Substitution

Wie viel Beinfreiheit soll Verah haben?

In der DDR war sie eine feste Größe in der medizinischen Versorgung: die Gemeindeschwester. Der drohende Ärztemangel verhilft ihr in Thüringen zur Renaissance. Die Frage ist nur: Soll die Schwester dem Arzt nur Arbeit abnehmen oder ihn ganz ersetzen?

Von Robert Büssow Veröffentlicht:
Medizinische Fachangestellte, die als Verah weiterqualifiziert sind, machen Hausbesuche - wie weit ihr Aufgabendeputat gehen soll, ist strittig.

Medizinische Fachangestellte, die als Verah weiterqualifiziert sind, machen Hausbesuche - wie weit ihr Aufgabendeputat gehen soll, ist strittig.

© Christian Thiel / imago

WEIMAR. "Wir müssen die Thüringer darauf vorbereiten, dass sie ihre gewohnte Behandlung nicht mehr im bisherigen Volumen durch Ärzte erfahren, sondern im Rahmen der Delegation auch durch Fachpersonal."

Guido Dressel weiß um die Tragweite seiner Aussage. Der Landeschef der Techniker Krankenkasse in Thüringen ist Befürworter der Delegation.

Die Diskussion über den Ärztemangel sei viel zu lange ausschließlich um die Ärzte gekreist. "Der Versorgungsschwerpunkt liegt in unserem Land zu sehr auf dem Spezialistentum", sagt auch Hans-Werner Pfeiffer, Chirurg und Fachreferent beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV).

Der Arzt könne von vielen Routinearbeiten entlastet werden, ohne dass die Qualität leide.

Vor allem bei chronisch Kranken reiche die Schwester oft aus. Auch bei Patienten mit Demenz, Diabetes, chronischen Wunden oder Bluthochdruck müsse nicht immer ein Arzt dabei sein.

Das ist schon heute keine Zukunftsmusik mehr. Die AOK Plus hat mit den Hausärzten in Thüringen vor zwei Jahren einen Vertrag abgeschlossen, in dem sie Verah-Schwestern fördert.

Die Verah darf Hausbesuche erledigen, Wunden versorgen, Spritzen setzen - kleine Tätigkeiten, die aber viel Zeit kosten. Schon heute gibt es laut AOK 78 Verahs in Thüringen.

Grundsätzlich sei das zu begrüßen, sagt Matthias Wesser, Präsident der Landesärztekammer Thüringer (LÄK).

Durchbruch steht vor Hürden

Aber er mahnt den Arztvorbehalt an: "Wir können uns schlecht vorstellen, dass die Schwester ihre eigene Sprechstunde macht. Damit hätten wir ein Problem", betont Wesser.

Eine Substitution sei nur schwer mit dem Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient vereinbar. Alles nur eine Frage der Zeit, meint Olaf Scupin, Professor für Pflegemanagement an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena.

"Die Frage ist nicht, ob hochqualifizierte Pflegende ärztliche Tätigkeiten übernehmen, sondern nur wann."

Für Scupin hat der Widerstand der Ärzteschaft nicht nur mit dem Patientenwohl zu tun: "Natürlich erfährt der Arzt auch einen Machtverlust. Er verliert sein Behandlungsmonopol."

Für den Durchbruch der Gemeindeschwestern gebe es noch andere Hürden. Vor allem Haftungsfragen seien nicht hinreichend geklärt.

Auch die Kosten für die Fortbildung stelle manche Praxis, die eine Verah anstellen möchte, vor Probleme. TK-Chef Guido Dressel fordert von der Landesregierung mehr Unterstützung.

"Das Land behandelt das Problem noch nicht mit der nötigen Priorität." Das Gesundheitsministerium zeigt sich aufgeschlossen.

"Nicht jeder Hausarztbesuch ist wohl immer notwendig. Der Ärztemangel kann durch Delegation oder Substitution ein Stück weit aufgefangen werden", sagt Staatssekretär Hartmut Schubert (SPD). Doch aus der Umsetzung hält sich Land momentan heraus.

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Kommentare
Dr. Uwe Wolfgang Popert 19.07.201322:22 Uhr

Kein Ersatz für Allgemeinmediziner

Gut geschulte und engagierte MitarbeiterInnen können insbesondere von Routineaufgaben der Patientenversorgung entlasten.
Damit wird aber nur ein Teilproblem des derzeit beginnenden Hausarztmangels gelöst - für die besondere hausärztliche Fähigkeit, mehrere Aufgaben/Organbereiche parallel zu bearbeiten (und dabei möglichst 60-80% aabschließend), braucht es eine jahrelange ärztliche Ausbildung.
Die Versorgung und Therapieentscheidung von Multimorbiden (also einem Bereich unterschiedlicher und z.T: divergierender Leitlinien) erfordert zahlreiche Entscheidungen in kurzer Zeit und erfordert ebenfalls lange Ausbildungszeiten.
Zum Erlernen einzelner begrenzter Aufgabenbereiche wie dem Durchführen von Röntgenaufnahmen, Gastroskopien, EKG, Rekto- Koloskopien, Herzkatheter etc. braucht man eigentlich kein Medizinstudium!

Insofern sollte mehr darauf geachtet werden, gebietsärztliche Routine-Tätigkeiten zu delegieren. Und die freiwerdenden Nachwuchs-Gebietsärzte zu dringend benötigten Allgemeinmedizinern weiterzubilden.

Weil eine VeraH eben nicht alleine arbeiten kann und darf, sondern nur im Team.

R. Sebastian Werbke 19.07.201307:24 Uhr

Schrecklicher Begriffs-Wirrwarr

Leider werden in diesem Artikel m.E. vielerlei Aspekte schlimm durcheinander gewirbelt. Tatsächlich gab es ja Gemeindeschwestern nicht nur in der DDR, sondern auch in der BRD. VERAH steht bekanntlich für die Versorgungsassistentin des Hausarztes und ist eine Weiterqualifikation für MFA, vulgo: Arzthelferinnen. Wohingegen die Gemeindeschwester immer eine Krankenschwester war, ein Beruf, der heute laut Gesetz als Gesundheits- und Krankenschwester bezeichnet wird. Soetwas wie eine "Verah-Schwester" ist insofern ein Ding der Unmöglichkeit, schon gar, wenn man noch die historische Herkunft des Schwestern-Begriffes berücksichtigen mag.
Und der Satz, dass für chronisch Kranke auch die Schwester reiche, ist dann noch ein hoffentlich nur durch schlechte Schreibe erzeugter Ausdruck der Respektlosigkeit gegenüber beiden Seiten.

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