Ärzte in Niedersachsen zittern
Regressandrohungen bis zu 9,7 Millionen Euro
474 Ärzte haben Post von der Prüfstelle bekommen: Die Regressandrohungen reichen bis zu 9,7 Millionen Euro pro Arzt. Die Empörung ist groß und die KV Niedersachsen versucht mit einer "Beratungsoffensive" gegenzusteuern.
Veröffentlicht:HANNOVER. Bei der KV Niedersachsen (KVN) laufen derzeit die Telefone heiß. Denn 474 der rund 10.000 Praxen im Land haben Post von der Geschäftsstelle der unabhängigen Prüfstelle Regresse erhalten.
Der Inhalt: Im Jahr 2013 haben die betroffenen Ärzte mit ihren Verschreibungen ein potenzielles Gesamtregressvolumen von rund 200 Millionen Euro angehäuft. "Die Forderungen bewegen sich zwischen 9,7 Millionen und 200 Euro pro Praxis", teilt die KV mit.
Kein Wunder, dass es in Hannover nun wütende Anrufe hagelt.
Postwendend hat die KV eine "Beratungsoffensive" gestartet, um diese Praxen in den anstehenden Verfahren zu unterstützen und vor Regressen zu schützen, wie es hieß.
"Die Regresse sind existenzbedrohend und gefährden damit die ambulante Versorgung", sagte Vorstandsvize Dr. Jörg Berling der "Ärzte Zeitung". "Einerseits fahren wir große Programme, um die Niederlassung zu fördern. Anderseits drohen derartig große Regresse. Das schreckt junge Leute ab!"
2012 weitaus weniger Praxen betroffen
Die Zahl der Praxen und die Summe liegt 2013 etwa doppelt so hoch wie im Jahr zuvor. 2012 waren 212 Praxen betroffen und die potenzielle Regress-Summe lag bei rund 100 Millionen Euro, erklärte Berling.
Von den 212 Praxen blieben am Ende nur vier übrig, die tatsächlich zahlen mussten.
Tatsächlich wurde 2012 aber bei weit mehr Praxen "Unwirtschaftlichkeit" festgestellt. "Insgesamt haben 105 Praxen offiziell unwirtschaftlich verordnet, aber weil die Prüfstelle dem Grundsatz "Beratung vor Regress” folgt, brauchten 101 von ihnen nach der Beratung durch die Prüfstelle keinen Regress mehr zu zahlen."
Grund für die enorme Steigerung ist vor allem der Umstand, dass 2013 alle Fachgruppen geprüft wurden, 2012 lagen indessen vor allem Hausarztpraxen unter dem Mikroskop der Prüfer.
So sind 2013 in Niedersachsen zum Beispiel HIV-Praxen betroffen, Neurologen mit vielen MS-Patienten oder schmerztherapeutische Praxen.
Was Berling Sorgen macht, ist die Frage, wie viele von den 2012 beratenen Praxen auch im Jahr 2013 wieder Post von der Prüfstelle erhalten haben. Denn das Angebot "Beratung vor Regress" gilt nur ein Mal.
"Für sie wäre der Freischuss vergeben", sagte Berling. Danach würde geprüft, und damit könnten gegebenenfalls weit mehr Praxen in den Regress rutschen als noch 2012. Wie viele es tatsächlich sind, ist bis dato unklar.
"Wir müssen das mühsam bei den Ärzten erfragen", sagt Detlef Haffke, Sprecher der KV. Die Prüfstelle hüllt sich offenbar in Schweigen.
KV bietet Beratung an
Dabei hatte die KV mit den Kassen für die Jahre 2007 bis 2011 so genannte Regionalpakete verhandelt, die die Ärzte tatsächlich zum rationalen Verordnen anhielt und ihnen fünf Jahre lang Arzneimittelregresse ersparte.
Die Regel: Die Ärzte mussten zwölf Leitsubstanzen zu einem fest gelegten Prozentsatz verordnen. "Diesen Anteil haben die Kassen aber immer mehr in die Höhe geschoben, so dass den Ärzten fast keine Verordnungsalternativen mehr blieben", sagt Berling. Das habe man den Mitgliedern nicht mehr zumuten wollen und beendete die Regionalpakete.
Die Konsequenz: Die Rückkehr der Regresse.Nun bietet die KV allen 474 betroffenen Praxen eine Beratung an. Dazu gehört insbesondere eine Analyse der Verordnungsdaten, aus denen die Regressforderungen abgeleitet werden.
Eine umfassende Analyse der Einzelverordnungsdaten ist die Grundlage der Beratungen der betroffenen Ärzte durch die Mitarbeiter in den elf KV-Bezirksstellen. Auf diese Weise lassen sich Implausibilitäten und fehlerhafte Zuordnungen von Verordnungsdaten herausfiltern und regressmindernd anrechnen.
Gleichzeitig bietet die Analyse Argumentationshilfe, Praxisbesonderheiten gegenüber der Prüfstelle geltend zu machen.", teilt die KV mit. "Allerdings haben wir in der Vergangenheit gesehen, dass Praxisbesonderheiten zwar anerkannt werden, aber nicht für alle Fälle", kritisiert Berling.
Ohne Begründung hätten die Prüfer die Anerkennung eingeschränkt. Das sei nicht transparent, so Berling. Die KV erwäge, "ob sie juristisch gegen solche Intransparenz vorgeht", sagte der Vorstandsvize.
Berling kritisierte Regresse ganz grundsätzlich: "Es ist Aufgabe von Krankenkassen und Arzneimittelherstellern, die Preise für die Medikamente zu verantworten. Bei Ärzten liegt die Entscheidung über die Indikationsstellung und die geeignete Verordnungsmenge. Sie dürfen nicht für den Preis des Arzneimittels persönlich haftbar gemacht werden."