Welt-Down-Syndrom-Tag
Trisomie-21-Diagnose führt meist zur Abtreibung
Es ist ein merkwürdiger Gegensatz: Menschen mit Down-Syndrom sind auf Plakaten und bei Kampagnen etwa für mehr Inklusion sehr präsent – dabei gibt es immer weniger von ihnen. Nicht nur in Deutschland.
Veröffentlicht:BERLIN. Immer besser lässt sich schon in der Schwangerschaft erkennen, ob es im Erbgut des Fötus schwere Störungen gibt. Eine Folge: In Deutschland kommen kaum noch Babys mit Trisomie 21, auch als Down-Syndrom bekannt, zur Welt. Babys mit dieser Erbgutstörung haben zwar bessere Lebenschancen als je zuvor – doch nur noch selten werden sie ihnen gewährt.
Etwa neun von zehn Schwangeren lassen hierzulande nach Expertenschätzungen bei einer Trisomie einen Abbruch machen. Im vergangenen Jahr wurde die Geburt eines Down-Syndrom-Kindes gar als Arztfehler vor Gericht verhandelt – die Klage auf Schmerzensgeld wurde abgewiesen.
In den meisten Nachbarländern gibt es ähnliche Entwicklungen. Ein Überblick zum Welt-Down-Syndrom-Tag am 21. März:
Schweiz: In Zürich war die Abtreibung von rund 90 Prozent der Föten mit Trisomie 21 gerade Thema auf der Theaterbühne: Der Schweizer Schock-Regisseur Milo Rau inszenierte sein Stück "Die 120 Tage von Sodom" mit Schauspielern des Hora-Theaters, die fast alle mit Trisomie 21 leben. In der Schweiz werden dem Bundesamt für Statistik zufolge jährlich nur noch weniger als 90 Menschen mit diesem Gen-Defekt geboren. 2015 gab es etwa 10.000 Abtreibungen – wie viele Frauen sich aufgrund einer Fehlbildung des Fötus dazu entschieden, sagt die Statistik allerdings nicht.
Dänemark: In Dänemark bietet das öffentliche Gesundheitssystem allen Schwangeren seit 2004 einen Test - bestehend aus Ultraschall-Untersuchung und Blutprobe – an, der das Risiko für die Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom anzeigen soll. Seitdem ist die Zahl der mit Trisomie 21 geborenen Kinder laut der landesweiten Vereinigung Down-Syndrom erheblich gesunken. 2015 kamen demnach in Dänemark nur noch 31 Kinder mit der Behinderung auf die Welt.
Schweden: Auch in Schweden werden immer mehr Kinder mit Down-Syndrom abgetrieben, wenn die Behinderung schon in der Schwangerschaft erkannt wird. Etwa eines von 700 Kindern in dem Land wird mit dem Down-Syndrom geboren. In der Zeitung "Aftonbladet" warnte der Medizinethik-Professor Nils-Eric Sahlin im vergangenen Jahr davor, eine Richtung wie Dänemark einzuschlagen: Gebe es immer weniger Menschen, die anders seien, sinke die Akzeptanz von Vielfalt in der schwedischen Gesellschaft.
Norwegen: Neun von zehn Schwangerschaften in Norwegen, bei denen ein Risiko für Down-Syndrom besteht, enden laut der Gesundheitsbehörde des Landes mit einer Abtreibung. Obwohl die Zahl der Abbrüche gestiegen ist, kommen – wie auch in Deutschland – seit Jahren ähnlich viele Kinder mit der Behinderung zur Welt. Das liegt daran, dass mehr ältere Frauen Kinder bekommen, bei denen ein höheres Down-Syndrom-Risiko besteht.
Polen: Ob das Down-Syndrom in Polen zu den Hauptgründen für eine Abtreibung zählt – wie die nationalkonservative Regierung behauptet – ist Frauenrechtlern zufolge schwer zu beurteilen. Laut Regierung werden in dem katholisch geprägten Land etwa 1000 Abtreibungen pro Jahr vorgenommen. Die Dunkelziffer wird allerdings auf rund 150.000 geschätzt. Wie in anderen europäischen Ländern werden Menschen mit Down-Syndrom in Polen im Bildungsbereich an Spezial-Einrichtungen und Inklusionsschulen gefördert sowie mit Sozialleistungen unterstützt.
Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen äußerte sich zum diesjährigen Welt-Down-Syndrom-Tag mit einem Appell, diesen Tag als einen Tag der Vielfalt zu sehen, an dem auch darauf aufmerksam gemacht werden sollte, dass Menschen mit Down-Syndrom "unser Leben und unsere Gesellschaft bereichern". Kritisch äußert sie sich zur Tatsache, dass zurzeit geprüft wird, ob die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für einen umstrittenen Bluttest auf Trisomie übernehmen sollen, der seit 2012 auf dem Markt ist. Sie erinnert daran, dass der Gemeinsame Bundesausschuss im vergangenen August ein Methodenbewertungsverfahren gestartet und vor kurzem auch eine Versicherteninformation dazu in Auftrag gegeben hat. Es sei zu befürchten, dass "die standardmäßige Anwendung des Tests dazu führen wird, dass künftig noch weniger Menschen mit Down-Syndrom geboren werden."
Die Entscheidung, ob die Gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für den Bluttest übernehmen, dürfe keinesfalls dem Gemeinsamen Bundesausschuss überlassen werden, dessen Aufgabe es lediglich sei, die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode zu bewerten. Das Gremium habe jedoch keine demokratische Legitimation, über ethische Fragen dieser Tragweite zu entscheiden. Zu diesem Ergebnis seien auch Sachverständige gekommen, die an einer Anhörung zu diesem Thema von Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe am 8. März in Berlin teilgenommen haben, so Rüffer. (dpa/run)