Fachgesellschaften
Streit um Schmerzmedizin
Wie sollen Schmerzpatienten behandelt werden? Die Experten zanken sich: Die einen sind für den spezialisierten Schmerzarzt - die anderen sehen Schmerzmedizin als Querschnittsfach.
Veröffentlicht:MANNHEIM. Deutschlands Schmerzmediziner setzen auf Qualitätssicherung. Vor der Eröffnung des Deutschen Schmerzkongresses am Mittwoch in Mannheim stellte Professor Andreas Straube vom Klinikum Großhadern in München ein Fortbildungsprogramm mit zertifizierten Kursen für die Versorgung von Kopfschmerzpatienten vor.
Straube, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), wies darauf hin, dass von den Kassen eine bessere Vergütung von Leistungen für Kopfschmerzpatienten nur dann zu erwarten sei, wenn Qualität entsprechend gesichert werde. Das Zertifikat ist ausschließlich für Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten vorgesehen.
Unter den Schmerz-Fachgesellschaften gibt es weiter extrem unterschiedliche Auffassungen mit Blick auf die Einführung eines Facharztes für Schmerzmedizin. Dieser Facharzt wird seit Jahren vom Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin, Dr. Gerhard Müller-Schwefe, gefordert.
Sowohl Straube als auch der Tagungspräsident des Schmerzkongresses, Professor Martin Marziniak aus München, lehnten Müller-Schwefes Forderung bei einem Pressegespräch ab.
Käme dieser "Allgemeinmediziner des Schmerzes", dann hätte das fatale Konsequenzen, warnte Straube: "Die Interdisziplinarität der Schmerztherapie, für die wir kämpfen, wäre dann tot!"
Selbstkritische Fachverbände
Dr. Peter Nilges, Leitender Psychologe am DRK-Schmerzzentrum in Mainz, wies darauf hin, dass die Häufigkeit von Schmerzen, die auf ursächlich behandelbare Erkrankungen oder Verletzungen zurückzuführen seien, überschätzt würden.
Die bei über 250 definierten Kopfschmerzdiagnosen häufigsten Schmerzformen wie Migräne und Spannungskopfschmerz seien nicht durch krankhafte Veränderungen erklärbar - betroffene Patienten müssten somit auch nicht ursächlich, sondern vor allem symptomatisch behandelt werden.
Bei Patienten mit Rückenschmerz etwa würden mit immer aufwändigeren und teureren Operationen strukturelle Veränderungen der Wirbelsäule mit mäßigem Erfolg korrigiert, beklagte Nilges.
Selbst von den Spitzen der Fachverbände werde diese Entwicklung kritisiert. "Langfristige Ergebnisse von Wirbelsäulenoperationen sind nicht besser als der normale Verlauf ohne Operation", so der Psychologe weiter.
Unspezifische, normale Rückenschmerzen seien oft Störungen des Zusammenspiels zwischen Muskeln, Bändern, Gelenken und Sehnen.
Diese reversiblen und gutartigen Faktoren seien weniger als "Totalschaden" zu verstehen, sondern als die Folge mangelnder "Pflege" - also einer fehlenden Balance zwischen körperlicher und psychischer Belastung und Belastbarkeit..
Vor 40 Jahren gegründet
Die Deutsche Schmerzgesellschaft feiert bei diesem Kongress Jubiläum. Sie ist vor 40 Jahren gegründet worden.
Professor Hans-Georg Schaible vom Uniklinikum Jena wies darauf hin, dass die Herausforderungen auch für die Zukunft groß sind.
In Europa litten immer noch 20 Prozent der Menschen an signifikant chronischen Schmerzen, sagte er. Bereits vorhandene therapeutische Möglichkein müssten besser eingesetzt werden, zugleich müsse die Forschung im Bereich Schmerz intensiviert werden. Der Kongress geht am 17. Oktober zu Ende.
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