„Besser 1000 zu viel“
Spahn weist Kritik an Maskenbeschaffung zurück
Gesundheitsminister Spahn sieht sich wegen der Maskenbeschaffung zu Beginn der Corona-Pandemie zu Unrecht an den Pranger gestellt. Die Impfkampagne sieht er auf gutem Weg – auch wegen des Einstiegs der Betriebsärzte.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin/Stuttgart. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat Vorwürfe wegen der Art und Weise der Maskenbeschaffung zu Beginn der Corona-Pandemie zurückgewiesen. Deutschland habe sich im Frühjahr 2020 in einer „Ausnahmesituation“ und der „größten Krise“ seit 1945 befunden, sagte der CDU-Politiker am Freitag bei der Bundespressekonferenz.
Krankenhäuser hätten damals wegen des Mangels an Schutzmasken mit Schließung gedroht. Die Not sei so groß gewesen, dass man sogar Verfahren entwickelt habe, um Masken wiederaufzubereiten. Teils seien diese – wie auch Desinfektionsmittel – „geklaut worden, weil es Mangelware war weltweit“. Daher habe das Ministerium unkonventionell handeln müssen. „Und ja, ich bin der Meinung: Besser 1000 zu viel als eine zu wenig.“
„Waren in einer Ausnahmesituation“
Das gelte im Übrigen auch für die Beschaffung von Impfstoffen, betonte der Minister. Lege man den gleichen Maßstab wie bei der Maskenbeschaffung 2020 an, „wird man in einem Jahr sagen, wir haben zu viel Impfstoffe zu teuer bestellt“.
Zuvor hatte der Bundesrechnungshof massive Vorwürfe gegen das Spahn-Ressort wegen der Beschaffung von Schutzausrüstung zu Beginn der Pandemie erhoben. Die Rechnungsprüfer hatten die lückenhafte Dokumentation der Beschaffungen und die fehlende Mengensteuerung beim Ankauf kritisiert.
Spahn sagte, man habe Anfang 2020 einen „Großbrand“ und anschließend weitere Brände, sprich Infektionswellen erfolgreich gelöscht. Jetzt führe man die Diskussion, ob zu viel Löschwasser zum Einsatz gekommen sei oder etwas daneben gelaufen sei. Um künftig Mangelsituationen zu verhindern, brauche es die Bevorratung an Schutzmaterial und Produktionskapazitäten für Vakzine.
KVBW-Chef Metke: Klotzen statt kleckern war nötig
Unverständnis für die Vorwürfe der Rechnungsprüfer äußerte auch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Die niedergelassenen Ärzte in Baden-Württemberg hätten zu Beginn der Pandemie viel zu wenig Schutzausrüstung gehabt – teils hätten sie mit „Regenmantel und Sonnenbrille“ arbeiten müssen, sagte KVBW-Vorstandschef Dr. Norbert Metke am Freitag in Stuttgart.
Menschen seien erkrankt und gestorben – „auch weil Infektionsketten aufgrund mangelnder Schutzausrüstung nicht verhindert werden konnten“, so Metke. Daher sei es damals richtig gewesen, bei der Beschaffung von Schutzmaterial zu klotzen, statt zu kleckern. „Oder hätten wir bei einer unplanbaren Pandemie lieber zu knapp als zu großzügig beschaffen sollen?“
„Menschen im Alltag abholen“
Zur laufenden Impfkampagne erklärte Spahn, diese gehe mit „großen Schritten“ voran. Mittlerweile habe jeder zweite Bundesbürger mindestens eine Immunisierung erhalten. Vollständig geimpft worden seien 29,6 Prozent der Bevölkerung und damit fast jeder dritte Bundesbürger.
Spahn zeigte sich zuversichtlich, dass allen impfwilligen erwachsenen Bundesbürgern „innerhalb weniger Wochen“ ein Impfangebot gemacht werden könne. Allein von den Vakzinen von BioNTech/Pfizer und Moderna seien so viele Lieferungen bis Ende Juni zugesagt, „dass wir – Stand heute, wenn nichts Unerwartetes passiert – diese Prognose werden halten können“.
Mit dem Einstieg der Betriebsärzte in die Impfkampagne erhöhe sich das Tempo nochmals, so Spahn. Sie könnten jene Menschen im Alltag „abholen“, die noch Zweifel an einer Impfung hegten oder denen die Hürden für einen Impftermin zu hoch seien.
Bis zu 6000 Werksärzte impfen mit
Betriebsärzte sind seit dem 7. Juni regelhaft in die Corona-Impfkampagne eingebunden. Aktuell impfen wöchentlich etwa bis zu 6000 Werksmediziner mit. Momentan stünden ihnen rund 700.000 Impfdosen pro Woche zur Verfügung, sagte Spahn. Er wisse, dass die Betriebsärzte „mehr können“. Es sei aber wichtig, mit dem Impfen an Werkbänken „niedrigschwellig“ begonnen zu haben.
Die Impfbereitschaft der Beschäftigten sei groß, berichtete der leitende Betriebsarzt bei Siemens, Dr. Ralf Franke. Da Beschäftigte ihre Betriebsärzte kennen würden und sich „Gruppendynamik“ unter den Mitarbeitenden einstelle, wenn es ums Impfen gehe, könne man mehr Menschen erreichen als anderswo Man akzeptiere aber auch, wenn Mitarbeiter sich nicht impfen lassen wollten. Boni für Impfwillige werde es nicht geben.
Sorgen wegen Delta-Variante
Spahn betonte, Impfungen seien wichtig, weil sich die Delta-Variante des Virus inzwischen auch in Deutschland ausbreite. Der Anteil liege zwar noch auf niedrigem Niveau, nehme aber „schnell“ zu. Die Frage sei nicht, ob, sondern wann und unter welchen Bedingungen die Delta-Variante die dominante werde.
Nach Berechnungen des Robert Koch-Instituts (RKI) lag der Anteil der in Indien entdeckten Delta-Variante zuletzt (KW 22) bei 6,2 Prozent. In der Woche davor waren es 3,7 Prozent. Wie sich die Ausbreitung weiterentwickele, hänge stark vom Fortgang der Impfkampagne ab, betonte RKI-Chef Professor Lothar Wieler. Nur zweifach Geimpfte hätten einen vergleichsweise guten Schutz vor einem schweren Infektionsverlauf.
BÄK: Zweite Impfung fristgerecht vornehmen lassen!
Auch Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt rief Erstgeimpfte auf, die nötige Impfauffrischung fristgerecht vornehmen zu lassen. Aktuelle Studien zeigten, dass der Schutz gegen die Delta-Variante bei nur einmaliger Impfung um 17 Prozent geringer ausfallen könne als gegen die bisherige Alpha-Mutante, sagte Reinhardt am Freitag. Eine hohe Impfquote verlangsame die Ausbreitung der Delta-Variante und reduziere das Ansteckungsrisiko für Kinder deutlich.
Trotz des Rückgangs der Gesamtinzidenz sei es weiter „vernünftig und geboten“, in Innenräumen, in Bussen und Bahnen sowie vergleichbaren Orten medizinische Schutzmasken zu tragen, betonte der BÄK-Chef. „Wir sollten alles dafür tun, einen Wiederanstieg der Infektionszahlen, wie derzeit in Großbritannien, zu verhindern.“