RSA-Reform
16 Bundesländer gegen den Minister
Der Bundesgesundheitsminister hat die Reform des Kassenausgleichs zu einem echten Spahn umgemodelt: Politik als Kampfzone – die AOK-Öffnung wird gegen maximalen Widerstand proklamiert. Der Ausgang ist offen.
Veröffentlicht:Die wettbewerblichen Rahmenbedingungen für den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) neu zu ordnen ist eine Herkulesaufgabe. Denn der interne Finanzausgleich bestimmt über Wohl und Wehe im Kassenwettbewerb.
Doch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat dem Ende März veröffentlichten Entwurf eines Gesetzes „für eine faire Kassenwahl“ einen völlig neuen Twist gegeben.
Der Satz „Der Zuständigkeitsbereich von Ortskrankenkassen erstreckt sich auf das gesamte Bundesgebiet“ löste erwartungsgemäß unterschiedliche Reaktionen aus.
„Positiv überrascht“ zeigte sich etwa Franz Knieps, Leiter des BKK-Dachverbands. Er signalisierte Zustimmung, dass Spahn das „antiquierte Organisationsrecht“der Kassen angehe. Die Innungskassen lobten, die bislang fehlende einheitliche Aufsichtspraxis könne so überwunden werden.
Spahn auf dem Holzweg?
Der AOK-Bundesverband sieht Spahn dagegen „auf dem ordnungspolitischen Holzweg“ und argumentierte, passgenaue Versorgungsverträge entstünden durch die Kenntnis der Bedarfe vor Ort.
Die Landesgesundheitsminister schäumten und schickten Spahn einen 16:0-Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz. Die bundesweite Öffnung der Kassen gefährde die „konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern“, warnten sie.
Während der Grundsatzkonflikt um das Organisationsrecht der Kassen weiter schwelt, rücken die inhaltlichen Fortentwicklungen des RSA, die im Referentenentwurf angelegt sind, mittlerweile wieder mehr in den Fokus der Diskussion. Denn Spahn hat annähernd jeden Reformvorschlag der vergangenen Jahre in seine Vorlage gepackt.
- Vollmodell: Das Teilmodell der 80 jährlich neu festzulegenden Krankheiten soll abgelöst werden durch ein Vollmodell, bei dem künftig alle 360 kodierbaren Krankheiten einbezogen werden. Dafür hatte sich auch der wissenschaftliche Beirat beim Bundesversicherungamt ausgesprochen. Im bisherigen Modell erhielten Kassen für multimorbide Versicherte im mittleren Alter eine Überdeckung, für solche Versicherte in hohem Alter dagegen zu wenig Geld.
- Regionalkomponente: Regionale Unterschiede, etwa der Anteil ambulant Pflegebedürftigen, sollen in die Berechnungen einbezogen werden. Für die AOKen ist dies ein „getarnter Metropolenzuschlag“, der mehr Geld in überversorgte Gebiete leite. Anders argumentieren die Ersatzkassen und sehen in der Regionalkomponente einen sinnvollen Ausgleich für die überdurchschnittlichen Kosten der Versorgung in Ballungsregionen mit medizinischem High-Tech-Angebot.
- Risikopool: Für die Behandlung von Menschen mit schweren Erkrankungen, deren Jahrestherapiekosten 100.000 Euro übersteigen, soll ein Risikopool eingeführt werden, der in ähnlicher Variante bereits bis 2009 Teil des RSA war. Aus Sicht des AOK-Bundesverbands setzt ein Ist-Kosten-Ausgleich in einem Vollmodell falsche Anreize. Die Ersatzkassen entgegnen, angesichts eines geplanten Selbstbehalts von 20 Prozent bestehe der Anreiz zu wirtschaftlichem Handeln für die Kassen fort.
- Prävention: Kassen sollen für jeden Versicherten eine anrechenbare Vorsorgepauschale erhalten, wenn Leistungen der Mutterschaftsvorsorge, Gesundheits- und Frühkerkennungsuntersuchung oder Impfung erbracht und abgerechnet wurden. Das soll für die Kassen einen Stimulus setzen, die Versicherten zur Inanspruchnahme dieser Leistungen zu ermuntern.
- Manipulationen am RSA: Spahns Gesetz will eine Brandmauer einziehen, um jede Form von Kodieranreizen für Ärzte zu verhindern, die zusätzliche Mittelzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds auslösen. Bei der Verbändeanhörung des Referentenentwurfs war der Widerstand gegen diese Regelung vielstimmig. Der Hausärzteverband warnte, Hausarztverträge dürften nicht mit Betreuungsstrukturverträgen verwechselt werden – dem Vehikel der Kassen für die Optimierung der RSA-Rückflüsse.
- DMP-Programmpauschale: Ihre geplante Streichung hat ein vielstimmiges Echo ausgelöst. Die KBV fürchtet, dies würde zu einem raschen Ende vieler DMP-Verträge führen, so dass sich die strukturierte Versorgung chronisch Kranker verschlechtern könnte. Die AOK-Gemeinschaft hält die Streichung hingegen für sachgerecht – auch der BVA- Beirat habe sich 2017 in seinem Gutachten kritisch zur Privilegierung der DMP im Vergleich zu anderen „Besonderen Versorgungsformen“ geäußert.
Veranstaltung "Reform des Morbi-RSA – was kommt auf die Kassen zu?", 23. Mai, 11.30 bis 13.00 Uhr; Halle A4. Es diskutieren Ulrike Elsner (vdek), Jens Martin Hoyer (AOK-Bundesverband), Bettina am Orde (Knappschaft), Dr. Thomas Schepp (BKK-Dachverband) und Professor Volker Ulrich. Moderation: Anno Fricke.