Sabine Dittmar im Interview

Spannende Frage, wie viele Teilzeit-Praxen es gibt

Das TSVG ist "work in progress". Der ganze Komplex Sprechstunden und Vergütung kommt noch einmal auf den Prüfstand, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Dittmar.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Sprechstundenangebote am Abend sollten mit Zuschlägen und extrabudgetär vergütet werden.

Sprechstundenangebote am Abend sollten mit Zuschlägen und extrabudgetär vergütet werden.

© tunedin / stock.adobe.com

Ärzte Zeitung: Werden wir im TSVG Anreize für Sprechstunden am Abend und an Samstagen sehen?

Sabine Dittmar: Das ist nach wie vor Gegenstand aktueller Gespräche. Es ist uns wichtig, dass Ärzte Sprechstunden zu solchen Unzeiten anbieten. Das wäre ein attraktives Angebot an berufstätige Versicherte. Und für die Ärzte soll das nicht heißen, dass die Pflichtstunden für die Kassenzulassung über die 25 vorgesehenen hinaus aufgestockt werden sollen.

Es sind ja für die bislang schon geplanten Veränderungen bereits 500 bis 600 Millionen Euro im Gespräch, die zusätzlich fließen sollen. Ist denn für Abend- und Wochenendarbeit tatsächlich noch mehr im Topf?

Dittmar: Ich denke, dass man solche Sprechstundenangebote am Abend und am Samstag mit Zuschlag und extrabudgetär vergüten muss. Dafür plädiere ich sehr. Man muss sich aber die jetzt schon geplanten Zuschläge noch einmal genau anschauen. Da ist noch manches unklar, zum Beispiel wie und ob sich verschiedene Zuschläge addieren lassen.

Es gibt ja Berechnungen, zum Beispiel aus der KV Hessen, dass die bisher geplanten extrabudgetären Zuschläge für Leistungen in den offenen Sprechstunden aufgrund der Quotierung in den Facharztgruppen keine Wirkung entfalten können. Sind die Anreize ausreichend hoch angesetzt?

Dittmar: Wir schauen uns den ganzen Komplex Sprechstunde und Vergütung noch einmal an. Anreize sollten im Plus sein.

Die SPD sagt ja, die Aufstockung der Stunden für die Kassenzulassung sei nicht verhandelbar, weil im Koalitionsvertrag vereinbart. Gleichzeitig gibt es eine wissenschaftliche Kommission, die die Konvergenz der Vergütungssysteme untersucht. Hätte man nicht auf deren Ergebnisse warten müssen, wenn man gegen Zwei-Klassenmedizin vorgehen will?

Dittmar: Die Schritte kann man gleichzeitig gehen. Es geht zunächst um die Verbesserung der Versorgung und dann darum, sich die Honorarsysteme anzuschauen. Die Aufstockung um fünf Sprechstunden war übrigens bei beiden Koalitionspartnern sehr beliebt, um das klarzustellen.

Es ist auch von den Ländern, die dabei mit am Tisch saßen, anerkannt worden, dass es Probleme für gesetzlich Versicherte gibt, zeitnah einen Facharzttermin zu bekommen. Das ist kein gefühltes Problem, auch wenn Herr Gassen das immer wieder so darstellt.

Die Aufstockung für die Kassenzulassung und die Verpflichtung zu offenen Sprechstunden wird von den Ärzten als ehrverletzend empfunden. Können Sie als Hausärztin die Aufregung verstehen?

Dittmar: Nein, das kann ich nicht. Bei den Hausärzten werden ja die Hausbesuche mitgezählt. Da habe ich die 25 Stunden wahrscheinlich schon am Mittwochnachmittag oder Donnerstagvormittag geleistet. In einer normal organisierten Hausarztpraxis werden die 25 Stunden keine Probleme bereiten.

Handelt es sich um eine reine Funktionärsdebatte?

Dittmar: Es geht um eine gefühlte Belastung. Uns erreichen Briefe von Ärzten, die uns ihre hohe Arbeitsbelastung schildern und gleichzeitig über die 25 Wochensprechstunden klagen, obwohl klar ist, dass sie niemals betroffen sein werden.Das ist eine Debatte, wie wir sie auch in der vergangenen Legislaturperiode mit den Ärzten geführt haben, als wir im Zusammenhang mit dem Pflichtaufkauf von Praxen durch die KVen über Deckungsgrade von 110 und 140 Prozent gesprochen haben.

Die damalige Erregung war ja auch irrational, weil ein solcher Aufkauf bisher praktisch noch nicht stattgefunden hat. Man kann sich darüber streiten, ob man die 25 Stunden ins Gesetz schreibt oder über den Bundesmantelvertrag regelt. Am Ende kann man aber erwarten, dass, wenn ein Arzt eine volle Kassenzulassung hat, er dann auch 25 Stunden für die gesetzlich Versicherten zur Verfügung steht.

Gibt es Evidenz dafür, dass das tatsächlich sogenannte Hobbypraxen trifft? Also Praxen, die einen vollen Sitz haben, aber die vorgeschriebene Stundenzahl nicht erreichen?

Dittmar: Das ist die spannende Frage. Wir haben schon im Versorgungsstärkungsgesetz einen Passus, dass die KVen überprüfen müssen, ob der Versorgungsauftrag auch ausgeführt wird. Wir kommen aber nicht an die Informationen heran, wie die Ergebnisse ausfallen.

Der GKV-Spitzenverband geht von 25 Prozent der Praxen aus, die weniger als 25 Stunden für Kassenpatienten anbieten. Ich habe diese Rechnung allerdings noch nicht auf Validität überprüfen können. Es gibt wohl die Möglichkeit, an dieser Stelle Reserven zu heben und Arztsitze zu generieren.

Auf welche Praxen trifft das zu?

Dittmar: Der Spitzenverband spricht ausdrücklich auch von den somatischen Praxen. Ich kenne selbst Praxen, die einfach für die Kinder offengehalten werden, bis sie die Weiterbildung absolviert haben. Und solange werden dann eben nur 300 oder 400 Scheine abgerechnet.

Darf es solche Erbhöfe geben?

Dittmar: Nein. Der Arzt muss seinen Sitz ganz oder teilweise an den Zulassungsausschuss zurückgeben. Wenn aus der Familie aber jemand alle Voraussetzungen erfüllt, muss das bei der Nachbesetzung mit berücksichtigt werden. Grundsätzlich passen aber die Summen, die bei Praxiswechseln bezahlt werden, nicht in ein Solidarsystem.

Meine Praxis ging zum Nulltarif weg. Der Patientenstamm darf nicht zur Ware werden. Eigentlich muss der abgebende Arzt den Karteikasten abschließen und der neue Arzt muss sich von jedem Patienten erlauben lassen, dass er in die jeweilige Kartei hineinsehen darf. Dass Praxen über das Inventar hinaus auch noch einen Wert haben sollen, halte ich für nicht in Ordnung.

Ist die Verstaatlichung der gematik sinnvoll?

Dittmar: Die Prozesse in der Vergangenheit haben schon sehr, sehr lange gedauert und man ist das Gefühl der gegenseitigen Blockaden nicht losgeworden. Deswegen bin ich den Plänen des Ministeriums nicht abgeneigt, sich den Hut aufzusetzen. Ich kann aber auch die Krankenkassen verstehen, die sagen, dann gehen Verantwortung und Zahlungsverpflichtung auseinander. Letztendlich ist es dann so: Wenn es nicht funktioniert, hat der Minister die Torte im Gesicht.

Kritisch hinterfragen werden wir die Übertragung der Komplettverantwortung für die semantische Interoperabilität für die elektronische Patientenakte auf die KBV. Es geht ja um mehr Prozesse als nur die im ambulanten Bereich. Mit Blick auf die Universitätsmedizin, die Forschung und den stationären Sektor muss man sich das noch einmal anschauen.

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