Coronavirus-Pandemie
RKI-Vize Schaade: Gehen von konstanter Ansteckungsrate aus
Die Reproduktionszahl bei SARS-CoV-2 könnte laut Robert Koch-Institut auch in den kommenden Tagen um die 1 herum liegen. Der Grund: Die Zahl täglicher Neuinfektionen verringere sich kaum und nähere sich einem Plateau an. Unsicherheiten bleiben.
Veröffentlicht:Berlin. Der Reproduktionszahl – R-Wert genannt – schenken Ärzte, Virologen, Politiker, ja die gesamte Republik in der Coronavirus-Pandemie derzeit viel Aufmerksamkeit. Doch was genau verbirgt sich hinter dem R-Wert – und wie aussagekräftig ist er überhaupt?
Das Robert Koch-Institut (RKI) hat am Dienstag versucht, Antworten darauf zu geben. Letzte Woche hatte das Institut noch angekündigt, seine regelmäßigen Pressebriefings einzustellen. Weil der R-Wert für Deutschland seit dem vergangenen Samstag „wieder leicht über 1 liegt, machen wir dieses Briefing heute“, sagte RKI-Vize Professor Lars Schaade am Dienstag in Berlin.
Die Reproduktionszahl sei ein „schwieriges Thema“, betonte der Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Jeder, der sich mit dem Infektionsgeschehen rund um COVID-19 beschäftige, habe sich zuletzt Mühe gegeben, die Zahl sinnvoll zu kommunizieren. Simpel ausgedrückt beschreibe der R-Wert, wie viele weitere Personen ein Infizierter im Mittel ansteckt. Liegt R bei 1, stecken zehn Infizierte zehn weitere Personen an.
Cave: Schwankungen und Nachmeldungen
Das Problem seien statistische und zeitliche Schwankungen, die sich aus Nachmeldungen von Infektionen ergeben würden, sagte Schaade. Der R-Wert bilde jeweils das Infektionsgeschehen von vor etwa eineinhalb Wochen ab. Der „aktuelle“ R-Wert von 1,07 beziehe sich somit auf Infektionen, „die zwischen dem 28. April und dem 3. Mai stattgefunden haben“.
Lokal begrenzte Infektionsausbrüche wie zuletzt in mehreren Schlachthöfen hätten zu einem leichten Anstieg des R-Werts geführt, sagte Schaade. Seien die Ausbrüche wieder unter Kontrolle, sinke auch die Reproduktionszahl.
Die Reproduktionszahl werde jedoch „immer schwanken“, betonte der RKI-Vize. „So lange sie um den Wert 1 herum schwankt, ist das eine Stagnation und bedeutet keinen Anstieg. Ist sie dauerhaft und deutlich über eins, sind wir in einem exponentiellen Wachstum, dann nehmen die Fallzahlen zu.“
Ziel des RKI sei es, einen „stabilen“ R-Wert herausgeben, auf den die Schwankungen der Nachmeldungen von Infektionen keinen allzu großen Einfluss mehr hätten, betonte Schaade.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass R lediglich eine Kenngröße aus einer Modellierung ist, also keine absolute und eindeutige Zahl, sondern von den Annahmen des Modells abhängig ist. Außerdem gibt der publizierte effektive R-Wert nur die Mitte eines Vertrauensbereichs an – real könnte der Wert also auch etwas niedriger oder höher ausfallen.
R nicht alleine betrachten
Der R-Wert könnte auch in den nächsten Tagen weiter um die 1 herum liegen, sagte Schaade. Grund dafür sei, dass sich die Zahl täglicher Neuinfektionen in Deutschland kaum mehr verringere und sich einem „Plateau“ nähere.
Schaade relativierte zugleich die Bedeutung des R-Werts. Um das Infektionsgeschehen abbilden zu können, sei R ein „relevanter“ Parameter. Dennoch reiche es nicht, R alleine als Parameter für die Wirksamkeit und Notwendigkeit von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie heranzuziehen. Ebenso wichtig seien die absolute Zahl der täglich gemeldeten Neuinfektionen, die Schwere der Erkrankungen und die Auslastung der Intensivkapazitäten im Gesundheitswesen.
Schaade rief die Bürger dazu auf, sich weiter an geltende Hygiene- und Abstandsregeln zu halten. „Wenn wir uns alle vernünftig verhalten, haben wir eine Chance, eine zweite Infektionswelle zu vermeiden. Steuern können wir das nur durch unser Verhalten.“ Bis ein wirksamer Impfstoff oder ein vorbeugendes Medikament entwickelt sei, müsse man sich bemühen, die Infektionen möglichst niedrig zu halten.