Pneumologen und Politiker

Uneins wegen der Luftschadstoff-Grenzwerte

Pneumologen sind sich nicht einig, ob die bestehenden Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide angemessen sind – und auch die Politik ist diesbezüglich zwiegespalten. Nun will die Bundesregierung die Frage wissenschaftlich klären lassen.

Veröffentlicht:

BERLIN. Die Bundesregierung strebt angesichts gegensätzlicher Wortmeldungen von Pneumologen zur Gefährlichkeit von Diesel-Abgasen eine wissenschaftliche Klärung an.

Die verschiedenen Erklärungen würden nun zum Anlass genommen, darüber nachzudenken, wie man eine fundierte gemeinschaftliche Position herstellen könne, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Darüber werde derzeit mit der Leopoldina als Nationaler Akademie der Wissenschaften gesprochen.

Eine Gruppe von Pneumologen hatte die Debatte angestoßen, indem sie den gesundheitlichen Nutzen der Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxide anzweifelte.

Sie widersprach damit unter anderem Positionierungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Auch das Forum der Internationalen Lungengesellschaften (FIRS) widersprach der Gruppe von gut 100 Lungenärzten.

Scheuer will Grenzwerte hinterfragen

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zog die geltenden Grenzwerte in Städten in Zweifel. „Wir müssen die Logik der Grenzwerte schon hinterfragen“, sagte er am Montag vor einer CSU-Vorstandssitzung in München.

„Wenn Experten, die damals über die WHO diese Grenzwerte mit errechnet haben oder festgelegt haben oder empfohlen haben, von willkürlichen Grenzwerten sprechen oder politisch festgesetzten Werten, dann ist das natürlich ein Alarmsignal“, sagte er.

Denn die Einschränkungen seien angesichts der Diesel-Fahrverbote nun für die Bürger spürbar. Ein Grenzwert müsse deshalb verifizierbar sein, dürfe nicht auf Willkür basieren, dürfe kein „Pi mal Daumen“ festgesetzter Wert sein, betonte Scheuer.

„Luftqualität ist Lebensqualität. Aber zu einer Lebensqualität gehört auch eine gute Mobilität“, sagte Scheuer. Man müsse auch über verschiedene Arten von Standorten von Messstellen in Europa diskutieren.

Andere Hauptstädte gingen da „sehr freizügig und sehr flexibel“ vor – in Wien etwa sei eine Messstelle in einer Fußgängerzone. Nirgendwo sonst würden die Werte so gemessen wie in Deutschland. Deswegen würden ja auch die Standorte nun überprüft.

Der Bundesverkehrsminister kündigte an, das Thema mit den anderen EU-Verkehrsministern zu diskutieren und sich gegebenenfalls für eine Entschärfung der Werte einzusetzen.

Umweltministerin kritisiert „Scheindebatte“

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) kritisierte die von Scheuer befeuerte Diskussion. „Diese Debatte trägt nicht zur Versachlichung bei“, sagte Schulze am Montag in Berlin. „In den letzten Tagen wurden viele Fakten verdreht.“

Verunsicherung dürfe aber nicht die Basis für verantwortungsvolle Politik sein. „Grenzwerte sind eine gesellschaftliche Garantie für saubere Luft“, sagte die Ministerin. „Ich sehe keinen Anlass, das abzuschwächen.“ (dpa/ths)

Lesen Sie dazu auch: Luftschadstoffe: Internationale Lungenärzte befürworten Grenzwerte Nurses’ Health Studies: Was hat Feinstaub mit der Prognose bei Brustkrebs zu tun?

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Keine ideologiefreie Debatte

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Kommentare
Dr. Andreas Schnitzler 01.02.201901:57 Uhr

70.000 Studien – oder eher "100.000 Luftballons"?

1.
Ebenfalls Dank an PD Dr. med. Boris Brand!

2.
Was besagt eigentlich das Argument, es gäbe „tausende Studien“ zum Thema? 70.000 Studien (Claudia Traidl-Hoffmann; 31.1.2019, ZDF-Sendung "maybrit illner“) und – im Prinzip – nur einige wenige (Leit-) Substanzen, einige wenige Krankheiten (vgl. ICD-Verzeichnis!)?

Robert Koch (1881) brauchte m.W. genau EINE „Studie“, um die Ursache von "Tuberkulose“ überzeugend darzulegen. Wie viele Studien braucht eine Pharmafirma, um Wirksamkeit und Risiken erschöpfend zu untersuchen (Quantität, Qualität, Relevanz)? Ist das nicht eher eine gigantische Verschwendungsmaschinerie, deren Forschungsgelder möglicherweise an anderer (relevanter?) Stelle fehlen?

Ist eine Substanz eigentlich immer nur toxisch? Arsenmangel kann bspw. zu Wachstumsstörungen führen, wenngleich es in hohen Dosen tödlich ist. Für ihre Entdeckung von ''Stickstoffmonoxid als Signalmolekül im Herzkreislaufsystem'' wurden Robert F. Furchgott, Louis J. Ignarro und Ferid Murad (alle USA) 1998 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet (https://www.spektrum.de/news/nobelpreis-fuer-medizin-1998/341586).

Welche Dosis genau macht also das Gift? Bei welcher Dosis ist von einer „Bagatellgrenze“ auszugehen? Welche Dosis ist ggf. sogar nützlich („J-Kurve“)? Wenn aber „70.000 Studien" solche mMn fundamentalen Fragen anscheinend immer noch nicht überzeugend beantworten können, wo liegt dann der Nutzen?

Dr. Thomas Georg Schätzler 30.01.201919:24 Uhr

Danke an PD Dr. med. Boris Brand!

Für Ihren engagierten und kenntnisreichen Kommentar danke ich Ihnen sehr. Lassen Sie sich als Gastroenterologie-Spezialist nicht beirren. Der Kollege Dr. med. Eckhart Axel von Hirschhausen ist ja auch kein gelernter Pneumologe/Epidemiologe.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

PD Dr. Boris Brand 30.01.201910:31 Uhr

Die Inititive von Prof. Köhler trägt Früchte - ein Dankesschreiben!

Sehr geehrter Prof. Köhler, Danke für Ihre Initiative!

In Zeiten der Fake-News Plage ist es das Gebot der Stunde, den gesellschaftlichen Diskurs auch beim Thema Umweltschutz seriös zu führen und hierbei konsequent zwischen Daten, Deutung und Gestaltungswillen zu unterscheiden.

Die von Ihnen angestoßene Feinstaub-/NOX-Debatte offenbart, dass sich – anders als wir regelhaft annehmen – auch unsere eigenen politischen Institutionen und deren politischer Diskurs vielfach allenfalls kosmetisch, nicht aber qualitativ von einschlägig bekannten manipulatorischen Protagonisten unserer Zeit unterscheiden.

Aktuell sind leider sind die Medien oft reflexhaft und vorschnell im Gutmenschtum gefangen und auf der vermeindlich politisch korrekten Seite zu finden (siehe Pressemeldung der DPA – die in der Ärztezeitung abgedruckt wurde).

Die von Gestaltungswillen getriebenen gesundheitspolitischen Institutionen (WHO, EU-Parlament und deutsche Fachpolitiker) werden durch Ihre Initiative nun hoffentlich dennoch gezwungen, künftig Begründungen Ihrer Politik aufrichtiger zu definieren (Daten, Deutung und Gestaltungswillen sind klar zu trennen) und transparent zu begründen und mit dem gebotenen Augenmaß zu gestalten.

Wissenschaftliche Argumentation muss ergebnisoffen und der Wahrheit verpflichtet sein.
Irrtum und Irrwege seiner Protagonisten liegen dabei im Wesen unserer wissenschaftlichen Praxis. Insofern halte ich das jetzige, hoffentlich nachhaltige Innehalten und eine eventuelle Rejustierung der epidemiologischen Lehrmeinung keinesfalls für systemgefährdend. Die Ihnen von Herrn Plasberg bei „Hart aber Fair“ gestellt Frage des „Warum“ Ihrer Initiative lässt mich ratlos zurück, warum sollten Wissenschaftler offensichtlich mangelhafte rationale Modelle und Fehlurteile bzw. eine unzulässige politische Verwertung hinnehmen?

Der Vorwurf von Lobbyarbeit Ihrerseits steht ja mittlerweile nun auch im Raum. Da wir Wissenschaft nicht im Elfenbeinturm betreiben, sollte es tatsächlich zur geistigen Hygiene unseres Wissenschaftsbetriebes gehören, zumindest sich selbst regelmäßig Rechenschaft über eigene und fremde Interessen und diesbezügliche Beeinflussungen abzulegen, und Fehlentwicklungen zu korrigieren. Das trifft aber dann alle Wissenschaftler, auch die im derzeitigen Mainstream.

Auf dem Weg von Grundlagenforschung zu Public Health werden eine Reihe von kategorischen Grenzen überschritten, die bei undifferenzierter Sprache und gedanklicher Simplifizierung auch ohne manipulatorischen Vorsatz leicht zu Trugschlüssen führen können. Die Schöpfungsgeschichte der aktuellen Grenzwert-Vorgaben der WHO zeugt von erstaunlichem Selbstbewusstsein, die Realität aus unzureichenden Daten valide konstruieren zu können.

1)Grundlagenforschung und klinische Forschung geben unsere wissenschaftliche Datenbasis, sie sind sehr nah bei der “Wahrheit“.
2)Epidemiologie, ebenso wie Klimaforschung etc. sind, soweit sie über reine Deskription hinausgehen wollen, statistisch-modellbasierte Simulationen – und somit bereits von Geburt an „irrtumsbelastet“.
In Ihren eigenen Ausführungen stellten sie dies ja bereits heraus, für die Diskussion für Ihren Kontrahenten wäre wesentlich, dass nicht Fakten (Siehe 1) in Frage gestellt werden, sondern
A)Denkmodelle, die oft zu simpel gestrickt werden (Auswahl der Einflussgrößen zu gering),
B)Korrelationen mit Kausalitäten verwechselt werden (dies geschieht oft nicht in der ursprünglichen wissenschaftlichen Arbeit sondern beim Zitieren und spätestens in der politischen Verwertung der Daten (absichtlich, wie auch unabsichtlich), hat mit Wissenschaft dann aber nichts zu tun).
C)Simulationen und Interpretationen (der Wahrheitsgehalt statistischer Vorhersagemodelle ist der Natur nach begrenzt, die Ergebnisse sind systembedingt wesentlich von den in die Simulation eingespeisten Annahmen abhängig).
Simulation ist tatsächlich bereits selbst eine Interpretatio

Dr. Andreas Schnitzler 29.01.201915:03 Uhr

Scharlatanerie ?!?

ZWEIFEL ist bekanntlich die Grundlage aller Wissenschaft, GEWISSHEIT eher eine Glaubensfrage.

Wie redlich ist es wohl, wenn der "Surgeon General" (2014, The Health Consequences of Smoking, S. 384) im Kontext mit "Passivrauch", also u.a. nichts wirklich anderem als "Feinstaub", angibt:

»risk factors that are neither necessary nor sufficient have been interpreted as causal«? (*)

Wie wohl ist zu erklären, wenn zB Barbara Hoffmann (aerzteblatt.de vom 24. Mai 2018) behauptet, Menschen würden an der sprichwörtlichen "frischen Luft" quasi massenweise "tot umfallen" (»Herzinfarkte, Schlaganfälle und erhöhte Sterblichkeit«; angeblich überblicke sie "tausende von Studien". Jos Lelevield sprach am 17.1.2019 in der ARD-Sendung "Monitor" sogar von jährlich 120.000 toten NICHTRAUCHERN: "genau so viele wie Raucher"), nunmehr aber sinngemäß von "vorsorglichem Gesundheitsschutz" (Bundesumweltministerin Svenja Schulze, 24.1.2019) die Rede ist?

Liegt dazwischen – toxikologisch – etwa nicht ca. der Faktor HUNDERT?

Ist die erste Aussage ("akute Todesgefahr") nicht ganz offensichtlich MASSLOS ÜBERTRIEBEN?

Wird sie von Aussagen wie "Vorsorge" nicht quasi der "Lüge" geziehen?

Muss aber selbst die zweite Aussage automatisch "wahr" sein (frei nach dem Motto: "quaecum haeret semper", irgendwas wird schon hängenbleiben)?


Etliche Tatsachen sind inzwischen bekannt (zB 1.000 µg/cbm in Innenräumen, 6.000 µg am Arbeitsplatz).

Ist es etwa unzulässig, eine offensichtliche "Bagatellgrenze" (40µg) in Abwägung verschiedener Grundrechte (Eigentum, Reisefreiheit) – angesichts unmittelbar drohender Konsequenzen – zu überprüfen?

Zu Ende gedacht, stünden hier nicht nur Diesel und Benziner auf dem Prüfstand, sondern folgerichtig auch Schiffs- und Flugreisen, also JEGLICHE Verbrennungsprozesse, bis hin zu Heizungen in Privathäusern, von der Industrie (gedacht ist dabei an die Menschen, für die hier "Lohn und Brot" auf dem Spiel stehen) ganz zu schweigen.

FALLS also Dieter Köhler und Kollegen – in bester galiläischer Tradition – sozusagen "Fakten gegen Glaubenskrieger" verteidigen, kann daran nichts "Verwerfliches" sein. Sie müssen vorerst auch keine "Mehrheit" hinter sich wissen. "Objektivität" sollte ggf. genügen.

Wenn eine "erste Sichtprüfung an der Realität" ergibt, dass es sich hier einzig und allein um "Berechnungen" handeln kann, wird man sehr wohl die Frage stellen dürfen, ob denn hier alles seine Richtigkeit hat (FALLS bspw. Jos Lelieveld nicht SORGFÄLTIGST "Raucher" herausgerechnet hätte, und man ihm keine "geistige Umnachtung" zugutehalten will, ...???).

Und darf man nicht hellhörig werden, wenn sich jetzt einzelne Stimmen auf "Autoritäten" wie die WHO anstelle von Fakten (!) berufen?

Was wohl haben Begriffe wie "verstörend" (aerztezeitung.de vom 25.01.2019) hier zu suchen? Hat man denn keine SACHLICHEN Argumente, liebe "Mehrheit"?

FALLS die Vorwürfe von Köhler und Kollegen jedoch zutreffen, reden wir hier schlicht und einfach über – ggf. groß angelegte, systematische – "Scharlatanerie". DAGEGEN Einspruch zu erheben, ist FUNDAMENTALE ärztliche Tradition, und aller Ehren wert.

FALLS hingegen die "Feinstaubgegner" Recht haben, sollen sie doch einfach die Nachprüfung abwarten.


___________________________
*) Dagegen Jöckel KH (2001; Gesundheitsrisiken durch Passivrauchen: Schlusswort. Deutsches Ärzteblatt 13:A847-8): »(...) dass ich keinesfalls das Passivrauchen als genügende und/oder notwendige Bedingung für die Manifestation des Lungenkrebses darstellen wollte. (...) Absolut unhaltbar ist [die Gleichsetzung] signifikante[r] Korrelationen mit kausalen [...]. Es gehört zu den Präliminarien jedes epidemiologischen Standardlehrbuches, auf diese Problematik hinzuweisen.«


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