DMP-Pauschalen
Streichen oder belassen?
Kassenvertreter fürchten Kollateralschäden, wenn die Programmpauschale für Disease-Management- Programme entfällt. Wissenschaftler widersprechen.
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Die Programmpauschale für DMP wird von Kassenvertretern vehement verteidigt, Wissenschaftler befürworten ihre Abschaffung.
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BERLIN. Welche Zukunft haben Disease-Management-Programme (DMP) und Selektivverträge im „Faire-Kassenwahl-Gesetz“? Experten und Kassenfunktionäre äußern Bedenken.
Der Referentenentwurf umfasst nicht nur die vieldiskutierte Organisationsreform der Krankenkassen, sondern auch viele Änderungen am morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). So sollen in einem Vollmodell künftig deutlich mehr Diagnosen berücksichtigt werden.
„Die Zahl der Morbiditätsgruppen wird sich verdreifachen“, erläuterte der Bayreuther Volkswirtschaftler Professor Volker Ulrich beim Hauptstadtkongress. Er gehört dem wissenschaftlichen Beirat des Bundesversicherungsamtes (BVA) an, der die RSA-Reform vorbereitet hat.
Reform: Pauschalen sollen gestrichen werden
Die Morbi-RSA-Reform sieht aber unter anderem auch vor, dass die Pauschalen für DMP gestrichen werden. Ulrich hält diesen Schritt in Verbindung mit dem Vollmodell für konsequent.
Seine rhetorische Frage: „Es gibt so viele gute Programme. Warum sollte eine Programmart bevorzugt werden?“ Ulrich warnte davor, die Reform in einzelnen Teilen zu diskutieren. Die Reformpläne seien weitreichend. „Im Paket könnte jeder damit leben“, sagte er.
Vehement gegen die Streichung der DMP-Pauschalen sprach sich Ulrich Paschek von der Knappschaft Bahn-See aus. DMP hätten sich in der Praxis bewährt.
„Die Streichung führt bei Versorgerkassen mit einem hohen Anteil DMP-Patienten zu schlechterer Finanzierung. Mithin müssen die Kassen über eine Streichung der Programme nachdenken. Das würde die Versorgung verschlechtern.“
"Definitiv in die falsche Richtung"
Kritisch sieht das auch der Vize des AOK Bundesverbands, Jens Martin Hoyer. „Wir hoffen, dass die Bereitschaft, DMP sinnvoll weiterzuführen, nach wie vor besteht“, sagte er.
Auch andere Elemente der RSA-Reform, wie etwa ein Regionalausgleich, gehen aus seiner Sicht „definitiv in die falsche Richtung“. Hoyer forderte, dass statt Über- und Unterdeckung die absolute Geldverteilung in den Blick gerückt werden müsse.
Dr. Thomas Schepp vom BKK Dachverband sprach sich dafür aus, die Morbi-RSA-Reform als Ganzes zu beschließen. „Das Gesamtpaket sollte auf keinen Fall aufgeschnürt werden“, sagte er. Die Reformelemente würden in der Kombination wirken.
Schepp warnte aber auch davor, dass mit der Hereinnahme von mehr Diagnosen auch mehr Möglichkeiten der Manipulation bestünden. Daher sei auch eine Stärkung der Manipulationsresistenz des Morbi-RSA nötig.
Pro Krankheit weniger Geld
Ulrike Elsner, Vorsitzende des Ersatzkassenverbands (vdek), unterschrieb diese Forderung. „Wir hoffen, dass unsägliche Entwicklungen abgestellt werden, wenn ein Vollmodell mit einer Manipulationsbremse kombiniert wird“.
Der Ökonom Ulrich verwies darauf, dass die Zunahme der Diagnosen dazu führe, dass es pro Krankheit um weniger Geld gehe. Manipulationsversuche, wie sie im Zusammenhang mit Codier-Richtlinien in der Vergangenheit bekannt wurden, wären damit weniger lohnend.
Der Referentenentwurf sieht weitere Manipulationsbremsen vor. Unter anderem ist eine „Entkopplung der Vergütung für Selektivverträge von Diagnosen“ geplant. Damit werden jedoch nach Expertenmeinung auch diagnosebezogene Selektivverträge in Frage gestellt.
Ulrich zeigte sich „unsicher, ob ein Selektivvertrag zu einer einzelnen Diagnose mit dem neuen Gesetz noch möglich wäre“.