Versorgungsgesetz
Scharfe Kritik der Kassen an Sozialgarantie auf Kosten der Versicherten
Das Kabinett schickt das Versorgungsverbesserungsgesetz in den Bundestag. Die Kassen hoffen darauf, dass die Abgeordneten den Regierungsentwurf noch einmal umkrempeln. Die Opposition spricht von „Offenbarungseid“.
Veröffentlicht:Berlin. Das Kabinett hat das Versorgungsverbesserungsgesetz (GPVG) an den Bundestag überwiesen. Mit dem Gesetz werden kleinteilig eine Reihe von Regelungen für die Gesetzliche Krankenversicherung, die Pflege und die Gesundheitsversorgung getroffen. Kritik kommt von den Kassen und aus der Opposition.
Die wichtigsten Positionen:
Sozialgarantie: Aktuell in den Entwurf aufgenommen hat die Regierung die geplanten Stabilisierungsmaßnahmen für die Gesetzliche Krankenversicherung. Dazu gehören ein Steuerzuschuss von fünf Milliarden Euro und etwa acht Milliarden Euro aus den Reserven der Krankenkassen. Nach den bisherigen Schätzungen gilt es, ein Loch von 16,6 Milliarden Euro zu stopfen. Ziel ist die Stabilisierung des Zusatzbeitrages. Die wiederum ist notwendig, um nicht die 40-Prozent-Grenze bei den Sozialversicherungen zu reißen, die die Koalition mit der „Sozialgarantie 2021“ für das Jahr 2021 zementiert hat.
Kinder- und Jugendmedizin: Elf Millionen Euro sollen in die Sicherung der kinder- und jugendmedizinischen Versorgung fließen. Schon 2021 sollen mehr als 30 Krankenhäuser mit kinder- und jugendmedizinischen Abteilungen von Förderungen von mindestens 400.000 Euro im Jahr profitieren können.
Hebammen: Ein dreijähriges Hebammenstellen-Förderprogramm soll Krankenhäusern bis 2023 die Neueinstellung von Hebammen erleichtern und das Aufstocken vorhandener Teilzeitstellen ermöglichen. Die Ausgaben werden auf jährlich 1,63 Millionen Euro geschätzt.
Pflegehilfskräfte: Bis zu 20.000 Stellen für Pflegehilfskräfte in der Altenpflege sollen über Vergütungszuschläge komplett finanziert werden. Dafür können in den kommenden Jahren 680 Millionen Euro im Jahr eingesetzt werden.
Selektivverträge: Selektivverträge sollen flexibilisiert werden. So sollen neue Möglichkeiten sozialleistungsträgerübergreifender Netzwerke nach regionalen Bedarfen geschaffen werden. Kassen sollen zudem auf freiwilliger Basis Innovationsfonds-Projekte in Selektivverträge überführen können.
Selbstverwaltung reagiert sauer
Die Selbstverwaltung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Gesetzlichen Krankenversicherung reagierte vergrätzt. Ein Steuerzuschuss von nur fünf Milliarden Euro sei zuwenig, monierten Dr. Volker Hansen für die Arbeitgeber und Uwe Klemens für die Arbeitnehmerseite.
Die Regierung lade die Hauptlast der Verantwortung für die Sozialgarantie bei den Versicherten ab. Sie müssten über höhere Zusatzbeiträge rund drei Milliarden Euro aufbringen, acht Milliarden Euro an Versichertengeld hole sie sich aus den Reserven der Kassen. Dass die Erträge von Sparsamkeit und wirtschaftlichem Handeln mit einem Federstrich konfisziert werden könnten, setze Fehlanreize, sagten Hansen und Klemens.
AOK: Prämisse schlichtweg falsch
„Wenn die Bundesregierung eine Sozialgarantie verspricht, soll sie sie doch bitte ordnungspolitisch sauber durch einen Bundeszuschuss finanzieren“, sagte der Vorsitzende der AOK-Baden-Württemberg Johannes Bauernfeind.
Versicherte und ihre Arbeitgeber würden alleine in Baden-Württemberg mit mehr als 600 Millionen Euro belastet. Die Maßnahmen mit der Corona-Pandemie zu begründen, sei „schlichtweg falsch“. Mehr als zwei Drittel der Finanzlücke gingen auf das Konto der Vor-Coronas-Gesetzgebung, so Bauernfeind.
Sprecher der Vertretung der Innungskrankenkassen IKK e.V. hoben hervor, dass die Reserven der Kassen mit 20 Milliarden Euro zu hoch angesetzt seien. Nicht berücksichtigt sei das erwartete Defizit der Kassen im zweiten Halbjahr von rund 4,3 Milliarden Euro. Der Steuerzuschuss müsse daher erhöht werden, forderte IKK-Vorstandsvorsitzender Hans Peter Wollseifer.
Als „gesundheitspolitischen Offenbarungseid“ bezeichnete die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Maria Klein-Schmeink die Regierungspläne. Die Koalition habe durch teure Gesetzgebung ein einmalig hohes Defizit von knapp 17 Milliarden Euro verursacht, sagte Klein-Schmeink. Um dies zu kaschieren, sollen nun die Rücklage der Kassen geplündert werden. „Die Koalition hat sich nicht darum gekümmert, dass ihre Gesetze gerecht und nachhaltig finanziert sind“, sagte Klein-Schmeink.
Lob und Tadel für Selektiv-Pläne
Der Spitzenverband Fachärzte (SpiFa) hat sich hinter die von der Regierung geplante Flexibilisierung der Selektivversorgung gestellt. Die Strukturvielfalt in der medizinischen Versorgung außerhalb des Kollektivvertrages sei für den SpiFa Garant für Qualität und Effizienz. „Die Stärkung dieses Instruments ist ein richtiger und wichtiger Schritt zur Erweiterung des Spielraums für innovative Versorgungsformen in den Regionen unter Einbeziehung verschiedener Leistungserbringer, Anbieter und Kostenträger“ sagte SpiFa-Hauptgeschäftsführer Lars Lindemann.
Die Opposition warf dem Minister an dieser Stelle Halbherzigkeit vor. „Statt die integrierte Versorgung zu einer vollwertigen Alternative zur Regelversorgung zu machen, belässt Minister Spahn es bei der modellhaften Ausnahme“, sagte die Bundestagsabgeordnete der Grünen Dr. Kirsten Kappert-Gonther. Die Sprecherin für Gesundheitsförderung in ihrer Fraktion nannte zudem das geplante Förderprogramm für Hebammen „völlig unzureichend“. Ziel müsse eine 1:1-Betreuung in den wesentlichen Phasen von Schwangerschaft und Geburt sein.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft bezeichnete sowohl die Hebammenförderung als auch die pauschale Förderung ländlicher Krankenhäuser als „als wichtige und gute Schritte zur Sicherung der Daseinsvorsorge in strukturschwachen Gebieten“. Die Fördermöglichkeiten für die Kinder- und Jugendmedizin seien ein weiterer Schritt der Abkehr von der allgemeinen Finanzierung der Krankenhäuser über Fallpauschalen in der Grundversorgung, sagte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum.
Fahrplan zum Gesetz
Das Gesetz soll am 26. oder 27. November in zweiter und dritter Lesung beraten und abgestimmt werden. Im Wesentlichen sollen die Regelungen am 1. Januar 2021 in Kraft treten.