Präventionsgesetz
Warum der Jahrestag kaum Jubel auslöst
Im Sommer 2015 passierte das Präventionsgesetz den Bundestag – nach drei glücklosen Anläufen zuvor. Heute hält sich die Zahl der Gratulanten in Grenzen. Stattdessen sehen Politiker wie Experten erheblichen Reformbedarf.
Veröffentlicht:Ein Arzt, der von „zehnjähriger Schwangerschaft“ spricht? Kaum vorstellbar. Rudolf Henke (CDU), Internist und CDU-Bundestagsabgeordneter, tat es bei der zweiten und dritten Lesung des Präventionsgesetzes am 18. Juni 2015 im Bundestag trotzdem– und hatte recht mit seinem Befund: Nach zehn Jahren quälendem Streit und drei gescheiterten Anläufen brachte das „Hohe Haus“ im Sommer 2015 mit den Stimmen von Union und SPD tatsächlich ein „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention“ auf den Weg. Wesentliche Teile davon traten gut einen Monat später in Kraft.
Besser vorbeugen als heilen
Die damalige Gesundheits-Staatssekretärin Ingrid Fischbach (CDU) sagte in der Parlamentsdebatte, das Gesetz komme spät, sei aber „gut“ und überfällig. Ziel sei es, lebensstilbedingte Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Übergewicht einzudämmen und die Menschen zu einer gesünderen Lebensweise zu bewegen. SPD-Gesundheitsexperte Professor Karl Lauterbach nannte es „ohne Wenn und Aber eine besonders wichtige Pflicht, dass wir in der Prävention mehr investieren, und zwar in Kinder wie in Erwachsene wie auch in ältere Menschen“. Das löse die Koalition mit dem Präventionsgesetz ein.
Tatsächlich haben sich die Ausgaben der Kranken- und Pflegekassen für Prävention und Gesundheitsförderung seit 2013 nahezu verdoppelt – zuletzt lagen sie bei rund 520 Millionen Euro pro Jahr.
Das Geld wird nicht per Gießkanne ausgeschüttet, sondern gezielt in sogenannte Lebenswelten investiert: Mal sind es Projekte in Kitas oder Schulen zu gesunder Ernährung, mal handelt es sich um Angebote zur Sturzprophylaxe in Altenheimen. Auch bei der Gesundheitsförderung in Betrieben haben die Kassen eine Schippe draufgelegt. In rund 18.000 Betrieben konnten zuletzt etwa 1,9 Millionen Beschäftigte – darunter Schichtarbeiter und pflegende Angehörige – erreicht werden. Auch Früherkennung und Impfschutz wurde mit dem Gesetz gestärkt.
Um die zahlreichen Präventionsaktivitäten zu bündeln, wurde zudem eine „Nationale Präventionskonferenz“ gegründet. Sozialversicherungsträger legen dort zusammen mit Bund, Ländern, Kommunen, der Bundesagentur für Arbeit sowie den Sozialpartnern Ziele für Prävention und Gesundheitsförderung fest. Die private Krankenversicherung hat Stimmrecht.
Kritiker hat das alles nicht überzeugen können. Kordula Schulz-Asche von den Grünen sprach schon bei der Aussprache im Bundestag im Juni 2015 von „Zeigefingerpolitik“. Schwarz-Rot verharre in der Logik: „Du bist schuld, also musst du etwas ändern“. Das sei zu wenig. Außerdem führten ein paar „individuelle, zeitlich begrenzte Kursangebote nicht zu besserer Gesundheit“. Sie wünsche sich ein „echtes“ Präventionsgesetz. „Dieses ist es nicht.“
„Eingesperrt in die Box des SGB V“
Die Kritik ist bis heute nicht abgeebbt. „Nach wie vor spielt Gesundheitsförderung in Deutschland eine viel zu kleine Rolle. Das Präventionsgesetz schließt diese Lücke nicht“, sagt Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Grünen-Sprecherin für Gesundheitsförderung . Tatsächlich nimmt sich eine halbe Milliarde Euro im Vergleich zu den gut 155 Milliarden Euro, die die gesetzlichen Kassen jedes Jahr für Krankheitsbehandlung in Praxen und Kliniken sowie für Arzneimittel zahlen, sehr bescheiden aus.
Auch die Kassen hadern. Sie betonen zwar, ihre „Hausaufgaben“ gemacht zu haben. Gleichwohl werde die „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ Prävention noch immer ausschließlich in die Sozialversicherungssysteme – allen voran in die Krankenversicherung – „verlagert“.
Prävention und Gesundheitsförderung seien „in die Box des Paragrafen 20 SGB V der kassenfinanzierten Ansätze eingesperrt“, kritisiert auch der Berliner PublicHealth-Professor Klaus Hurrelmann. Bei der Prävention seien aber nicht bloß die Kassen, sondern auch Einrichtungen der Bildung, der Kommunen, der Arbeit und der Freizeitgestaltung einzubeziehen. „Hier ist noch viel zu tun“, sagt Hurrelmann.
Dass sich die Kommunen zu wenig engagieren, verneint der Deutsche Städte- und Gemeindebund. „Der Vorwurf ist schlichtweg falsch“, sagt eine Sprecherin. Das Präventionsgesetz beziehe die Kommunen nicht als „gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe“ ein. Und immer wieder erlebten die Kommunen „unabgestimmte Angebote“ der Kassen. Das erschwere die Präventionsarbeit vor Ort.
Grünen-Expertin Kappert-Gonther rät, das Präventionsgesetz zu reformieren. Derzeit setze das Gesetz zu sehr auf individuelle Lebensstilveränderung statt auf wirksamere Verhältnisprävention. Zuständigkeiten seien zudem falsch verteilt. „Prävention darf nicht fast ausschließlich den Krankenkassen überlassen werden.“ Sinnvoller sei es, den „Health in all policies-Ansatz“, wie ihn die WHO empfehle, auch in Deutschland zu etablieren und so bei allen politischen Entscheidungen darauf zu achten, „dass sie der Gesundheit nutzen und nicht etwa schaden“.