Pflegeberufegesetz

Skepsis in der Union

Die Qualitätsoffensive der großen Koalition in der Gesundheits- und Pflegepolitik steht und fällt mit der Rekrutierung von ausreichend gut ausgebildetem Personal. Die Einführung eines neuen Berufsbildes in der Pflege ist Teil der Kampagne. Die Regierungspläne sind heftig umstritten.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Mehr als eine Million Menschen sind heute in den ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen beschäftigt. Der demografische Wandel wird den Druck auf den Pflegearbeitsmarkt in den kommenden 20 Jahren allmählich erhöhen.

Dazu kommen externe Schocks: Für einen sprunghaften Anstieg des Fachkräftebedarfs sorgt die Bundesregierung per Gesetz. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II holt sie ab 2017 etwa eine halbe Million Menschen auf einen Schlag unter das Dach der Pflegeversicherung. Das heizt den Pflegearbeitsmarkt weiter an. Schon heute sollen rund 40.000 Stellen in der Pflege nicht besetzt werden können.

Trotz einer Rekordzahl von derzeit rund 133.000 Pflegeschülern wird sich die Lage kaum entspannen. Prognosen des Statistischen Bundesamts oder zuletzt der Bertelsmann Stiftung gehen bis zum Jahr 2030 von einer Lücke von bis zu 370.000 Vollzeitkräften aus.

Neues Berufsbild soll es richten

Mit dem Pflegeberufegesetz schaffen das Gesundheits- und das Familienministerium ein Instrument, das Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen für den Wettbewerb um den Nachwuchs fit machen soll.

Der Entwurf ist bis in die Regierungsfraktionen hinein heiß umstritten. Die Gegner fürchten, dass sich weniger junge Menschen als bisher für die Alten- sowie die Kinder- und Jugendpflege entscheiden werden.

Das sind die wesentlichen Ziele des Gesetzentwurfes:

- Generalistische Ausbildung mit dem Abschluss Pflegefachfrau und -mann. Die bisherigen Berufsbilder Altenpflege, Krankenpflege und Gesundheits- und Kinderpflege sollen abgelöst werden.

- Das in einigen Ländern noch übliche Schulgeld für die Altenpflegeausbildung soll gestrichen werden. Stattdessen sollen alle Auszubildenden eine Ausbildungsvergütung erhalten.

- Ergänzend zur beruflichen Ausbildung soll die Akademisierung vorangetrieben und berufsqualifizierende Studiengänge eingeführt werden.

Erklärtes Ziel von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ist es, auf die sich verändernden Versorgungsstrukturen und Pflegebedarfe in der Akut- und Langzeitpflege zu reagieren.

Im Kern soll es darum gehen, den steigenden Krankenpflegebedarf in Altenheimen ebenso zu decken wie den wachsenden Bedarf an Altenpflege in den Kliniken.

Zustimmung und Widerspruch

Die grundlegende Veränderung der Ausbildungslandschaft in der Pflege stößt auf Zustimmung und Ablehnung gleichermaßen. Der Deutsche Pflegerat ist dafür, ein breit aufgestelltes "Bündnis für Altenpflege" dagegen.

Dieser Gruppe haben sich die Kinder- und Jugendmediziner sowie der Verband der Gerontopsychiater angeschlossen. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft mahnt zu Sorgfalt vor Geschwindigkeit.

Ein Grund ist das Geld. Ein von den beteiligten Ministerien in Auftrag gegebenes Gutachten kommt auf Mehrkosten von 300 Millionen Euro im Jahr im Vergleich zum Status quo.

Der liegt bei 2,4 Milliarden Euro. Das Gesetz schafft eine Umlage, die alle an den Kosten beteiligt, auch die Einrichtungen, die bislang nicht ausbilden. Das schafft zumindest kurzfristig Verlierer.

In Frage gestellt wird aber auch die fachliche Qualität des neuen Berufsbildes. Was die neuen Pflegefachkräfte können müssen, ist nämlich noch gar nicht bekannt. Vorgesehen ist, dass erst nach einer Entscheidung des Bundestags für die Generalistik die Ministerien die Lehr- und Lerninhalte per Verordnung nachreichen.

Unionspflegeexperte schießt quer

Ausgerechnet beim Pflegebeauftragten der Unionsfraktion, Erwin Rüddel (CDU), schwoll daraufhin der Kamm. Er forderte eine Änderung des üblichen parlamentarischen Verfahrens: "Die Verordnung muss uns noch vor der Beendigung des Gesetzgebungsverfahrens vorliegen. Sollte das nicht der Fall sein oder sollten die Inhalte der Verordnung nicht unseren Abmachungen entsprechen, wird es keine Zustimmung zu dem Gesetz geben.", wetterte Rüddel.

Bei einem Fachgespräch mit Staatssekretär Dr. Ralf Kleindiek aus dem Familienministerium wurde Rüddel konkreter. Mindestens drei Monate sollten die Fraktionen Zeit erhalten, die Inhalte der Verordnung zu prüfen.

Dass Rüddel, der selbst aus der Altenpflegebranche stammt, sehr skeptisch gestimmt ist, lässt sich seiner Äußerung entnehmen: "Die Verordnung muss die Quadratur des Kreises schaffen!"

Laumann bleibt zuversichtlich

Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung Karl-Josef Laumann bleibt zuversichtlich, dass Anfang des Jahres ein Kabinettsentwurf vorgelegt werden kann. Aber auch er will die Katze nicht im Sack kaufen.

Es sei richtig, dass parallel zum Gesetzgebungsverfahren auch die entsprechende Verordnung zur Durchführung erarbeitet werde. Das schaffe Vertrauen und Transparenz, sagte Laumann der "Ärzte Zeitung".

Etwas grundsätzlich Neues

Teilnehmer an den Modellversuchen mit der Generalistik, die 2008 evaluiert worden sind, geben sich entspannter. Es sei natürlich so, dass die Inhalte der bisher drei Berufe nicht eins zu eins in das neue Berufsbild übernommen würden, sagte Brigitte von Germeten-Ortmann, Leiterin der Abteilung Gesundheits- und Altenhilfe beim Caritasverband für das Erzbistum Paderborn.

Es entstehe etwas "grundsätzlich Neues". In den Einrichtungen der Caritas waren vor zehn Jahren 24 Pflegeschüler generalistisch ausgebildet worden. Insgesamt stützt sich der Evaluationsbericht aus dem Familienministerium auf acht Modellprojekte in 18 Einrichtungen unterschiedlicher Träger in mehreren Bundesländern.

Aus Sicht von Ärzten sei es einfacher, teilspezialisierte Kräfte zu haben und die tradierten Wege weiterzugehen, sagte von Germeten-Ortmann. Das sei aber sowohl für die künftigen Schüler als auch für die Gesellschaft einengend.

Nötig sei der Gedankensprung weg vom sektoralen Denken hin zur Kompetenzorientierung. Das müsse auch in die Köpfe der Lehrer. Angestrebt werde, Pflegekräfte möglichst 45 Jahre im Beruf zu halten. Dafür bedürfe es einer weitgehenden vertikalen und horizontalen Durchlässigkeit.

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