Barmer GEK

Rückenschmerz-Patienten sind fehlversorgt

Immer mehr Patienten mit Kreuzschmerzen landen im Krankenhaus - doch jeder Dritte wird letztlich nicht behandelt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Barmer GEK. Die Kasse fordert eine stärkere Vernetzung in der Behandlung von Schmerzpatienten.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Viele Menschen leiden unter Rückenschmerzen.

Viele Menschen leiden unter Rückenschmerzen.

© Ed Bock / panthermedia

BERLIN. Gut ein Drittel der Patienten mit Rückenschmerzen wird in einer Klinik aufgenommen, dort aber letztlich nicht behandelt. Das geht aus dem aktuellen Krankenhausreport der Barmer GEK hervor.

Rund 140.000 Patienten mit der Diagnose "lumbale Rückenschmerzen" wurden demnach weder operiert noch schmerztherapeutisch behandelt. "Das ist eine deutliche Fehlentwicklung", sagte der Vorstandsvorsitzende Dr. Christoph Straub am Dienstag bei der Vorstellung des Reports.

Kreuzschmerz-Patienten sollten im Krankenhaus auch eine Behandlung erhalten, sonst gehörten sie dort nicht hin. Er forderte eine "professionelle und fachübergreifende Vernetzung der niedergelassenen Ärzte", um die Patienten vor einer Chronifizierung der Schmerzen zu bewahren.

In diesen Verbünden sollten Hausärzte die Lotsen sein. Auch empfahl er Patienten, sich vor einer Operation an der Wirbelsäule in jedem Fall eine zweite Meinung einzuholen.

Deutlicher Anstieg an Krankhausfällen aufgrund von Kreuzschmerzen

Nach den Hochrechnungen der Barmer GEK ist die Zahl der Krankenhausfälle aufgrund von Kreuzschmerzen von 2006 bis 2014 von 282.000 auf 415.000 gestiegen.

30,5 Prozent der betroffenen Patienten werden operiert, 29,9 Prozent erhalten eine Spritzen-Schmerztherapie.

Beide Behandlungsformen haben seit 2006 zugelegt - die Bandscheibenoperationen um 12,2 Prozent, die der sich häufig anschließenden Wirbelsäulenversteifungen um 83,1 Prozent. Die Spritzen-Schmerztherapie wird heute doppelt so oft eingesetzt wie 2006.

Straub verwies darauf, dass die Zahl der Kliniken, die diese Therapie anwenden und abrechnen, seit 2006 um 40,2 Prozent gestiegen ist: "Es ist fraglich, ob diese Therapie stationär stattfinden muss oder nicht auch ambulant möglich wäre."

Keineswegs "Simulanten"

Studienautorin Professor Eva Maria Bitzer von der Pädagogischen Hochschule Freiburg betonte, dass etwa jeder zweite Patient, der stationär aufgenommen wird, zuvor bereits ambulant in Behandlung war.

Bei etwa einem Fünftel reiche die Krankengeschichte sieben Jahre zurück. Die Patienten, die in den Kliniken ankämen, seien keineswegs "Simulanten".

In der begleitenden Patientenbefragung zeigte sich nur jeder zweite operierte Patient und jeder vierte Patient mit einer Schmerztherapie zufrieden mit dem Behandlungsergebnis.

"Dies sind die niedrigsten Werte, die wir jemals im Rahmen des Barmer GEK-Reports gemessen haben", sagte Bitzer.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ärztemangel tut weh

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Kommentare
Anne C. Leber 27.07.201512:31 Uhr

Leserzuschrift von Sitta Leipold

Mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel gelesen. Und ganz ehrlich wundern tut mich diese Fehlversorgung nicht. Es wäre an der Zeit, dass die Krankenkassen über die Ursachen dieser Fehlversorgung nachdenken, statt sie nur anzuprangern, schließlich trägt die Politik der Krankenkassen erheblich zu diesem Dilemma bei. Meines Erachtens nach ist eine Ursache unter anderem das Flatrate-System in der Gesundheitsversorgung und die wenig sinnvollen Regressandrohungen. Ein sehr probates und vergleichsweise billiges Mittel gegen Kreuzschmerzen ist die Krankengymnastik. Hier ist mit einfachen nebenwirkungsfreien Mitteln mindestens eine Linderung und oft auch eine komplette Besserung der Beschwerden möglich. Zusätzlich bekommt der Patient gleich eine Strategie an die Hand, mit der er sich bei erneuten Beschwerden selbst zu helfen weiß. Leider zeigt die Erfahrung, dass die Krankengymnastik häufig aus Angst vor Regressen nicht oder nicht in ausreichender Menge eingesetzt wird. Da dem Patienten aber irgendwie geholfen werden muss, bleibt dem betreuendem Arzt oft nur als letzter Ausweg den Patienten in eine Klinik einzuweisen, in der Hoffnung, dass seine Beschwerden dort gelindert werden. Wenn ich mir überlege wie lange ich KG mit einem Patienten machen kann bis ich die Kosten für nur einen Tag in der Klinik erreiche, ist es an der Zeit für die Kassen zu überlegen, ob das Budgetieren von KG nicht in vielen Fällen kontraproduktiv ist, da die KG im Vergleich zur Krankenhauseinweisung oft das sinnvollere und erfolgsversprechendere Mittel wäre. Zumal ich, als Patientin, die Erfahrung gemacht habe, dass viele Kliniken nur noch sehr begrenzt KGs "vorhalten". Viele haben ihre KG-Abteilung aus Kostengründen! "outgesourced" und arbeiten mit externen Praxen zusammen, die Verordnungen bekommen. Bei den meist nur kurzen Liegezeiten, ist der Patient längst wieder entlassen, bis er einen Termin in dieser externen Praxis bekommt. Auf dem Land kommt das zusätzliche Problem dazu, dass der nächste Orthopäde gerade für ältere Menschen, die kein Auto mehr fahren, schlecht zu erreichen ist. Angehörige können nicht für jeden Arzttermin der älteren Herrschaften Urlaub nehmen. Also verschreibt der Hausarzt die KG und bekommt prompt wegen Budgetüberschreitung eine Regressandrohung. Schafft ein Patient es dann doch bis zum Orthopäden, verschreibt dieser dann (jedenfalls bei uns in der Gegend) großzügigerweise 5x KG und in seinem Arztbrief an den Hausarzt schreibt er dann, der Hausarzt möge doch bitte weiter verordnen. Womit wir wieder beim Regress wären. Der Orthopäde hat, denke ich mal, das größere Budget für KG. Bei diesem Hin-und Herverschieben des "Schwarzen Peters" bleibt der Patient auf der Strecke, die Schmerzen verstärken sich und am Ende wird dann mit einer Einweisung ins Krankenhaus versucht zu retten, was längst hätte besser sein können, wenn die nötige Therapie erlaubt wäre. Dieses Dilemma zeigt sich allerdings nicht nur bei Kreuzschmerzen, besonders verheerend wirkt sich dieser Kreislauf auch bei neurologischen Erkrankungen aus. Wenn z.B bei einem Schlaganfallpatienten die Behandlung unterbrochen wird, macht man nach 12 Wochen nicht da weiter wo man aufgehört hat, sondern fängt wieder relativ weit vorne neu an. Auch ein probates Mittel an falscher Stelle zu "sparen", die Folgekosten trägt dann die Pflegeversicherung.

Sitta Leipold (Physiotherapeutin)

Dr. Thomas Georg Schätzler 22.07.201510:57 Uhr

"Ich hab'' nicht ''Rücken'', ich habe Barmer GEK"

Seltsam schräg: Barmer GEK Vorstandsvorsitzender Dr. med. Christoph Straub (Ex-Vorstandsmitglied in der Rhön-Klinikum-AG) beklagt bei der Vorstellung seines aktuellen Krankenhausreports, dass in den Kliniken "lumbale Rückenschmerzen" zu einem großen Anteil weder operiert noch schmerztherapeutisch behandelt würden. "Das ist eine deutliche Fehlentwicklung". Zugleich beschwört er, dass Hausärzte die Lotsen in einer abgestuften Versorgungskaskade sein sollten. Die Patienten sollten jedoch vor einer Operation an der Wirbelsäule in jedem Fall eine zweite Meinung einholen - auch wenn dies in einer w e i t e r e n Klinik stattfinden würde, wo w i e d e r u m weder operiert noch schmerztherapeutisch behandelt werden würde.

Das alles vor dem Hintergrund, dass die Ex-Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Birgit Fischer, die 2011 zum Verband forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VfA) wechselte, nach dem juristischen Scheitern ihres BEK-Hausarzt-Vertrags die Hausarzt zentrierte Versorgung (HzV) des Deutschen Hausärzteverbands (HÄV) mit allen gesundheitspolitischen Mitteln torpediert und bekämpft hatte.

Orthopädisch-internistische Klinik-Kollegen sind nicht zu beneiden: Da schlagen mitten in der Nacht und an Wochenenden vermeintlich akute und chronische Rückenschmerz-Patienten mit unspezifischen Kreuzschmerzen auf ("unspecific low back pain), die entweder ihr Ibuprofen vergessen, fach-orthopädische Ratschläge zur Gewichtsreduktion ignoriert oder sich völlig inadäquat fehlbelastet haben: Laienhafte Renovierungsarbeiten, untrainiertes Bierkästen schleppen, Fehlhaltung beim Grillen, Trend- und Risikosportarten, Crossfit o. ä. Hinzu kommen Folgen physiotherapeutischer, heilpraktischer, osteopathischer und wunderheilerischer (z. B. Thai-Massage) Fehlmanöver, Wartezimmer-Phobien, Terminprobleme bei niedergelassenen Orthopäden etc. pp.

Extrem verwundert, dass der ärztlich geschulte Barmer GEK Vorstand Dr. med. Christoph Straub sich nicht an zahlreiche Reports erinnern will, nach denen 90 Prozent aller "aute and chronic low back pain" spontan abheilen, keinerlei Ruhigstellung, Kortison- oder NSAR-Injektionen bedürfen, sondern mit rein flankierenden Maßnahmen sich selbst terminieren. Auch bei chronischen Rückenschmerzen sind aktivierendes, n i c h t immer schmerzfreies Aufbautraining und spezifisch abgestufte Interventionen Mittel der Wahl.

Dies wird konterkariert, indem die GKV-Kassen incl. Barmer GEK immer wieder ihren Versicherten suggerieren, es gäbe einen einklagbaren Rechts- und Erfüllungsanspruch, an jedem Ort der Welt und jederzeit absolut schmerzfrei zu sein. So, als wären akute und chronische Schmerzen ein bio-psycho-sozial überflüssiger "Wurmfortsatz" der menschlichen Evolution. Als würden Hammerschlag, glühende Asche, Feuer, Sonnenbrand, Bing-Horton-, Migräne- oder SAB-Kopfschmerzen, akutes Abdomen, ISG-Blockierung, Lumboischialgie, Myokard-, Mesenterial- und Hirninfarkt, tiefe Beinvenenthrombose und Lungenembolie nicht biologisch sinnvoll und überlebenswichtig den Schmerz als essenzielle Primärsymptomatik ans Gehirn vorausschicken. Bei chronischen Schmerzen gilt es ebenso, nach den eigentlichen bio-psycho-sozialen U r s a c h e n zu fahnden und nicht alles schmerztherapeutisch interventionell oder gar sedierend zuzudecken. Abschreckendes Beispiel ist auch die kommunale Initiative "Schmerzfreie Stadt Münster"!

Aber genau diese nicht nur von der Barmer GEK fehlgeleiteten Anspruchs- und Erwartungshaltungen und eine weltfremde WHO-Gesundheitsdefinition mit der absoluten Abwesenheit von Krankheitssymptomen sind Ursachen dafür, dass die Zahl der Krankenhausfälle aufgrund von Kreuzschmerzen innerhalb 8 Jahren von 2006 bis 2014 von 282.000 auf 415.000 gestiegen sind. Dass 30,5 Prozent der betroffenen Patienten operiert wurden, 29,9 Prozent eine Spritzen Schmerztherapie spricht eher für eine klinische Spitzenleistung: Denn immerhin 39,6 Prozent der Patientinnen und Patienten m

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