Heißes Eisen
Unterschiedliche Positionen zur Masern-Impfpflicht
Im internationalen Vergleich steht Deutschland in Sachen Masern-Impfschutz gar nicht so schlecht da. Das belegen Unicef-Daten. Ein Grund, sich auszuruhen, ist das nicht, meinen Ärztevertreter. Doch wie weit sollte eine Impfpflicht gehen?
Veröffentlicht:Unicef: Impfmüdigkeit rächt sich jetzt
NEW YORK. Die Impfmüdigkeit in den vergangenen Jahren hat die starke Zunahme der Masernausbrüche weltweit verursacht, betont Unicef in einer Mitteilung zur Weltimpfwoche (24.-30. April.). Von 2010 bis 2017 seien jedes Jahr im Schnitt 21 Millionen Kinder überhaupt nicht vor Masern geschützt worden, schätzt das Kinderhilfswerk der UN, inzwischen sind das 169 Millionen.
In den USA sei die Zahl der komplett ungeimpften Kinder in dieser Zeit auf 2,5 Millionen angewachsen (7,9 pro 1000 Einwohner) gefolgt von Frankreich (608.000, Rate: 9,1/1000) und UK (527.000, Rate: 8,0/1000). Deutschland liegt als Industrieland deutlich darunter (168.000, Rate: 2,0/1000). Spitzenreiter ist Nigeria (4 Mio. ungeschützte Kinder, Rate: 20,7/1000).
„Wenn wir ernsthaft die gefährliche Ausbreitung vermeiden wollen, müssen wir jedes Kind in reichen und armen Ländern impfen“, betont Unicef-Direktorin Henrietta Fore in der Mitteilung. Bis März 2017 wurden bereits 110.000 Masernfälle registriert, 300 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. (eis)
Pinkowski: Das Problem sind die Erwachsenen
FRANKFURT/MAIN. Weil Informationskampagnen bislang nicht zu einer vollständigen Durchimpfungsrate gegen Masern geführt haben, spricht sich auch Hessens Landesärztekammerpräsident Dr. Edgar Pinkowski für eine bundesweite Impfpflicht aus. Allerdings nur für Kita- und Schulkinder, so wie es auch erste Gedankenspiele von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorsehen.
„Die Freiheit des Individuums endet dort, wo die Freiheit bzw. die Gesundheit anderer gefährdet wird“, so Pinkowski. Wie erfolgreich verpflichtende Maßnahmen sein können, zeige das Beispiel der Pocken, „die 1980 für ausgerottet erklärt wurden“.
Der Kammerpräsident räumt aber ein, dass die Impfpflicht für Kinder alleine nicht ausreichen dürfte, da hier bereits eine hohe Durchimpfungsrate vorliege. „Vielmehr belegen die Zahlen des RKI, dass in etwa der Hälfte der Fälle Erwachsene erkranken, weil sie schlichtweg nicht oder ungenügend geschützt sind.“ Hier brauche es eine breit angelegte, nationale Aufklärungskampagne. (reh)
Impfpflicht-Debatte: Kammerpräsidentin fordert Masernimpfung für Ärzte
HANNOVER. In der Debatte um die mögliche Einführung einer Impfpflicht hat sich die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Dr. Martina Wenker, für eine „generelle Impfpflicht gegen Masern“ ausgesprochen. Sie befürworte sie „ohne Wenn und Aber“, sagte Wenker der „Ärzte Zeitung“.
Wenker weiter: „Das sollte dann auch für alle Gesundheitsfachberufe gelten.“ Allerdings nur, wenn die Masernimpfung als Einfachvakzine verfügbar wäre. In Deutschland ist sie derzeit nur in der MMR-Impfung erhältlich.
Die Pneumologin forderte zudem, dass auch Ärzte und andere Gesundheitsberufe ihren eigenen Impfschutz erstnehmen sollten: „Persönlich bin ich der Meinung, dass auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheitsfachberufe sich gegen Influenza jährlich impfen lassen sollten.“ Dies nicht nur aus Verantwortung für sich, sondern auch „gegenüber den vielen Patienten“.
Wenker will beim kommenden Deutschen Ärztetag in Münster für das Amt der Bundesärztekammer-Präsidentin kandidieren. Anders als der scheidende BÄK-Chef Professor Frank Ulrich Montgomery sieht Wenker eine Impfpflicht für alle von der STIKO empfohlenen Impfungen jedoch skeptisch. „Wenn wir das jetzt grundsätzlich auf alles ausweiten, gehen wir zu weit.“ (vdb/nös)
Impffplicht: Kritische Ärzte wider AfD-Unterstützung
NEU-ISENBURG. Mit einem offenen Brief an Politiker in Bund und Ländern haben sich rund 600 Ärzte gegen die Einführung einer Impfpflicht ausgesprochen. Eine gleichlautende Petition, die der Verein „Ärzte für Individuelle Impfentscheidung“ gestartet hat, hat derweil fast 44.000 Unterzeichner aus Deutschland gefunden. Für die Ärztegruppe wäre eine Impfpflicht „unbegründet, verfassungsrechtlich bedenklich und kontraproduktiv“.
Es gebe keine Infektionskrankheit in Deutschland „die so bedrohlich wäre, dass sie einen derartigen Eingriff in Grundrechte“ rechtfertige. Am Mittwoch hatte sich die AfD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg demonstrativ hinter die Forderung gestellt. Die Partei bezeichnet eine Impfpflicht als „unsinnig“ und „Bevormundung“.
Der Ärzteverein wies die „parteipolitisch motivierte Instrumentalisierung“ durch die AfD auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“ zurück. Daran habe man „keinerlei Interesse“. Der Verein sei „parteiunabhängig und pflegt keinerlei politische Beziehungen zu besagter Partei“. Auch gebe es „keinerlei persönliche Beziehungen“. (nös)