Lauterbachs Sparpläne

Steuerzahler, Apotheken und Pharmaindustrie sollen Kassenfinanzen stützen

Die Ampel packt die Sanierung der Gesetzlichen Krankenversicherung an. Um die Beitragslast im Zaum zu halten, soll die Arzneimittelrechnung der Kassen reduziert werden. Auch der Finanzminister soll mehr leisten.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht: | aktualisiert:
Milliarden Euro einsparen muss das Bundesministerium in der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Milliarden Euro einsparen muss das Bundesministerium in der Gesetzlichen Krankenversicherung.

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Berlin. Die Ampel-Koalition geht an die Sanierung der GKV-Finanzen. Aktuell bekannt gewordene Gesetzespläne aus dem Gesundheitsministerium sehen einen regelhaft höheren Steuerzuschuss und Entlastungen der Krankenkassen bei den Arzneimittelkosten in den nächsten vier Jahren von gut sechs Milliarden Euro vor. Gesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) greift damit die Vorgaben des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP auf.

Erste Reaktionen aus der Pharmaindustrie fielen harsch aus. „Gerade in der aktuellen Situation, in der wir es mit massiven Lieferschwierigkeiten zu tun haben, dringend auf die Entwicklung von neuen Medikamenten angewiesen sind und zusätzlich noch die Versorgungsschwierigkeiten durch den Ukrainekrieg haben, ist jede weitere Belastung nicht zu verantworten“, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Dr. Hans Georg Feldmaier.

19,5 Milliarden jedes Jahr vom Steuerzahler

Die Pläne Lauterbachs sind noch nicht von Kanzleramt und Kabinett abgesegnet und müssen zudem das parlamentarische Verfahren durchlaufen. Dem Vernehmen nach ist der Referentenentwurf aus Lauterbachs Haus mit Datum vom 4. März vom Kanzleramt sogar vorerst auf Eis gelegt. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen geht ohne Eingriff des Gesetzgebers für 2023 von einer Finanzierungslücke von 17 Milliarden Euro aus. Das würde einen um rund einen Prozentpunkt höheren Zusatzbeitrag bedeuten. Im Jahr 2020 haben die Krankenkassen für die Versorgung der gesetzlich Versicherten knapp 163 Milliarden Euro ausgegeben.

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Der Entwurf des „Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ aus dem Gesundheitsministerium sieht vor, den Steuerzuschuss um fünf Milliarden Euro auf 19,5 Milliarden anzuheben. Nicht notwendige Finanzreserven der Krankenkassen sollen weiter abgeschmolzen werde und Überschüsse im Gesundheitsfonds dauerhaft an die Krankenkassen ausgeschüttet werden.

Im Gegenzug ist vorgesehen, die gesetzlichen Obergrenzen für die Mindestreserven der Kassen und des Fonds abzusenken. In einem weiteren Gesetzgebungsverfahren soll zudem die Umsatzsteuer auf Arzneimittel ab 2023 auf sieben Prozent gesenkt werden, was die Krankenkassen nach Schätzungen des GKV-Spitzenverbands um sechs Milliarden Euro entlasten würde.

Apotheker und Pharmaindustrie sollen Beitrag leisten

Apotheker und die Arzneimittelhersteller müssen nach den vorliegenden Plänen des Gesundheitsministeriums ebenfalls Beiträge leisten. So soll das bis Endes des Jahres geltende Preismoratorium für Arzneimittel um weitere vier Jahre verlängert werden. Das Ministerium rechnet über diesen Zeitraum mit Einsparungen von knapp 4,5 Milliarden Euro.

Der Apothekenabschlag soll befristet auf zwei Jahre von derzeit 1,77 Euro auf zwei Euro angehoben werden, was unter dem Strich 170 Millionen Euro im Jahr von der Arzneimittelrechnung der Kassen nehmen soll.

An Arznei-Innovationen soll gespart werden

Komplizierter fallen die geplanten Regelungen für die Erstattungsbeträge von Arznei-Innovationen aus. So soll der zwischen dem Gemeinsamen Bundesausschuss und dem Hersteller verhandelte Erstattungsbetrag für eine neue Arznei den Regierungsplänen zufolge bereits ab dem siebten Monat nach Markteinführung gelten, was den Kassen nach Berechnungen des Ministeriums 150 Millionen Euro im Jahr spart. Bislang können die Pharmaunternehmen ihre Preise im kompletten ersten Jahr nach der Markteinführung frei gestalten.

Künftig sollen Selbstverwaltung und Hersteller zudem mengenbezogene Regelungen bis hin zur Wirtschaftlichkeit von Packungsgrößen aushandeln, wovon sich der Gesundheitsminister 50 Millionen Euro im Jahr an Einsparungen verspricht. Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen sollen künftig bereits ab einem Umsatz von 20 Millionen Euro einer Nutzenbewertung unterworfen werden, im Augenblick gelten 50 Millionen Euro. Davon werden Einsparungen zwischen 100 und 200 Millionen Euro erwartet.

Pharmaunternehmen warnen vor Imageverlust des Standorts

Als „verheerendes Signal in die internationale Investorenszene“ wertete der Präsident des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) Han Steutel die Pläne Lauterbachs. Die geplante Erhöhung des Zwangsrabatts für moderne Medikamente beende den Imagegewinn, den der deutsche Pharmastandort aufgrund der Technologieführerschaft bei mRNA dort gewonnen habe. „Der deutschen Politik muss klar sein, dass Länder wie USA, Frankreich oder China gerade massiv auf die Pharmaindustrie als Leitbranche setzen, die dort wachsen soll“, sagte Steutel. Die Pharmaunternehmen hierzulande sollen mehr Geld in die gesetzliche Krankenversicherung einspeisen, obwohl der Anteil der Arzneiausgaben an den GKV-Ausgaben in den vergangenen zehn Jahren stabil um die 16 Prozent gelegen habe. „Wir haben überhaupt kein Kostenproblem verursacht“, bilanzierte Steutel.

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) reagierte vergrätzt. Die anhaltende Pandemie zeige, wie wichtig Forschung, Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln in allen Bereichen sei, sagte BPI-Chef Feldmeier. Über Rabattverträge, Zwangsabschläge, Festbeträge und das AMNOG sparten die Unternehmen den Krankenkassen jährlich deutlich zweistellige Milliardenbeträge ein.

Sollte der Entwurf realisiert werden, hätte das katastrophale Auswirkungen auf die Arzneimittelhersteller und würde die Intention des Koalitionsvertrags, den Pharmastandort Deutschland zu stärken, konterkarieren, meldete sich am Mittwoch der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) zu Wort. „Dass das Bundesgesundheitsministerium für Gesundheit nun fast eine Verdreifachung des Herstellerabschlags vorsieht, ist völlig inakzeptabel“, sagte BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Hubertus Crantz. Viele mittelständische Unternehmen könnten dies nicht verkraften.

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