Kommentar zum Saarländischen Corona-Impfstart
Windhundprinzip: Senioren auf der Jagd nach Dosen
Wer über 80 ist, aber nicht internetaffin, ist bei der Terminvergabe für die Impfung gegen COVID-19 schnell abgehängt.
Veröffentlicht:Windhunde gehören zu den schnellsten Tierarten. Die schlanken, langbeinigen Läufer jagen ihre Beute vornehmlich auf Sicht, heißt es in einschlägigen Lexika. Welch ein Pech, dass nicht alle alten Menschen so leichtfüßig sind und schnell reagieren können – auch wenn viele Politiker ihnen beim Rennen um die knappen Corona-Impfdosen genau das zutrauen.
Wer als erster anruft, bekommt den ersten Termin – das nennt sich dann „gleiche Chancen für alle“. Wie gut, wenn Senioren Kinder oder Enkel haben, die internet-affin sind und ihren betagten Mamas, Papas, Omas und Omas die ersehnten QR-Codes beschaffen. Wer Single blieb und auch sonst nicht so gesellig ist, hat ja auch weniger Kontakte und muss also nicht in gleichem Maße geschützt werden – logisch, oder?
Im Reservierungsgestrüpp verheddert
Im Ernst: auch wenn ich nicht auf Anhieb eine bessere Lösung aus dem Hut zaubern kann, die in den meisten Bundesländern praktizierte Vergabe von Impfterminen nach Schnelligkeit der Anmeldung ist für einen hochtechnisierten Staat irgendwie grotesk. Selbst die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsbundestagsfraktion, Karin Maag, hat sich beim Versuch, für ihre 85-jährige Mutter einen Termin zu ergattern, erst einmal in dem Reservierungsgestrüpp verheddert. Wenn dazu noch wie im Saarland der Verzicht auf persönliche Anschreiben mit Datenschutz begründet wird, verstärkt das den Eindruck, dass mehr im Argen liegt als nur praktische Probleme.
„Was fehlt, ist der Impfstoff. Hier muss dringend nachgeordert werden.“ Richtig erkannt und gut gebrüllt, möchte man da dem Chef des saarländischen Krisenstabs applaudieren. Wie es geht, kann man derzeit in Israel studieren. Dort gibt es – vom gleichen Hersteller – so viel Impfstoff, dass man die Windhundjagd erst gar nicht eröffnen muss. Dort war man auch so schneller. Wir müssen dagegen, so steht zu befürchten, noch längere Zeit einer Lieblingsbeschäftigung unserer Politik folgen und „auf Sicht fahren“. Die Alten können ja derweil ihre Zeit damit verbringen, nach Dosen zu jagen.
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