Suche nach Pflegefachkräften

Probelauf für Vier-Tage-Woche im Klinikum Bielefeld

Immer mehr Bedarf in der Pflege, immer weniger Nachwuchskräfte – und die Fachkräfte fühlen sich immer häufiger überlastet. Kann das Modell der Vier-Tage-Woche Entlastung bringen? Das Klinikum Bielefeld startet ein Pilotprojekt für Pflegekräfte.

Von Timo Lemmer Veröffentlicht:
Am Klinikum Bielefeld soll ab Juli auf einer neugegründeten Station die Viertage-Woche getestet werden.

Am Klinikum Bielefeld soll ab Juli auf einer neugegründeten Station die Viertage-Woche getestet werden.

© Martin Meissner / ASSOCIATED PRESS / picture alliance

Bielefeld/Düsseldorf. Jahrelanger Pflegenotstand mit teils dramatischer Unterbesetzung in Kliniken und Einrichtungen - das Image des Pflegeberufs: selbst ein Patient. Insbesondere Arbeitsbedingungen und Bezahlung stehen schon seit Langem im Fokus. Dabei kommen in Deutschland nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit auf 100 offene Stellen nur 33 arbeitslose Pflegefachleute.

Das Klinikum Bielefeld geht jetzt probeweise neue Wege und greift dabei eine generelle Debatte über Arbeit der Zukunft auf: Die Vier-Tage-Woche startet im Sommer auf einer neuen internistischen Station mit 30 Betten als Pilotprojekt für Pflegekräfte. Pflegeexperten und Verbände fragen sich: Kann das funktionieren?

Der NRW-Vertretung des Berufsverbandes für Pflegeberufe ist neben dem Versuch in Ostwestfalen kein weiterer dieser Art im Land bekannt - deutschlandweit gibt es nur wenige vergleichbare.

Der Berufsverband, die Pflegekammer NRW und Verdi befürworten diesen Vorstoß im Gespräch mit der dpa grundsätzlich. Paulina Heckmann, Pflegerin auf einer Intensivstation in Köln-Kalk, schließt sich an: „Die Aussicht auf einen Tag mehr frei fände ich gut und motivierend.“

Meinungen unter den Pflegekräften gehen auseinander

Wie das Konzept funktioniert? Heckmanns Kollegen im ab Juli geplanten Pilotprojekt sollen vier statt fünf Dienste in der Woche leisten, garantiert jedes zweite Wochenende frei haben – und sich auf Dienstpläne verlassen können, so das Klinikum. „Frei“ soll auch „frei“ bedeuten.

Derzeit laufe die interne und externe Stellenausschreibung für 30 Vollzeitstellen für die neugegründete Station, sagt Geschäftsführer Michael Ackermann. „Wir wollen Anreize für den Job setzen.“ Man setze eine Anregung aus der Mitarbeiterschaft um. Bereits nach zwei Wochen stehe die erste Überprüfung des Modells an.

Aber: Die Wochenarbeitszeit soll sich dabei insgesamt nicht verkürzen. Tariflich sei schließlich eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden für eine Vollzeitstelle vorgesehen, so Ackermann. Das gibt wiederum den Pflegevertretern zu denken. Sie argumentieren, dass die Belastung sich nicht verringere, wenn der gleiche Arbeitsumfang in weniger Tagen geleistet werde.

Auch Pflegerin Heckmann betont: „Solch lange Schichten können extrem fordernd sein. Wir haben das auch mal im Team diskutiert. Vor allem die Jüngeren waren dafür, die Erfahreneren eher dagegen.“

Mehr Zeit für Übergaben

Ackermann vom Klinikum Bielefeld indes betont, dass der Freizeitanteil steige. Und: Durch die längere Schichtdauer von 9,5 Stunden überlappten sich Früh- und Spätschicht nun zweieinhalb Stunden statt 45 Minuten. Das bedeute letztendlich: mehr Hände für die Patienten - mehr Zeit für Übergaben.

Den allgemeinen Denkanstoß begrüßen Interessensgruppen und Gewerkschaft. Nur so sei langfristig der immense Bedarf zu decken. Es sei „unglaublich wichtig“, verschiedene Arbeitszeitmodelle auszuprobieren, sagt NRW-Pflegekammer-Präsidentin Sandra Postel.

Das Statistische Bundesamt hat berechnet, dass bis 2055 allein in NRW fast 1,6 Millionen pflegebedürftige Menschen zu erwarten sind. Das ist ein Zuwachs um etwa 400.000 im Vergleich zu 2021. Ein Job mit Zukunftsperspektive also. Doch die allein lockt offensichtlich nicht: Dass der Rückgang neuer Pflege-Azubis in NRW besonders drastisch ausfällt, stellte das Bundesamt ebenfalls fest.

Zahl der Wochenarbeitsstunden bleibt gleich

Tim Bergmann, Gewerkschaftssekretär bei Verdi im Pflege-Fachbereich, pflichtet der Pflegekammer-Präsidentin bei. Längere Erholungsphasen seien ein wichtiges Instrument, aber nicht bei identischer Wochenleistung: „Wir reden von einem körperlich wie mental sehr fordernden Beruf.“

Postel kritisiert gar den Begriff „Vier-Tage-Woche“. Dieser sei dann „unlauter“, „wenn am Ende niemand weniger gearbeitet hat“. Das sei kein Geschenk an die Mitarbeiter, sondern lediglich eine Umstrukturierung. Einen möglichen Flickenteppich verschiedener Arbeitszeitmodelle könnte aus seiner Sicht gar die Personalprobleme der Branche noch verschärfen. „Wir müssen aufpassen, dass sich Einrichtungen nicht gegenseitig das Personal entziehen“, mahnt er.

Dennoch: Viele mögliche Vorteile des Modells lägen auf der Hand, argumentiert Postel. Sie verweist auf Beispiele aus Österreich. Wenn die Belegschaft hinter der Vier-Tage-Woche stehe, bringe die Umsetzung für alle etwas. Die Pflege suche ihre Zukunftsfähigkeit und stehe unter massivem Druck - notwendig seien neue Wege also allemal.

Setzt ein Domino-Effekt ein?

Gewerkschafter Bergmann blickt indes deshalb auch positiv auf den Versuch in Bielefeld, weil er von einem Domino-Effekt ausgeht: „Wenn der erste Maximalversorger auf vier Arbeitstage umstellt, werden die anderen im Wettbewerb um Fachkräfte nachziehen.“

Dass in der Pflegebranche intensive Diskussionen darüber geführt werden, wie es weitergehen kann, das befürwortet auch Paulina Heckmann. Sie persönlich findet, „zwei Stunden mehr am Tag machen den Braten auch nicht mehr fett“, weiß aber auch, dass das andere Teammitglieder ihrer Station anders sehen.

Ihr Wunsch: verschiedene Arbeitszeitmodelle, so dass alle glücklich sind - und letztlich die Patienten profitieren. (dpa)

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