"RKI-Mitarbeiter nutzten die unbegrenzten Forschungsmöglichkeiten ohne Skrupel"

In die Verbrechen des Nationalsozialistischen Regimes war das Robert Koch-Institut weit mehr verwickelt als bisher angenommen. Das hat eine Studie des Instituts für Medizingeschichte der Charité Universitätskliniken Berlin ergeben.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
1. April 1942: NS-Staatssekretär Leonardo Conti spricht bei einem Festakt im Hörsaal des Robert Koch-Instituts zu den Mitarbeitern.

1. April 1942: NS-Staatssekretär Leonardo Conti spricht bei einem Festakt im Hörsaal des Robert Koch-Instituts zu den Mitarbeitern.

© Foto: RKI

Die Geschichte der Untaten des Robert Koch-Instituts (RKI) während der NS-Zeit beginnt mit dem Verhalten der Mitarbeiter zur Entlassung jüdischer Kollegen 1933. "Protestbekundungen gegen das staatliche Vorgehen sind nicht dokumentiert", heißt es in der Studie, die auch feststellt, dass einige RKI-Mitarbeiter lange vor 1933 NSDAP-Mitglieder waren. Doch sollte es nicht bei den persönlichen Verstrickungen einzelner Wissenschaftler bleiben.

Aktive Beteiligung an Menschenversuchen

Das Institut sei darüber hinaus als Einrichtung der Gesundheitsverwaltung und über Forschungsprojekte einzelner Abteilungen in die nationalsozialistische Vernichtungspolitik einbezogen gewesen, so Studienautorin Annette Hinz Wessels. Angesichts des tatsächlichen Ausmaßes der Beteiligung erscheint es ihr "nicht gerechtfertigt nur von einzelnen Wissenschaftlern zu sprechen".

Besonders gravierend beurteilt die Autorin die Mitwirkung und zum Teil aktive Anregung von Menschenversuchen an Insassen der Konzentrationslager, bei denen ein tödlicher Ausgang von vornherein einkalkuliert war. "Sie macht die systematische Herabstufung von KZ-Häftlingen zu menschlichen ‚Meerschweinchen‘ augenfällig", so die Studie. In die bekannten tödlichen Versuche mit dem Fleckfieberimpfstoff waren demnach sowohl der Präsident des Robert Koch-Instituts als auch der Vizepräsident involviert. Außer dem Nationalsozialisten der ersten Stunde Gerhard Rose, RKI-Abteilungsleiter für Tropenmedizin tauchen vor allem drei Namen immer wieder im Zusammenhang mit der Vernichtungspolitik der Nazis auf: Eugen Gildemeister, geschäftsführender Direktor und Vizepräsident des RKI, der Virologe Eugen Haagen als RKI-Abteilungsleiter und Roses Vorgänger als tropenmedizinischer Abteilungsleiter Claus Schilling. Sie alle waren laut Studie "an Infektionsversuchen mit einkalkuliertem tödlichen Ausgang beteiligt, bei denen Menschen wie ‚guiney pigs‘ zur Qualitätsprüfung von Impfstoffen oder neuartigen Behandlungsmethoden eingesetzt wurden."

Dass die Beteiligung des RKI an den nationalsozialistischen Gräueltaten ein derart erschreckendes Ausmaß erreichen konnte, führt die Studie auf ein Konglomerat struktureller Bedingungen zurück. Zum einen attestiert sie den Medizinern der damaligen Zeit eine überdurchschnittlich hohe Anfälligkeit für nationalsozialistisches Gedankengut. Das sei unter anderem daran abzulesen, dass Ärzte unter allen akademischen Berufsgruppen den höchsten Organisationsgrad aufwiesen. Fast 45 Prozent waren 1937 den Angaben zufolge NSDAP-Mitglieder.

Institut hat sich seiner Vergangenheit stellen müssen

Eine Ursache dafür sieht die Studienautorin darin, dass die Eugenik bereits in der Weimarer Republik zur medizinischen Leitwissenschaft aufgestiegen sei. Eine weitere Voraussetzung sieht die Studie in dem grundsätzlichen Wandel, der sich im Nationalsozialismus in der Medizin vollzog. Nicht mehr der einzelne Patient, sondern der so genannte Volkskörper habe die Richtschnur ärztlichen Handelns gebildet. Da das RKI immer auch Hygiene-Institut zur Seuchenbekämpfung war, lag diese gesamtgesellschaftliche Orientierung ohnehin näher als der Blick auf den einzelnen Patienten. Zum Dritten nutzten nicht wenige RKI-Wissenschaftler "bereitwillig und ohne Skrupel", wie es in der Studie heißt, die fast unbegrenzten Forschungsmöglichkeiten, um ihren Forscherehrgeiz zu befriedigen. Zur institutionellen Beteiligung des RKI habe auch beigetragen, dass das Institut zwischen 1935 und 1942 eng mit staatlichen Aufgaben betraut war. "Die Versuche an den Insassen von Konzentrationslagern und anderen Zwangseinrichtungen erklärt dies jedoch nicht."

Das RKI hat sich seiner Vergangenheit nun stellen müssen. "Für das Übertreten humanistischer Grundsätze, für die Verletzung der Würde und der körperlichen Unversehrtheit gibt es zu keiner Zeit der Welt eine Rechtfertigung, auch wenn die Mehrheit ein solches Verhalten toleriert oder sogar fordert", sagte der gegenwärtige RKI-Präsident Jörg Hacker bei der Präsentation der Studie. Noch in seiner Jubiläumsschrift zum 100-jährigen Bestehen im Jahr 1991 hat das Institut die Beteiligung an NS-Verbrechen als bloße personelle Verstrickungen darstellen lassen.

Annette Hinz-Wessels: Das Robert Koch-Institut im Nationalsozialismus, Berlin 2008.

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