Grundgesetzwidrig?
Pflegetarif der Koalition steht in der Kritik
Mit der Konzertierten Aktion Pflege strebt die Koalition auch einen einheitlichen Tarifvertrag für die Branche an. Ein Verfassungsrechtler äußert dagegen schwere Bedenken.
Veröffentlicht:BERLIN. Das selbst gesteckte Ziel der Koalition, bis Mitte des Jahres die Konzertierte Aktion Pflege konkret mit Leben zu füllen, gerät unter Druck.
Am Mittwoch hat der ehemalige Verfassungsrichter Professor Udo di Fabio „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag in der Pflege“ geäußert.
Einen flächendeckenden Tarifvertrag strebt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil an. Dieses Ziel hatte er zum Auftakt der Konzertierten Aktion für die von ihm geleitete Arbeitsgruppe 5 „Entlohnungsbedingungen in der Pflege“ ausgegeben.
Zweifel an Verfassungsmäßigkeit
Die Verfassungsmäßigkeit eines solchen Vorgehens zweifelt di Fabio in einem Gutachten an, das er für den bpa-Arbeitgeberverband (bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste) erstellt hat.
Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung sei ursprünglich dafür gedacht, eine Mehrheit gegen eine Minderheit zum Beispiel von Lohndumpern zu schützen.
Nun sei aber geplant, per ministeriellen Erlass einen Tarifvertrag mit Außenseiterstatus auf die Mehrheit auszudehnen. Ein solches Vorgehen befinde sich nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und der aktuellen fachlichen Auslegung der einschlägigen Paragrafen, durch das Bundesarbeitsgerichts, sagte di Fabio am Mittwoch in Berlin.
Damit würde der marktwirtschaftliche Wettbewerb in der Pflegebranche de facto ausgeschlossen, argumentierte di Fabio. Alle Wettbewerbsfaktoren wie Preise, Qualität und Löhne würden in dem ohnehin stark regulierten Pflegesektor getroffen.
"Zunehmende Übergriffigkeit" des Staates
Der Grundrechtsexperte betonte, dass es bei einem so weitreichenden Eingriff in die verfassungsrechtlichb garantierte Tarifautoniomie im Kern auch um das Wie der Erstreckung eines Tarifvertrags gehe.
Wenn die Koalition für eine Branche mit schwachem Organisationsgrad sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite zum Beispiel eine Tariferstreckung formal korrekt abwickeln wolle, müsse sie einen Bundestagsbeschluss dazu herbeiführen, dem auch die Länderkammer zustimmen müsse.
Voraussetzung sei dann aber ein hinreichendes öffentliches Interesse, zum Beispiel ein ausgeprägter Pflegenotstand. Der Präsident des bpa-Arbeitgeberverbands Rainer Brüderle bezeichnete die Ankündigungen Heils als Beispiel „zunehmender Übergriffigkeit“ des Staates.
Die Ergebnisse di Fabios seien ein „deutliches Signal an die Politik, den Weg der Allgemeinverbindlichkeitserklärung nicht zu beschreiten, so Brüderle.
Kein Verdrängungswettbewerb in der Altenpflege
Der vollständige Wortlaut des Gutachtens bleibt vorerst unter Verschluss. Da es Gegenstand einer Verfassungsklage gegen die Konzertierte Aktion Pflege werden könne, wolle man dem potenziellen Prozessgegner nicht schon im Vorfeld Material liefern, sagte Brüderle.
Ein vom Minister für verbindlich erklärter Tarif würde für die kirchlichen Arbeitgeber aufgrund deren Sonderstellung nicht gelten. Dennoch kommt auch von dort Kritik an den Plänen der Konzertierten Aktion Pflege.
Öffentliches Bild zu negativ
Das Bild über die Arbeitsbedingungen in der Pflege werde in der Öffentlichkeit viel zu negativ dargestellt, sagte Norbert Altmann als Sprecher der Caritas-Arbeitgeber am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Berlin.
Ausweislich einer Erhebung der Caritas liegen die Einstiegsgehälter für qualifizierte Pflegekräfte Stand 2018 bei zwischen 2260 Euro (AWO, DRK, Parität) und 2710 kommunale Anbieter.
Die Obergrenzen lägen grob gerechnet zwischen 3240 und 3390 Euro im Monat ohne Zulagen. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte im September 2018 Löhne von zwischen 2500 und 3000 Euro für die Pflege gefordert.
Die Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt zumindest für die Caritas zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der Beschäftigten in der Altenhilfe Vollzeit arbeiten. 37 Prozent der Arbeitnehmer seien länger als zehn Jahre im Beruf.
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