Gutachten für die AOK
Wirtschaftsforscher sehen wachsenden Reformdruck in der Pflegeversicherung
Nächste Woche starten im Bundestag die Haushaltsberatungen. Der AOK-Bundesverband platziert vorab eine Prognos-Analyse zur Finanzlage in der sozialen Pflegeversicherung. Die Botschaft an die Haushälter fällt eindeutig aus.
Veröffentlicht:Berlin. Vor Beginn der Beratungen zum Haushalt 2025 im Bundestag ab nächster Woche bringen sich Vertreter der Krankenkassen in Stellung. Der AOK-Bundesverband wartete am Donnerstag mit einem von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten zur Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung (SPV) auf. Die Studie liegt der Ärzte Zeitung vor.
Kernbotschaft: Die SPV gehört dringend reformiert, vor allem aber „zeitnah“ mit Steuermitteln ausgestattet. Passiere das nicht, drohten Finanzbedarfe zu explodieren und Beitragssätze durch die Decke zu gehen.
Das Gutachten ist vom Basler Unternehmen Prognos AG erstellt worden. Die Berechnungen der Wirtschaftsforscher ergeben, dass bei moderater Entwicklung der Pflegefallzahlen sowie bei Fortschreibung des Status Quo bei Einnahmen und Ausgaben mit einem Anstieg des Finanzbedarfs in der SPV von derzeit 59 Milliarden Euro auf 93 Milliarden Euro im Jahr 2030 auszugehen ist. Bis 2060 könnte sich ein Bedarf von insgesamt 226 Milliarden Euro auftürmen.
Gigantischer Finanzbedarf
Für die Beitragszahler sind das keine guten Nachrichten: Der Beitragssatz zur Pflege würde bis zum Jahr 2030 von heute 3,4 Prozent auf 4,1 Prozent steigen – zwischen 2047 und 2056 auf 4,55 Prozent klettern, um bis 2060 auf 4,35 Prozent abzusinken. Das Gutachten führe aber auch vor Augen, dass eine Ausweitung der Steuerfinanzierung zu einer spürbaren Entlastung beim Beitragssatz führen könne, so die AOK.
Zur Erinnerung: Die Ampel hat den Steuerzuschuss in der Pflege bis 2027 stillgelegt. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat für den Herbst Reformvorschläge angekündigt. Dass er die Kassen mit frischen Steuermitteln beglückt, gilt als nahezu ausgeschlossen. Im Etat des BMG für 2025 sind keine zusätzlichen Bundesmittel vorgesehen.
AOK-Vorstandschefin Dr. Carola Reimann pocht dennoch auf Geld aus dem Steuersäckel. „Die Regierung muss noch in dieser Legislaturperiode und damit auch bereits in der kommenden Haushaltswoche ins Handeln kommen und Bundesmittel für die SPV einplanen.“ Ansonsten drohten Beitragssatzsprünge – verbunden „mit negativen Folgen für das Vertrauen in die gesamte soziale Pflegeversicherung und ihre Funktionsfähigkeit“.
Vertrauen könnte schwinden
Offenbar hoffen die Kassenvertreter, dass die SPD nach dem desaströsen Abschneiden bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen bei sozialpolitischen Themen wieder stärker in die Offensive geht. In der Vergangenheit hatte es von SPD-Seite Forderungen nach Steuergeld für die Pflege gegeben. An diesem Donnerstag kommt die SPD-Bundestagsfraktion zur zweitägigen Klausur in Nauen (Brandenburg) zusammen.
AOK-Chefin Reimann verweist auf drei Reformbausteine: So ergäben die Prognos-Berechnungen für das mittlere Szenario, dass der Beitragssatz zur Pflege bis 2060 um im Schnitt minus 0,50 Prozentpunkte entlastet werden könne, wenn Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige aus Steuermitteln beglichen würden, die Bürgergeldpauschale erhöht und Steuergeld für den Pflegevorsorgefonds eingeführt werde. Letzterer wird bisher über Beitragsmittel aufgebaut.
Versicherungsfremde Leistungen im Fokus
Im Jahr 2030 könne der Beitragssatz bei 3,7 Prozent liegen – anstatt der prognostizierten 4,1 Prozent ohne die entsprechenden Reformen. 2060 wären es 3,8 Prozent statt 4,35 Prozent. Reimann betonte: „Die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen ist Aufgabe des Staates.“ Klar sei aber auch, dass auch Strukturreformen nötig seien. Die Ortskrankenkassen hätten dazu Vorschläge auf den Tisch gelegt.
Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel darauf verständigt, dass versicherungsfremde Leistungen in der Pflege wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige und die pandemiebedingten Zusatzkosten aus Steuermitteln finanziert werden sollen. (hom)