VStG - Ein Gesetz, das den Namen nicht verdient?
"Von wegen Reform" - die Kritik am Versorgungsgesetz reißt nicht ab. Bei einer Tagung mit ganz unterschiedlichen Akteuren hatte jeder Kritik parat, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Veröffentlicht:SPEYER. Fünf Monate nach seinem Inkraftreten wird das Versorgungsstrukturgesetz hinsichtlich seiner praktischen Folgen für die Versorgung zunehmend kritisch kommentiert.
Die Speyerer Gesundheitstage, die von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften ausgerichtet wurden, boten dafür Anschauungsunterricht.
Niemand ist rundum glücklich mit dem Gesetz - aber jeder aus anderen Gründen. Dies gilt vom Abteilungsleiter aus dem Bundesgesundheitsministerium über die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin, den bayerischen KV-Chef, den Vize-Chef der Barmer GEK bis zum Verbraucherschützer und Universitätsprofessor.
Allerdings fanden fast alle, dass das Gesetz seinen Namen nicht verdient, denn es verändere die Strukturen im Gesundheitswesen nicht.
Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg ging soweit, das Wort Gesetz als einen Zusammenschluss aus "Gehen" und "Setzen" zu definieren: "Die Regierung geht los, um etwas zu ändern und setzt sich zwischendurch wieder hin und schläft ein."
Das Versorgungsgesetz stoße zwar Dinge an, der gebotene Wandel in der Versorgung sei aber nicht zu erwarten. Für tatsächliche Strukturveränderungen müsste aus Sicht der rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerin Malu Dreyer (SPD) beispielsweise die Zweiteilung des Krankenversicherungsmarktes aufgehoben werden.
Wissenschaftler wertet Anreize als zu gering
"Die Trennung in private und gesetzliche Krankenversicherung kostet uns viel und bringt uns wenig", so die Ministerin. "Wenn Ärzte ungleich verdienen, wenn sie das Gleiche tun, wird die flächendeckende Versorgung schwierig", so Dreyers Erkenntnis.
Denn im ländlich geprägten Rheinland-Pfalz gibt es viele Regionen, in denen Privatpatienten nur mit der Lupe zu finden sind. Das wiederum schmälert das Einkommen der dort tätigen Ärzte. Ausgerechnet sie sind aber wegen des Ärztemangels auf dem Land besonders stark gefordert.
Die durch das Versorgungsgesetz eröffneten finanziellen Anreize für Landärzte hält der Bielefelder Gesundheitssystemforscher Professor Thomas Gerlinger für zu gering. Sie könnten die Bedeutung der kulturellen Vielfalt oder der Jobangebote für den Partner in der Stadt kaum kompensieren.
Auch zweifelt er daran, dass eine Versorgungssteuerung auf dem Land möglich ist, und zwar mangels Masse von Vertragspartnern. "Die Drohung mit einem Selektivvertrag läuft hier leer", sagt Gerlinger.
Er plädiert für eine Abkehr von der Bedarfsplanung, die sich an Arzt- und Bettenzahlen misst.
Stattdessen hält er eine Versorgungsplanung für sinnvoll, die sich zum Beispiel an der Morbidität, an der regionalen Sozialstruktur sowie an Entfernungen und Wartezeiten orientiert. Dafür sei eine kleinräumige Planung unterhalb der Landesebene erforderlich.
Der Chef der KV Bayerns, Dr. Wolfgang Krombholz, warb dafür, die Morbidität bei der Honorierung ärztlicher Leistungen nicht überzubewerten.
"Morbidität als Hauptfaktor würde bedeuten, dass wir Diagnosen produzieren müssten, um zu verdienen, aber das bildet den Alltag nicht ab. Denn wir versuchen, den Patienten so gut es geht zu versorgen", so Krombholz.
Das Geld müsse dahin, wo die Versorgung stattfinde und genau das regele das Versorgungsgesetz nicht. "Deshalb sind Berliner Lösungen für den Bayerischen Wald nicht brauchbar", kritisiert der KV-Chef.
Weller: Kein Rezept gegen Überversorgung
Wünsche nach einer weiteren Regionalisierung in einzelnen Gebieten der Krankenversicherung kann der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, nicht nachvollziehen.
Auf der Länderebene bestünden vielfältige Möglichkeiten der Steuerung: "Eine weitere Regionalisierung der GKV ist weder auf der Versorgungs- noch auf der Vergütungsebene angezeigt", lautete Schlenkers Antwort.
Für geradezu fatal hält der Leiter des Stabsbereich Politik beim GKV-Spitzenverband, Michael Weller, viele mögliche Folgen des Versorgungsgesetzes.
Besonders scharf kritisiert er, dass mit der Reform dass Problem der Überversorgung so gut wie gar nicht angegangen wurde. "Über- und Unterversorgung sind zwei Seiten einer Medaille", so Weller.
Kritisch sieht er auch, dass es für die spezialfachärztliche Versorgung "kein echtes bedarfsabhängiges Zulassungsverfahren und keine Zulassung auf Zeit geben" wird, sondern lediglich eine Überprüfung nach fünf Jahren möglich sein soll.
Dass für die spezialfachärztliche ambulante Versorgung wie in Krankenhäusern ein Verbotsvorbehalt gelten soll, findet Weller unter Qualitätsgesichtspunkten problematisch.
Verbotsvorbehalt - ein bedenklicher Schritt?
Denn bislang sind in Vertragsarztpraxen nur Leistungen erlaubt, die der Bundesausschuss ausdrücklich als zweckmäßig, notwendig und wirtschaftlich zugelassen hat.
Krankenhäusern hingegen sind alle Leistungen erlaubt, die nicht ausdrücklich vom Bundesausschuss verboten worden sind. Diese Regelung soll künftig auch für die Spezialärzte gelten.
"Wir haben in der letzten Zeit genug Probleme mit beschichteten Stents gehabt, die verwachsen und dann Schlaganfälle auslösen oder mit Hüftendoprothesen, die Probleme machen", kritisiert Weller. Da sei die Einführung eines Verbotsvorbehalts im ambulanten Sektor bedenklich.
Außerdem fürchtet er, dass "perspektivisch bei den Kosten für die spezialfachärztliche Versorgung die Post abgehen wird". Seiner Auffassung nach werden im Versorgungsgesetz zwar die wesentlichen Herausforderungen benannt, die sich in der GKV stellen.
Doch Wellers Wunschliste an den Gesetzgeber und an die anderen Akteure im Gesundheitswesen ist noch lang. Dazu zählen unter anderem Abschläge auf die Vergütung in unterversorgten Regionen, die Möglichkeit befristeter Zulassungen.
Zudem hofft er, dass sich die "Phobie vor Messbarkeit und Ergebnisqualität" legen wird.