertschätzung sei aber auch eine Frage der Terminologie. So müsse die Politik aufpassen, Pflegekräfte durch eine „sehr ungeschickte Terminologie vom Helden zum Buhmann zu machen“, spielte Westerfellhaus auf Forderungen nach einer Impfpflicht für Pfleger an.
Familienministerin Giffey bezeichnet die Akademisierung als gute Chance, um Perspektiven zu vermitteln. Grundsätzlich wünsche sie sich eine nach vorne gerichtete Debatte. „Es ist wichtig, eine Entwicklung aufzuzeigen.“ Und es seien „gute Weichen“ gestellt worden.