75. Weltgesundheitsversammlung

WHO gibt sich erstmals Diabetes-Ziele

Adipositas und Diabetes genossen bei der jüngsten Weltgesundheitsversammlung in Genf große Aufmerksamkeit. Signalwirkung sollen aber auch die geänderten Internationalen Gesundheitsvorschriften entfalten.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Vergangene Woche stand in Genf der Hauptsitz der WHO im Zeichen der 75. Weltgesundheitsversammlung.

Vergangene Woche stand in Genf der Hauptsitz der WHO im Zeichen der 75. Weltgesundheitsversammlung.

© picture alliance/KEYSTONE | SALVATORE DI NOLFI

Genf. Adipositas und Diabetes, neurologische Erkrankungen, HIV, virale Hepatitis, nosokomiale Infektionen, Antibiotikaresistenzen, aber auch klinische Studien – die Delegierten der 75. Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly/WHA), dem höchsten Entscheidungsgremium der WHO, haben in Genf bis Samstag eine umfassende Agenda abgearbeitet inklusive vieler neuer Berichte, Initiativen und Programmen.

Fernab der Affenpocken beschäftigten sich die Delegierten unter anderem mit:

Diabetes: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte haben sich die WHA-Delegierten darauf geeinigt, die Schaffung globaler Ziele zur Diabetesbekämpfung anzugehen. Die Ziele sind integraler Bestandteil von Empfehlungen zur Stärkung und Überwachung nationaler Diabetesstrategien – viele Länder verfügen noch nicht einmal über eine solche, Deutschland hat seine erst 2019 verabschiedet.

Die WHO adressiert als Ziele, bis zum Jahr 2030 sicherzustellen, dass 80 Prozent der Diabeteserkrankten diagnostiziert sind, 80 Prozent der diagnostizierten Diabetiker ihre Glykämien und ihren Blutdruck gut unter Kontrolle haben, 60 Prozent der Diabetiker über 40 Jahre Statine rezeptiert bekommen sowie ausnahmslos alle Typ-1-Diabetiker Zugang haben zu bezahlbarem Insulin und zu Blutzuckerselbstüberwachungssystemen.

Adipositas: Um der starken Zunahme der Adipositas-Prävalenz bei den Unter-5-Jährigen, Heranwachsenden sowie Erwachsenen bis 2025 Einhalt zu gebieten und alle Arten von Fehlernährung bis 2030 zu eliminieren, hat die WHA neue Empfehlungen zur Prävention und zum Management der Fettleibigkeit verabschiedet.

Demnach soll die Aufnahme freier Zucker sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen auf maximal zehn Prozent Anteil an der gesamten Nahrungsaufnahme reduziert werden. Abhilfe schaffen gegen Adipositas soll auch eine Stillquote bei Säuglingen bis zu sechs Monaten von 70 Prozent sowie die Reduzierung der Quote sportlich inaktiver Menschen auf 15 Prozent. Die WHO habe schon einen Plan in der Tasche, um die Mitgliedstaaten bei ihren Anstrengungen zur Adipositasbekämpfung zu unterstützen, hieß es in Genf.

Neurologische Erkrankungen: Bis zum Jahr 2031 soll sich nach dem Willen der WHA-Delegierten vor allem in puncto Prävention und Vermeidung frühzeitiger Todesfälle im Kontext mit Epilepsie, Insult, Migräne, Demenz und Meningitis weltweit mehr tun. Entsprechende Ziele sind in einem akklamierten globalen und sektorübergreifenden Aktionsplan hinterlegt, im Zuge dessen der Zugang betreffender Patienten zur adäquaten medizinischen Diagnostik und Behandlung gestärkt werden soll. Besonders die Gesundheitssysteme in Ländern mit niedrigem und mittlerem Durchschnittseinkommen sollten die neurologischen Erkrankungen inklusive der mentalen Gesundheit über die gesamte Lebensspanne hinweg stärker in den Fokus rücken, so die WHO.

Mundgesundheit: Angesichts der Tatsache, dass rund jeder zweite Mensch auf der Erde Defizite bei der Mundgesundheit aufweise, ist es nach Ansicht der WHA Zeit, eine globale Strategie für die Mundgesundheit ins Leben zu rufen. Details zum Fahrplan inklusive der Überwachung der bis 2030 zu erreichenden Ziele, sollen nächstes Jahr auf der 76. WHA adressiert werden. Für dieses Jahr wurde in Genf noch die Vorstellung des ersten WHO-Reports zur Mundgesundheit weltweit angekündigt.

Bereits jetzt ist bekannt, dass die WHO die Integration der Mundgesundheit in die von ihr für viele Staaten mit defizitärer Gesundheitsinfrastruktur propagierten Universal Health Coverage (UHC) vorsieht, worunter sie den Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdiensten, insbesondere zur Gesundheitsförderung und Krankheitsvorbeugung, und die Verringerung der Ausgaben aus eigener Tasche sieht. Außerdem setzt die WHO auf das Potenzial digitaler Gesundheitstechnologien auch bei der Mundgesundheit.

Sexuell übertragbare Krankheiten: In der verabschiedeten globalen Strategie 2022 bis 2030, die HIV, virale Hepatitis und andere sexuell übertragbare Infektionskrankheiten (STI) adressieren, wird weiter die Eliminierung dieser Krankheitsbilder durch die Prävention neuer Infektionsfälle bis zum Ende dieser Dekade angestrebt. Die Strategie soll vor allem helfen, weltweit die pandemiebedingten Einschnitte und Rückschritte bei deren Bekämpfung zu überwinden. Konkret sollen die betroffenen Menschen, die am stärksten betroffen und gefährdet sind, zielgruppenadäquat adressiert und betreut respektive versorgt werden.

Infektionsprävention und -kontrolle: Im Rahmen einer dekretierten globalen Strategie zur Infektionsprävention und -Kontrolle (IPC) adressiert die WHO nosokomiale Infektionen sowie Antibiotikaresistenzen und gibt den Mitgliedstaaten 13 Empfehlungen. Unter anderem werden diese aufgefordert, die relevanten Behörden dabei zu unterstützen, das zumindest die minimalen IPC-Anforderungen in Programmen auf nationaler, aber auch auf Ebene der einzelnen Gesundheitseinrichtung implementiert und auch überwacht werden. Mit Bezug auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen solle bei der Realisierung der IPC-Maßnahmen auch an die Umwelt gedacht werden, um möglichst die Auswirkungen auf Menschen, Tiere und die Umwelt gering zu halten – und zwar in Form eines angemessenen Abfallmanagements. Zusätzlich sollten alle Gesundheitseinrichtungen über den Zugang zu sauberem Wasser sowie entsprechende Hygieneinfrastruktur und -ressourcen verfügen. Ebenso sollte das medizinische Personal in definierten Curricula mit IPC vertraut gemacht werden. Nicht zuletzt sollte auf der regulatorischen Ebene die IPC in den Gesundheitseinrichtungen gestärkt werden.

Klinische Studien: Dominieren die Diskussionen um klinische Studien in Europa eher datenschutzrechtliche Hürden und die noch weitgehend eingeschränkte Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten aus der Versorgung (Real World Data/RWD), so adressieren die WHA-Delegierten in einer Resolution vor allem die Mitgliedstaaten, die klinischen Studien offensichtlich nur wenig Aufmerksamkeit schenken. Sie fordern darin die Regierungen aller Länder auf, klinische Prüfungen als zentrale Stellschraube zu sehen, um ihr jeweiliges Gesundheitssystem zu stärken.

Die klinischen Studien gälten als unabdingbar, wolle man eine qualitätsgestützte Evidenz zur Sicherheit und Wirksamkeit von Medikamenten, Vakzinen oder anderen Interventionen erzielen. In der Resolution fordert die WHO mehr Effizienz, eine bessere Finanzierung, aber auch das zeitnahe Teilen von Daten ein, um gerade im Zuge eines Epi- oder Pandemiemanagements die öffentlich-private Zusammenarbeit zu stärken sowie die regulatorischen und ethischen Rahmenwerke in den betreffenden Ländern.

Internationale Gesundheitsvorschriften: Künftig werden Änderungen bei den International Health Regulations (IHR) binnen 12 Monaten in Kraft treten – bisher waren es 24 Monate. So will die WHO ihre Krisenreaktionszeit beschleunigen und sich nachdrücklich als führende und richtungsweisende Autorität im Bereich der globalen Gesundheit, die im Zentrum der globalen Gesundheitsarchitektur steht, positionieren. Bei den IHR handelt es sich um völkerrechtlich bindende Vorschriften der WHO, um die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten zu verhüten und zu bekämpfen.

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