Kommentar zur Ethikrat-Stellungnahme
Pflegetipps aus dem Elfenbeinturm
Der Ethikrat beschäftigt sich zu recht mit dem Spagat zwischen Infektionsschutz und Teilhabe in der Pflege. Doch seine Appelle stammen zu sehr aus der Gelehrtenstube.
Veröffentlicht:Die Coronalage in Pflegeheimen hat sich zuletzt zugespitzt. Die Zahl der Bewohner, die an oder mit COVID-19 versterben, steigt laut Robert Koch-Institut dramatisch. Zum Schutz von Bewohnern und Personal sei daher alles nur Erdenkliche zu tun, mahnen Politiker wie Virologen unisono.
Kontakte aufs Nötigste beschränken, Hygieneauflagen verschärfen, Schnelltests – die Palette der gut gemeinten Ratschläge ist lang. Allein die Frage, was das alles mit den älteren Menschen in den Einrichtungen der Langzeitpflege macht, lassen viele unbeantwortet.
Daher ist es gut, dass der Ethikrat nun Stellung bezieht und sechs Empfehlungen formuliert, wie sich der Spagat zwischen Infektionsschutz einerseits und Teilhabe andererseits bewerkstelligen lässt. Die Botschaft ist so schlicht wie eindringlich: Heimbewohner und Personal brauchen mehr Unterstützung, sonst kollabieren sie unter der Last der Pandemie.
Doch mehr als einen gut gemeinten Appell haben auch die Professoren nicht zu bieten. „Das Mindestmaß an sozialen Kontakten sollte nicht abstrakt und generell, sondern aus der individuellen Sicht des jeweiligen Bewohners und seiner Lebenssituation bestimmt werden“ – Sätze wie diese klingen eher nach Gelehrtenstube denn nach gelebter Pflegerealität.
Die Pflegebranche klagt seit Langem über Personalmangel aller Orten. Doch ohne ausreichend Personal lässt sich keine „individuelle“ Pflege sicherstellen – schon gar nicht in einer Pandemie, in der das wenige Personal auch noch verschärfte Hygieneanforderungen zu bedienen hat.
Freilich: Es ehrt die Ethikprofessoren, dass sie die Politik daran erinnern, dass die personellen Engpässe in der Langzeitpflege lange – viel zu lange – ignoriert worden sind. Genau das rächt sich jetzt. Leidtragende sind die Menschen, die großen Schutz und viel Zuwendung bedürfen – und jene, die sich um diese Schutzbedürftigen kümmern. Ein Armutszeugnis!
Schreiben Sie dem Autor: thomas.hommel@springer.com