Stammzellen
Raus aus dem Forschungslabor, rein in die medizinische Praxis
Als sich vor zehn Jahren erstmals Stammzellen aus Körperzellen herstellen ließen, wurde weltweit ein Forschungs-Boom ausgelöst. Jetzt gibt es eine erste Therapie-Studie.
Veröffentlicht:Es war eine Revolution, als es dem Japaner Professor Shinya Yamanaka aus Kyoto gelang, in der Kulturschale Stammzellen aus ausdifferenzierten Körperzellen herzustellen: sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen, erzeugt durch eine Reprogrammierung des Zellkerns.
Er nannte sie IPS oder etwas flapsig IPSE (induced pluripotent stem cells). Der Wissenschaftler versetzte dabei Hautzellen von Mäusen mithilfe von nur vier Genen in einen Entwicklungszustand von embryonalen Stammzellen. Die Methode ließ sich 2007 auch auf menschliche Zellen übertragen.
Für die Meisterleistung gab es den Medizin-Nobelpreis
Dieser Erfolg wurde damals enthusiastisch begrüßt. Man hoffte, künftig in der Forschung auf humane embryonale Stammzellen verzichten zu können, denn bei deren Gewinnung gehen menschliche Embryonen zugrunde.
Seinen Erfolg veröffentlichte Yamanaka im August 2006 in der Zeitschrift "Cell" (2006; 126, 663–676). Für seine Meisterleistung wurde er nur sechs Jahre später mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt, gemeinsam mit Sir John B. Gurdon aus Cambridge in Großbritannien.
Dieser hatte bereits 1962 mithilfe von Zellkernexperimenten entdeckt, dass sich die Spezialisierung von Zellen aufheben lässt. Auf diese Entdeckung und weitere Befunde anderer Forscher baute Yamanaka auf.
Fast jede Zellart lässt sich damit verjüngen
In den vergangenen zehn Jahren wurde die Technik der Reprogrammierung zur Herstellung von iPSZellen immer weiter verbessert und mit ihrer Hilfe gezeigt, dass sich fast jede Zellart fast jeder Tierart auf diese Weise verjüngen lässt – nicht zuletzt von Patienten etwa mit neurodegenerativen Erkrankungen oder Leberkrankheiten.
Damit ist die Basis dafür geschaffen, von Patienten iPS-Zelllinien für jede erdenkliche Erkrankung zu entwickeln, mit deren Hilfe neue Medikamente gesucht und getestet werden können. Die Stammzellforscherin Dr. Eirini P. Papapetrou von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York weist ihnen sogar eine zunehmend zentrale Rolle in der Arzneimittelentwicklung zu, inklusive Toxizitätstests (Science 2016; 353: 991–993).
Tatsächlich haben Wirkstofftests an iPS-Zellen von Patienten mit neurologischen Erkrankungen wie amyotropher Lateralsklerose (ALS) vielversprechende Präparate offenbart, die auf dem Weg in klinische Studien sind. So wurde zum Beispiel der krampflösende Wirkstoff Ezogabin zunächst erfolgreich an Neuronen getestet, die von iPS-Zellen eines ALS-Patienten abgeleitet worden waren.
In Tierversuchen erfolgreich
Und an patienteneigenen Kardiomyozyten, die aus iPSZellen entwickelt wurden, ließe sich testen, ob ein Wirkstoff einen arrhythmogenen Effekt hat.
Stammzellforscher haben nun die Hoffnung, durch die Entwicklung von krankheitsspezifischen iPS-Zellen bisher gängige Mausmodelle für Krankheiten ersetzen zu können und somit die Forschung zu beschleunigen. Und sie wollen Gendefekte in Stammzellen korrigieren und durch Transplantation der Zellen Patienten heilen.
In Tierversuchen waren Forscher bereits erfolgreich, erstmals bei Mäusen mit Sichelzellanämie. In jüngster Zeit in den Blick gerückt ist die regenerative Medizin mit der Entwicklung von Organoiden, also hohlen 3D-Zellkulturen, die etwa der Niere, dem Magen oder dem Gehirn ähneln.
Züchtung von Mini-Organen
So hat der niederländische Biologe und Arzt Professor Hans Clevers vom Princess Máxima Center in Utrecht ein Verfahren entwickelt, mit dem sich adulte Stammzellen in vitro unbegrenzt vermehren und zu "rudimentären Organen im Miniaturformat" züchten lassen.
Dafür wurde er mit dem diesjährigen Körber-Preis geehrt. Inzwischen gelingt das Verfahren zur Züchtung von Mini-Organen mit Funktionen der Leber, des Darms und des Pankreas. An patientenspezifischen Organoiden lässt sich testen, ob ein neuer Wirkstoff dem Patienten helfen oder eher schaden wird. Und sie könnten eines Tages transplantiert werden und so die Funktion defekter Organe übernehmen.
Studie bei altersbedingter Makuladegeneration
Die Hoffnung, schon bald iPS-Zellen therapeutisch nutzen zu können, hatte im vergangenen Jahr einen Dämpfer erhalten. In Japan war die 2014 begonnene erste Studie dieser Art bei Patienten mit feuchter altersbedingter Makuladegeneration unter anderem aus regulatorischen Gründen zwischenzeitlich ausgesetzt worden.
Transplantiert wurden aus patienteneigenen iPS-Zellen entwickelte retinale Pigmentepithelzellen bei einem Patienten, dem es ohne immunsuppressive Behandlung gut geht.
Nach Angaben von Dr. Yasuo Kurimoto vom Kobe City Medical Center General Hospital und Dr. Masayo Takahashi vom RIKEN Center for Developmental Biology hatte sich nach einem Jahr kein Tumor gebildet und das Sehvermögen hatte sich nicht weiter verschlechtert, wie es in einer gemeinsamen Pressemitteilung heißt.
Wie die "Japan Times" vor kurzem berichtete, soll die Studie nun fortgeführt werden, allerdings mit einer wichtigen Änderung: Es sollen nicht mehr patienteneigene, sondern Spender-iPS-Zellen verwendet werden. Und die werden vom 2010 gegründetenInstitut CiRA (Center for iPS Cell Research and Application) hergestellt, dessen Direktor Yamanaka ist. Eigenen Angaben zufolge stehen bereits so viele Zellen zur Verfügung, dass damit 17 Prozent der japanischen Bevölkerung versorgt werden könnten.