Blick nach Österreich

Wiener Kraftakt: Großbaustelle Gesundheitsreform

Österreich will via Gesundheitsreform die Spitäler entlasten. Die Probleme liegen ähnlich wie in Deutschland.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
 Johannes Rauch

Österreichs Bundesgesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) will mit dem raschen Ausbau von Primärversorgungseinheiten die Klinikärzte in den Notfallambulanzen entlasten.

© MAX SLOVENCIK / APA / picturedesk.com / picture alliance (Archivbild)

Bund, Länder und Sozialversicherung in Österreich haben sich Anfang Juni auf die konkrete Umsetzung der Gesundheitsreform geeinigt – insgesamt 14 Milliarden Euro an gemeinsam aufgebrachten Mitteln stehen aus dem Finanzausgleich bis 2028 für Reformen in Gesundheit und Pflege zur Verfügung, wie das Bundesgesundheitsministerium in Wien mitteilte.

Ein Ziel ist unter anderem, die Klinikärztinnen und -ärzte zu entlasten und somit die Arbeit in diesem Sektor attraktiver zu machen – absehbar noch auf längere Zeit wird Österreichs stationäre Versorgungslandschaft auf Ärzte aus dem Ausland angewiesen sein. Der Großteil davon kommt bereits aus Deutschland.

Bund, Länder und Sozialversicherung entscheiden nach Ministeriumsangaben gemeinsam über den Einsatz der Reformmittel. Sie beschließen in der Bundes-Zielsteuerungskommission, einem Organ der Bundesgesundheitsagentur, ein Jahresarbeitsprogramm. Dort erfolge auch das Monitoring über den Einsatz der Mittel auf Basis eines Umsetzungsberichts der Gesundheit Österreich GmbH. Ausgewählte Bausteine der österreichischen Gesundheitsreform sind:

Einrichtung von Spezialambulanzen: Das Spital sei, so das Ministerium, das teuerste System in der Gesundheitsversorgung der Alpenrepublik. Ärzte verfügten dort über eine voll ausgestattete Infrastruktur, die auf schwere Erkrankungen ausgerichtet sei. Derzeit suchten allerdings oft Patienten mit leichteren Beschwerden die Spitalsambulanzen auf – dies verursache hohe Kosten für die Bundesländer, die für den Betrieb der Krankenhäuser verantwortlich sind.

Patienten sollen künftig, so sehen es die Reformer vor, nach dem Motto „digital vor ambulant vor stationär“ behandelt werden. In den Spitälern sollen zu diesem Zweck Fachambulanzen, Tageskliniken und vorgelagerte Einrichtungen neu etabliert oder erweitert werden, damit weniger Patienten stationär aufgenommen werden müssen.

Für den Aufbau neuer Strukturen erhielten die Bundesländer vom Bund jährlich rund 600 Millionen Euro zusätzlich, heißt es. Langfristig sollen die Spezialambulanzen auch dazu beitragen, die kostenintensiven stationären Aufenthalte im Spital zu verringern.

Ausbau der Primärversorgung: Wie Bundesgesundheitsminister Johannes Rauch verdeutlicht, gebe es derzeit österreichweit 65 Primärversorgungseinheiten (PVE) – oft in Form eines Primärversorgungszentrums (PVZ). Bei den PVE handelt es sich um eine relativ neue Organisationsform für eine umfassende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, die von Bundes- wie auch Landesseite gefördert wird.

In einer PVE arbeiten demnach mehrere Allgemeinmediziner, aber auch Kinderärzte mit Vertretern verschiedener Gesundheits- und Sozialberufe eng im Team zusammen. Wie die Plattform Primärversorgung auf ihrer Website informiert, zeigten Evaluierungsergebnisse aus Wien, Niederösterreich und der Steiermark, dass PVE zu weniger fachärztlichen Kontakten, Ambulanzbesuchen und stationären Aufenthalten führten.

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Nach Rauchs Angaben soll die Zahl der PVE bis zum Jahr 2026 auf dann 120 anwachsen. Bis zu diesem Zeitpunkt fließen laut Ministerium auch zusätzlich zu den einheimischen Reformmitteln 100 Millionen Euro aus dem Topf des EU-Aufbauplans in den Ausbau der Primärversorgung – unter anderem zum Aufbau 45 neuer PVE.

Zum breiten Maßnahmenbündel, mit dem die Primärversorgung gestärkt und attraktiver gemacht werden soll, zählt auch die oben genannte, neu aufgesetzte Plattform. Diese solle einen kontinuierlichen, strukturierten und österreichweiten Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer sicherstellen.

Österreichs Ärztekammer (ÖÄK) warnt in puncto PVE vor überbordendem Optimismus. ÖÄK-Vize Harald Mayer merkt dazu an: „Dieser Ausbau der PVE-Landschaft in Österreich ist nur dann sinnvoll für die dringend nötige Entlastung der Spitäler, wenn sie mit einer 24/7-Versorgung einhergeht.

Nur dann – und gekoppelt mit einer verbindlichen Lenkung der Patientenströme – können wir verhindern, dass auch künftig zu jeder Uhrzeit, und insbesondere nachts und an den Wochenenden, unsere Spitalsambulanzen von Patienten aufgesucht werden, die auch beim niedergelassenen Arzt optimal behandelt werden könnten.“

Schaffung neuer Kassenstellen: Im Niedergelassenen-Bereich kämpft Österreichs Gesundheitssystem mit der Tatsache, dass sich seit Jahren immer weniger Ärzte entscheiden, eine Kassenstelle zu besetzen – laut ÖÄK waren zum Ende des vierten Quartals 2023 österreichweit 166 allgemein- und 101,5 fachärztliche Kassenstellen unbesetzt.

Das führe zu längeren Wartezeiten bei den verbleibenden Kassenärzten und zur stets steigenden Inanspruchnahme kostenpflichtiger Leistungen bei Wahl- oder Privatärzten. Zudem wichen Patienten besonders am Abend und am Wochenende in die Spitalsambulanzen aus.

Im Zuge der Gesundheitsreform sollen nun laut Reformplan 300 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr zur Verfügung gestellt werden, um mehrere hundert zusätzliche Kassenstellen, vor allem in der Primärversorgung, zu schaffen.

Damit diese Kassenstellen für Ärzte an Attraktivität gewönnen, sei laut Gesundheitsministerium ein „moderner, bundesweit einheitlicher Gesamtvertrag zwischen Sozialversicherung und Ärztekammer geplant“.

Stärkung der Digitalisierung: Mit insgesamt 51 Millionen Euro je Jahr sollen die weiteren Anstrengungen zur Digitalisierung der Versorgung gefördert werden. Dabei laute das Ziel, die Vorteile der Digitalisierung möglichst rasch bei Patienten spürbar zu machen. Zu den Maßnahmen zählen Auf- und Ausbau telemedizinischer Angebote, Ausbau der Gesundheitsberatung 1450 – ähnlich aufgebaut wie in Deutschland die 116 117 – mit Videokonsultationen und Entwicklung einer App.

Nicht nur, um die Rolle der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) zu stärken, sondern auch, um Digital-Health-Projekte konsequenter zu monitoren, werde die ELGA GmbH zur zentralen Einrichtung für die gemeinsamen E-Health-Projekte von Bund, Ländern und Sozialversicherung in Österreich ausgebaut.

Last, but not least solle die Reform die Einführung Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) als Apps auf Rezept vorbereiten.

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