Krankenkassenbeiträge

Schätzerkreis: Zusatzbeitrag muss nur um 0,2 Prozentpunkte steigen

Das Expertengremium bei der Kassenaufsicht geht von einer etwas robusteren Einnahmeentwicklung der Kassen aus als gedacht. Das könnte die Belastung der GKV-Mitglieder etwas lindern.

Anno FrickeVon Anno Fricke und Florian StaeckFlorian Staeck Veröffentlicht:
Offenbar wurde noch etwas Geld gefunden: Die Beitragsschraube für die GKV-Mitglieder wird unter Umständen weniger stark angezogen als befürchtet.

Offenbar wurde noch etwas Geld gefunden: Die Beitragsschraube für die GKV-Mitglieder wird unter Umständen weniger stark angezogen als befürchtet.

© Christin Klose / picture alliance

Berlin/Bonn. Der Anstieg der Zusatzbeiträge könnte im kommenden Jahr etwas geringer ausfallen als befürchtet. Das geht aus der am Donnerstag veröffentlichten Prognose des Schätzerkreises hervor.

Das Expertengremium beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) geht davon aus, dass eine Erhöhung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags um 0,2 Punkte – also auf 1,5 Prozent – ausreicht, um das GKV-Defizit im kommenden Jahr zu decken. Die Bundesregierung war bisher davon ausgegangen, dass 0,3 Beitragspunkte Erhöhung nötig sind.

Der Schätzerkreis nimmt an, dass die Reserven im Gesundheitsfonds um zwei Milliarden Euro höher liegen, als ursprünglich angenommen. Diese Mittel könnten dann zur Finanzierung der laufenden GKV-Ausgaben herangezogen werden. Statt 2,4 könnten im kommenden Jahr 4,6 Milliarden Euro aus der Liquiditätsreserve des Fonds abgezweigt werden.

Einmaliger zusätzlicher Bundeszuschuss vorgesehen

Alle anderen Parameter bleiben den Schätzern zu Folge im Rahmen der bisherigen Annahmen: Das GKV-Defizit wird sich demnach auf rund 17 Milliarden Euro belaufen, von denen elf Milliarden aus Beitragsgeldern kommen. Das weitere Abschmelzen von Finanzreserven, die noch bei den Kassen existieren, soll vier Milliarden Euro generieren. Die um 0,2 Punkte erhöhten Zusatzbeiträge würden mit 3,5 Milliarden Euro Einnahmen auf der Habenseite landen.

Drei Milliarden Euro sollen (Zahn-)Ärzte, Krankenhäuser und Pharmaindustrie beisteuern. Weiterhin vorgesehen ist ein einmaliger zusätzlicher Bundeszuschuss an die GKV in Höhe von zwei Milliarden Euro sowie ein Darlehen des Bundes in Höhe von einer Milliarde Euro an den Gesundheitsfonds. Dieses muss bis Ende 2026 zurückgezahlt werden. Bis Anfang November wird das Gesundheitsministerium den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz für 2023 offiziell bekanntgeben.

„Jeder Euro zählt für die Menschen“

Insgesamt geht der Schätzerkreis im kommenden Jahr von Einnahmen des Fonds von 275,1 Milliarden Euro aus – regulärer und zusätzlicher Bundeszuschuss sind hier bereits einberechnet. Hinzu kommen aber die genannten Einsparbeträge. Die Ausgaben der Kassen werden sich nach Angaben der Schätzer vermutlich auf 299,9 Milliarden Euro belaufen.

Jeder Euro, der nicht durch steigende Zusatzbeiträge finanziert werden müsse, „zählt für die Menschen“, kommentierte die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Dr. Doris Pfeiffer, das Ergebnis. Sie bezeichnete es als richtig, die etwas höheren Rücklagen im Gesundheitsfonds zu verwenden, um Zusatzbelastungen für die Beitragszahler abzumildern.

Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) wertete die Schätzung des Gremiums als „gute Nachricht für die gesetzlich Krankenversicherten“. Wenn der Bundestag das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verabschiede wie geplant, könne auf das ursprünglich geplante Darlehen der GKV von einer Milliarde Euro verzichtet werden.

In diesem harten Winter müssten alle Möglichkeiten genutzt werden, um die Bürger zu entlasten. „Deshalb ist es unsere Pflicht, erst das System effizienter zu machen, bevor die Beiträge steigen“, sagte Lauterbach.

Termin für die Verabschiedung des Spargesetzes wieder offen?

Wann das Gesetz genau verabschiedet werden wird, ist nicht ganz sicher. Der ursprünglich angepeilte Termin am 20. oder 21. Oktober scheint zu wackeln. In einer vorläufigen Tagesordnung des Plenums für kommende Woche, die der Ärzte Zeitung vorliegt, taucht das Gesetz nicht auf.

Die Prognose des Schätzerkreises zur Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2023 dürfe nicht zu falschen Schlüssen verleiten, betonte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes Dr. Carola Reimann. Es sei zwar erfreulich, dass die von der Bundesregierung prognostizierte Einnahmenentwicklung robuster ausfalle als erwartet. Die Finanzentwicklung im kommenden Jahr sei dafür mit erheblichen Risiken behaftet.

Reimann warnt davor, den Sparkurs abzumildern

Reimann warnte die Ampel-Koalition davor, die Spielräume zu nutzen, um geplante Einsparungen wieder auszusetzen. So dürften die teure, aber unwirksame Neupatientenregelung in der vertragsärztlichen Versorgung sowie Belastungen der Pharmaindustrie durch die Weiterentwicklung bei der Arzneimittelpreisfindung nicht kassiert werden. Dies würde die im Gesetz ohnehin enthaltene Unwucht zulasten der Beitragszahlenden weiter verschärfen.

Die Schätzung gebe Hoffnung, dass sich die Finanzentwicklung im kommenden Jahr doch besser darstelle, als zunächst gedacht, meldete sich der Vorstandsvorsitzende des BKK-Dachverbandes zu Wort. Die weiter bestehenden finanziellen Risiken für das kommende Jahr dürften allerdings nicht aus den Augen verloren werden. „Entscheidet sich die Politik für zusätzliche, durch die Krankenkassen zu finanzierende Leistungen, wird sich dies nur durch höhere Zusatzbeiträge finanzieren lassen“, mahnte Knieps.

Es sei nun wichtig, nach dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz endlich auch strukturelle Reformen anzugehen, um perspektivisch Effizienzreserven zu heben. Das beinhalte die im Koalitionsvertrag vereinbarte Dynamisierung des Bundeszuschusses und höhere Beiträge des Bundes für ALG-II-Beziehende.

Ersatzkassen halten Entwarnung für das „falsche Signal“

Mit Skepsis wurde das Ergebnis des Schätzerkreises bei den Ersatzkassen aufgenommen. „Als Ersatzkassengemeinschaft blicken wir mit Sorge auf die heute ausgesprochene Empfehlung des GKV-Schätzerkreises“, sagte die Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen Ulrike Elsner.

Inflation, Energiekrise und der Angriffskrieg auf die Ukraine schafften unkalkulierbare Risiken auf der Ausgabenseite. Dies sei in den Berechnungen nicht ausreichend berücksichtigt. „Entwarnung ist das falsche Signal“, betonte Elsner.

Elsner forderte die Regierung auf, einen kostendeckenden Pauschalbeitrag für die Gesundheitsversorgung der ALG-II-Beziehenden zu bezahlen und die Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent abzusenken. Beides zusammen entlaste die GKV um rund 15 Milliarden Euro im Jahr.

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