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Wie Architektur die Gesundheit beeinflusst
Architektur kann zur Gesundheit und zur Genesung Kranker beitragen. An der Bauhaus-Universität Weimar versucht man, Studenten dafür zu sensibilisieren.
Veröffentlicht:WEIMAR. „Wir formen Gebäude, danach formen sie uns.“ Als Winston Churchill dies im Zusammenhang mit den Planungen zum Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Sitzungssaals des britischen Unterhauses äußerte, war das in Weimar entstandene Staatliche Bauhaus gerade ein Vierteljahrhundert alt – und deren Protagonisten bereits in alle Welt verstreut.
Was Churchill auf die spezifischen Bedürfnisse britischer Parlamentarier bezog – es sollte seiner Meinung gerade bei wichtigen Entscheidungen durchaus räumlich eng zugehen – wollten Walter Gropius (1883-1969) und seine Meister weiter fassen: Moderne Architektur, so Gropius, solle „gleich der menschlichen Natur“ das ganze Leben umfassen. „Wir müssen uns mit der Ganzheit des Lebens auseinandersetzen.“
In Weimar, das an diesem Wochenende mit der Eröffnung des neuen Bauhaus-Museums einen Höhepunkt des Jubiläumsjahres „100 Jahre Bauhaus“ feiert, wird diese Tradition, wenngleich mit durchaus kritischer Distanz, fortgesetzt. So ist die Bauhaus-Universität Weimar eine der wenigen Hochschulen, an denen die Studenten Lehrinhalte zur Architekturpsychologie hören können.
Zunächst das Menschsein begreifen
Dozentin Alexandra Abel, eine Diplom-Psychologin, beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Thema „Architektur und Gesundheit“. Abel erinnert im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“ an den Vorkurs des Malers und Kunstpädagogen Johannes Itten (1888-1967): Die künftigen Architekten, Künstler und Gestalter sollten sich, bevor sie mit dem eigentlichen Studium begannen, zunächst in ihrem Menschsein begreifen.
„Da ging es um Bewegung, Atemübungen, um Selbsterfahrung, Mediation, um Ernährung und vor allem auch um intensive und reflektierte Wahrnehmung.“ Die Bewegungs- und Konzentrationsübungen der Musikpädagogin Gertrud Grunow (1870-1944) sollten die Studenten in ein inneres Gleichgewicht bringen. „Pädagogische Arbeit, die auf Selbstbewusstsein und Identität abzielt“, so Abel. „Wer sich selbst im eigenen Menschsein begreift, kann sein Gegenüber begreifen und dann für dieses gestaltend tätig sein.“
Heute geht es der Architekturpsychologin darum, ihren Studenten nahezubringen, dass Architektur erheblichen Einfluss auf die Gesundheit von Menschen ausübt. Besonders Stadtbewohner verbrächten den größten Teil ihrer Lebenszeit in Gebäuden und im urbanen Raum, argumentiert sie. „Architektur kann uns stressen und Architektur kann regenerierend wirken.“
Das gilt nicht nur, aber auch, für Gesundheitseinrichtungen wie Kliniken, Praxen oder Stätten zur Rehabilitation. Fühlen wir uns in einem Krankenhaus orientierungslos, verspüren wir ein Gefühl der Hilflosigkeit und Überforderung. Betreten wir das Wartezimmer einer Kinderarztpraxis in angenehmen, kindgerechten Farben, mit einem beruhigend wirkenden Aquarium, altersgerechtem Mobiliar und Spielzeug, fühlen wir uns wertgeschätzt.
Als weitere positive Beispiele nennt Abel eine chirurgische Praxis, die während ambulanter Eingriffe mit an die Zimmerdecke projizierter Natursimulation, etwa einem bewegten Wolkenhimmel, arbeitet. Oder eine onkologische Ambulanz in gedeckten Farben mit bequemen Sesseln, aus denen die Patienten während der Zytostatika-Infusion in ein virtuelles Kaminfeuer schauen können.
Dies erzeuge einen Zustand entspannter „frei flottierender Aufmerksamkeit“, sagt Abel, der die Fokussierung auf die Krankheit oder auf Schmerzen zurückdränge.
Heilendes Zimmer mit Aussicht
Dass solcherlei Gestaltung mehr bewirkt, als nur allgemeines Wohlbefinden, ist in Studien dokumentiert. Eine der bekanntesten ist jene des US-amerikanischen Architekturprofessors Roger Ulrich aus dem Jahr 1984: Zwei Patientengruppen nach Cholecystektomie wurden anschließend in unterschiedlichen Krankenhauszimmern versorgt: eine Gruppe blickte aus dem Fenster auf Bäume, die andere Gruppe auf eine triste Ziegelsteinwand. Die erste Gruppe erholte sich schneller und verbrauchte weniger Schmerzmittel (Science 1984; 224:420-421).
Tageslicht und Lichtdesign, Blicke in die Natur, verminderte Geräusche und passende Farbkonzepte seien wesentliche, stressreduzierende Variablen der Krankenhausgestaltung, berichten auch Professor Oliver Fricke aus Witten/Herdecke und Kollegen in einem kürzlich veröffentlichten Review. Weitere Aspekte seien unter anderem das Ermöglichen von Interaktion und Kommunikation (Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 2019; 47: 27-33).
Das betont auch Abel: Architektur beeinflusse die Interaktionen mit anderen Menschen und mit der Umgebung. Gegenseitige soziale Unterstützung wirke sich positiv auf den Krankheitsverlauf aus. Dazu brauche es Räume, die solche Interaktionen ermöglichen. „Architektur kann zur Genesung beitragen, wenn sie kranken Menschen Teilhabe ermöglicht - ja zur Teilhabe verführt!“ Eine Architektur, die das nicht leiste, nehme keine therapeutische Position ein.
Krebspatienten gehen zu „Maggie’s“
- Das erste „Maggie’s Centre“ eröffnete 1996 in Edinburgh, heute sind es mehr als 20 in ganz Großbritannien. Es sind speziell für Krebspatienten gestaltete Räume, in denen sie emotionale und soziale Unterstützung erhalten und geben können, wo sie Ärzten auf Augenhöhe und in geschützter, angenehmer, ja familiärer Umgebung begegnen.
- Namhafte Architekten haben diese Zentren gestaltet: Norman Foster, Zaha Hadid, Richard Rogers zum Beispiel.
- Die Idee dazu hatten Maggie Keswick Jencks, die 1995 an Brustkrebs gestorben ist, ihr Mann, der Architekt Charles Jencks sowie die Krankenschwester Laura Lee, die heute die Zentren leitet.
Mehr Ïnformationen unter: www.maggiescentres.org