Schnelle Lösung im Beschneidungsstreit gesucht

Das Kölner Urteil zu religiösen Beschneidungen von Jungen hat für viel Wirbel gesorgt - und beschäftigt jetzt die Politiker. Die Bundesregierung kündigt an, schnell für Rechtssicherheit sorgen zu wollen. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dämpfte die Hoffnungen auf eine baldige Klärung.

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Die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen ist nach Auffassung des Kölner Landgerichts (LG) grundsätzlich strafbar.

Die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen ist nach Auffassung des Kölner Landgerichts (LG) grundsätzlich strafbar.

© Mohamed Messara / epa / dpa

BERLIN (dpa). Die Bundesregierung will schnell Rechtssicherheit für religiöse Beschneidungen schaffen.

"Wir wissen, da ist eine zügige Lösung notwendig, da kann nichts auf die lange Bank geschoben werden", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin.

"Verantwortungsvoll durchgeführte Beschneidungen müssen in diesem Land straffrei möglich sein", so der Regierungssprecher.

Seibert und das Justizministerium wollten sich aber noch nicht festlegen, wie eine rechtliche Klarstellung aussehen kann. Im Bundestag zeichnet sich ein breiter Konsens für eine Gesetzesinitiative zur Legalisierung von Beschneidungen ab. Die Union will das Thema auf die Tagesordnung der Bundestags-Sondersitzung in der nächsten Woche setzen und warb dafür, mit einer fraktionsübergreifenden Resolution ein Zeichen zu setzen.

Urteil: Beschneidung eine Körperverletzung

Das Landgericht Köln hatte Beschneidungen als Körperverletzung gewertet und damit Empörung bei jüdischen und muslimischen Organisationen auch im Ausland hervorgerufen. Sowohl im Judentum als auch im Islam ist die Beschneidung von Jungen ein Ritual mit langer Tradition.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, warnte vor verheerenden Auswirkungen, sollte sich das Kölner Urteil in der deutschen Rechtsprechung durchsetzen.

"Wenn sich der Tenor des Gerichtsurteils bestätigt, würde jüdisches Leben in Deutschland wirklich auf Dauer unmöglich gemacht", sagte er. "Das bitte ich sehr ernst zu nehmen."

Besonders verletzend sei der Vorwurf, dass den Kindern Schaden zugefügt würde. Die jüdische Liebe zu Kindern sei legendär. Da werde absolut keine Nachhilfe benötigt.

Außenminister Guido Westerwelle warnte vor einer Beschädigung des Ansehens Deutschlands in der Welt bei anhaltender Rechtsunsicherheit.

"Es muss klar bleiben, dass in Deutschland die freie Religionsausübung geschützt ist. Dazu zählt auch der Respekt religiöser Traditionen", erklärte er.

SPD: Beschneidung bei Jungen dürfen nicht strafbar sein

SPD und Grüne machten sich für eine gesetzliche Klarstellung stark.

"Religionsbedingte Beschneidungen bei Jungen dürfen in Deutschland nicht strafbar sein", erklärten SPD-Chef Sigmar Gabriel und die Justiziarin der SPD-Bundestagsfraktion, Brigitte Zypries.

"Es kann nicht sein, dass Jahrtausende alte Traditionen von Millionen von Menschen auf diese Weise in Deutschland infrage gestellt werden."

Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast erklärte, die Fraktionen müssten sich sehr bald zusammensetzen, um nach einer Lösung zu suchen.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dämpfte die Hoffnungen auf eine baldige Klärung. "Zu einem Rechtsstaat gehört auch, dass durch Einzelfallentscheidungen von Gerichten aufgetretene Rechtsunsicherheiten nicht von heute auf morgen beseitigt werden können", teilte sie der Nachrichtenagentur dpa mit. "Das gilt sowohl für die Herausbildung einer einheitlichen bindenden Rechtsprechung als auch für die Neuregelung durch den Gesetzgeber."

Die FDP-Politikerin hatte bereits zuvor deutlich gemacht, dass sie auch bei einem Gesetzesbeschluss damit rechne, dass das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort hat. Bei der rechtlichen Klärung geht es vor allem darum, die unabänderlichen Grundrechte auf freie Religionsausübung und körperliche Unversehrtheit in Einklang zu bringen.

Lesen Sie dazu auch: Hitzige Debatte: Soll Beschneidung legalisiert werden?

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Kommentare
Dr. Horst Grünwoldt 25.07.201210:48 Uhr

Medizin-Ethik

Es ist gut, daß die überwiegende Mehrheit der deutschen Human-Ärzte gegen politische Schnellschüsse auf die Barrikaden gehen. Schließlich geht es hier nicht um Scheingefechte, sondern grundsätzlich um moderne ethische Vernunft vs. archaische Glaubensriten!
Die individuelle Religiosität von einzelnen Gottesgläubigen wird dabei überhaupt nicht berührt.
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt (Tierarzt i.R.) aus Rostock

Dr. Thomas Georg Schätzler 19.07.201222:00 Uhr

@ Uwe Schneider

Danke, Uwe Schneider, für Ihren Beitrag "Vorlage beim BVerfG wäre wohl unzulässig gewesen". Mein Vater hätte als Staatsrechtler (Johann-Georg Schätzler: Handbuch des Gnadenrechts) seine Freude an Ihrem klaren und sachlichen Sprachduktus gehabt. Ich spieße dagegen meine Themen eher mit einer spitzen Spritze auf. MfG

Uwe Schneider 19.07.201218:58 Uhr

Vorlage beim BVerfG wäre wohl unzulässig gewesen

Zum Kommentar von Herrn Fegbeitel: Das LG Köln hätte die Sache allenfalls im Wege der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 des Grundgesetzes direkt dem Bundesverfassungsgericht vorlegen können. Dies hätte aber nach Art. 100 Abs. 1 GG vorausgesetzt, dass das Gericht davon ausgeht, dass ein Gesetz sich nicht verfassungskonform auslegen lässt, sondern per se verfassungswidrig ist. Dass der Körperverletzungstatbestand im StGB verfassungswidrig ist, dürfte aber kaum jemand annehmen. Es geht nur um seine Auslegung. Und hier muss in Deutschland eben jedes einfache Gericht die Grundrechte selbst anwenden und abwägen. Erst gegen ein letztinstanzliches Urteil der Fachgerichte ist dann eine Verfassungsbeschwerde möglich. Auch Art. 100 Abs. 2 GG wäre kaum in Betracht gekommen. Zwar ist die UN-Kinderrechtskonvention hier möglicherweise mitentscheidend, doch ist die keine allgemeine Regel des Völkerrechts, auf die in Art. 100 Abs. 2 GG Bezug genommen wird, sondern nur Völkervertragsrecht.

Jürgen Fegbeitel 16.07.201209:19 Uhr

Das Selbstbewußtsein von "Landgerichts-Richtern"

Warum nur, so frage ich mich, müssen manche Richter so todesmutig sein!
Die Brisanz eines solchen Urteils dürfte jeder auch nur mittelmässig intelligente Fachkundige sofort einsehen.
Und dann nehmen die Richter des Landgerichts Köln diese "Herausforderung" an und entscheiden in einer Sache, die sie besser zum Bundesverfassungs-gericht abgegeben hätten.
Es gibt sicherlich eine Vielzahl von Gründen für die eine oder für die andere Position, aber warum hier diese Richter den Fall nicht an das höchste Bundesgericht, das sicherlich deutlich geeigneter ist, Urteile mit solchen immensen politischen Auswirkungen zu entscheiden, abgeben, widerspricht jeglicher gesellschaftspolitischer und juristischer Intelligenz.

Johannes Dirxen 16.07.201203:28 Uhr

Ist ein Beschnittener gottgefälliger?

Ein invasiver Eingriff wie eine Beschneidung ist in jedem Fall eine Körperverletzung!
Zu recht verbietet das Urteil derartige Eingriffe.
Wenn man dazu bedenkt, daß derartige Eingriffe an Klein- und Kleinstkindern durchgeführt werden, dann müßten eigentlich auch Eltern, die eine Beschneidung zulassen, belangt werden. Lassen sie doch zu, daß ihren Kindern in nicht wenigen Fällen gesundheitlicher Schaden in teilweise nicht unerheblichem Ausmaß zugefügt wird.
Allen Befürwortern einer Beschneidung rate ich, sich durch die Lektüre einschlägiger Literatur über teilweiser lebensbedrohlicher Komplikationen kundig zu machen. Die Dunkelziffer ist sicher um ein vielfaches höher als die dokumentierten Fälle.
Und: Denen, die eine Beschneidung aus religeösen Gründen befürworten, möchte ich die Frage stellen, ob Gott sein Wohlgefallen auch am Aussehen eines Penis festmacht. Ich denke, ich kann auch mit Vorhaut ein gottgefälliges Leben führen!
Herr Dr. Ayhan, welchen "sehr" postiven Nutzen und welche "sehr" postiven Begleiterscheinungen hatte denn die Beschneidung tatsächlich bei Ihnen außer das größere Durchhaltevermögen bei sexueller Aktivität?

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