Transplantationen

Zu viele scharfe Skalpelle

Die Dauerkrise um die Zukunft der Transplantationsmedizin in Deutschland findet kein Ende. Kann die Einrichtung eines zentralen Transplantations-Instituts Probleme lösen, die heute noch unlösbar erscheinen?

Von Annette Tuffs Veröffentlicht:
Vorbereitung einer Nierentransplantation: .Auf der Warteliste in Deutschland stehen mehr als 7900 Patienten.

Vorbereitung einer Nierentransplantation: .Auf der Warteliste in Deutschland stehen mehr als 7900 Patienten.

© Kasper / dpa

FREIBURG. "Nicht nur Chirurgen, auch Journalisten haben scharfe Skalpelle." Und sie müssen sie anwenden, wenn es um die Aufklärung von Missständen geht, die in Fachkreisen längst bekannt sind und unter den Teppich gekehrt werden sollen.

So Christina Berndt, Redakteurin der "Süddeutschen Zeitung", kürztlich beim Symposium "Transplantation im Zwielicht" in Freiburg.

Mit ihren Enthüllungen im Sommer 2012 hat sie die Krise der Transplantationsmedizin in Deutschland eingeleitet. Bis heute hat diese - trotz Gesetzesverschärfung, stärkeren Kontrollen, Einführung von Mehraugen-Prinzipien und einer millionenschweren Informationskampagne - kein Ende gefunden, was auch der anhaltende Einbruch der Organspende in Deutschland zeigt.

Ein Ende dürfte die Krise erst finden, wenn die Diskussion um grundlegende Probleme ausgetragen ist. Kritik am bestehenden System wurde beim Freiburger Symposium von Vertretern der Transplantationsmedizin, Klinikmanagern, Juristen und Journalisten geübt.

Neuorganisation der Transplantationsmedizin gefordert

Organspendekrise - was tun?

Millionenschwere Informationskampagne für die Bevölkerung, aber der Schlüssel liegt in den Krankenhäusern: Der Transplantationsskandal hat einen massiven Einbruch der Organspende in Deutschland zur Folge. Waren es 2010 noch 1296 Organspender in Deutschland, so ist ihre Zahl 2013 um 30 Prozent auf 876 gesunken. Auch für 2014 ist kein Aufschwung in Sicht. Viele der über 11 000 für eine Transplantation registrierten Patienten warten vergeblich auf ein Organ. Im vergangenen Jahr konnten insgesamt nur 2 501 Transplantationen mit Organen von gestorbenen Menschen vorgenommen werden, so die Deutsche Stiftung Organtransplantation in Frankfurt.

An Anstrengungen zur Aufklärung der Bevölkerung dürfte es nicht liegen. 2012 hatte der Bundestag, wenige Monate vor Bekanntwerden der Mißstände in der Transplantationsmedizin, die "Entscheidungslösung" auf den Weg gebracht. Wesentlicher Bestandteil ist eine regelmäßige Infokampagne der Krankenkassen, die ihren Mitgliedern damit eine Entscheidungsgrundlage für oder gegen eine Organspende ermöglichen.

Jährlich werden rund 60 Millionen Euro dafür aufgewendet, berichtete beim Freiburger Symposium "Transplantation im Zwielicht", Ulrich Kunzendorf, Nierenspezialist am Uniklinikum Kiel. Die Kampagne dürfte durchaus ihre Wirkung haben, denn die Ablehnungen einer Organspende durch Angehörige haben nicht gravierend zugenommen. Der Einbruch der Organspende liege vielmehr am Rückgang der Meldungen von Organspendern in Kliniken um etwa ein Viertel. Vor allem das Vertrauen und die Motivation in den Krankenhäusern müssten gestärkt werden, so Kunzendorf.

Auch hier setzt die Gesetzesnovelle aus dem Jahr 2012 an: Jede Klinik, die Organspender melden kann, muss einen Transplantationsbeauftragten benennen, eigentlich einen Organspende-Beauftragten, da er potenzielle Spender identifizieren und melden soll. Doch das funktioniert aus finanziellen Gründen nur zögerlich: Das BMG teilte auf Anfrage mit, dass für 2015 und 2016 18 Millionen Euro z für die "Entnahmekrankenhäuser" zur Verfügung gestellt würden und ab 2017 eine dauerhafte Finanzierung gesichert sei.  Annette Tuffs

Unabhängig davon kommen weitere Experten in dem Buch "Organversagen" (siehe unten) zu Wort. Sie alle fordern eine Novellierung des Transplantationsgesetzes und eine Neuorganisation der Transplantationsmedizin.

Kernpunkte ihrer Kritik sind die mangelhafte juristische und ethische Legitimierung der Institutionen und der Organvergabe, die Selbstkontrolle der Transplantationsmedizin und die aus ihrer Sicht unzureichende Professionalität der ärztlichen Selbstverwaltung.

Als konkrete Lösung haben Rüdiger Strehl, früher Kaufmännischer Direktor des Uniklinikums Tübingen, und der Chirurg Rüdiger Siewert 2013 ein zentrales halbstaatliches Institut vorgeschlagen, das den Namen des Begründers der deutschen Transplantationsmedizin, Rudolf Pichlmayr, tragen soll und die Transplantation in Deutschland regulieren und überwachen soll.

Ihr Appell, so Strehl, sei bislang auf "eisernes Schweigen" bei Politik und Selbstverwaltung gestoßen. Strehl ist Aufsichtsratsvorsitzender des Uniklinikums Göttingen, in dem der Transplantationsskandal seinen Anfang genommen hat; Siewert steht dem Uniklinikum Freiburg vor, wo derzeit Nieren, Herzen und Lungen transplantiert werden.

Lebertransplantationen werden in Baden-Württemberg nur in Heidelberg und Tübingen vorgenommen. Freiburg strebt eine Verbundlösung mit diesen Zentren mit Aufnahme eigener Aktivitäten bei der Lebertransplantation an, die vom Sozialministerium genehmigt werden muss.

Was bringt ein zentrales Institut?

Ein zentrales Transplantations-Institut, das die ärztliche Selbstverwaltung ablöst? Das Bundesministerium für Gesundheit, das bei dem Freiburger Symposium nicht vertreten war, lehnt diesen Vorschlag rundweg ab, wie auf Nachfrage der "Ärzte Zeitung" zu erfahren war.

Die Selbstverwaltung der Ärzteschaft nehme die Aufgaben der Qualitätssicherung in der Transplantationsmedizin "mit besonderer Sorgfalt und großem Verantwortungsbewusstsein wahr". Dies gelte insbesondere für die Richtlinien der Bundesärztekammer.

Dieses Vertrauen in die Selbstverwaltung wurde von den Experten in Freiburg nicht geteilt. Die Aufdeckung des Skandals habe die Schwachstellen eines Systems gezeigt, das schon immer anfällig gewesen sei und nach schweren Verfehlungen bislang nur notdürftig repariert worden sei.

Am Göttinger Uniklinikum hat man 2012 erschreckt, aber entschlossen auf die Enthüllungen reagiert. Dass dort und andernorts Patientendaten manipuliert, sprich nicht stattgefundene Dialysen gemeldet wurden, um die Dringlichkeit einer Transplantation vorzutäuschen und mehr Lebern transplantieren zu können, war in Fachkreisen der Transplantationsmedizin längst gemunkelt worden.

Doch sollte es Jahre dauern, bis die Göttinger Klinikumsführung davon erfuhr, wie Martin Siess, Medizinischer Vorstand des Uniklinikums Göttingen, in Freiburg berichtete, und mit der Entlassung der Verantwortlichen reagierte. Eine Untersuchung der Bundesärztekammer-Kommission der Göttinger Vorwürfe hatte zuvor wenig Wirkung gezeigt.

Anonymer Insider packte aus

Erst als ein anonymer Insider auch die Presse informierte, kam die Lawine ins Rollen. Der folgende Prozess gegen den Chirurgen, der sich mangels gesetzlicher Bestimmungen schwierig gestaltet, wird möglicherweise 2015 beendet werden.

Dann dürfte die Anklage gegen den beteiligten Göttinger Gastroenterologen folgen. Weitere Zentren wie Leipzig und München sahen sich ebenfalls mit Unregelmäßigkeiten konfrontiert und zogen deshalb personelle Konsequenzen. Der folgende Prüfbericht der Bundesärztekammer deckte zwar nur wenige weitere Manipulationen, aber Regelverstöße an mehreren Zentren auf.

Warum ein zentrales Transplantations-Institut gründen, wo die Bundesärztekammer (BÄK) nun mehr Kontrolle ausübt und die Regeln der Organverteilung überarbeitet?

Rüdiger Strehl reicht das nicht aus. Er spricht der BÄK das Organisationsmonopol in der Transplantationsmedizin ab. Es fehle an einem professionellen Apparat mit personeller Konstanz für Steuerung und Kontrolle der Richtlinien.

Die Ständige Kommission Organtransplantation der BÄK sei mit rund 40 Mitgliedern, acht Arbeitsgruppen sowie der Prüf- und Kontrollkommission nur eingeschränkt handlungsfähig. Die Kontrolle würde durch die Personalunion einiger Mitglieder ("Platzhirschen") in anderen Transplantations-Organisationen wie der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) und Eurotransplant (ET) erschwert.

Gesetz mit Geburtsfehlern

Juristische Schützenhilfe erhielt Strehl von Andreas Engler, Universität Köln, der mehrere Geburtsfehler des Transplantationsgesetzes von 1997 beklagte, etwa die mangelnde rechtliche Greifbarkeit aufgrund der Organisationsform der beiden Stiftungen DSO und ET und der BÄK.

Gegen wen kann ein Patient klagen, wenn er möglicherweise zu Unrecht nicht in die Warteliste aufgenommen wird? Es fehle an Rechtssicherheit für den Patientenschutz; hier seien rechtliche Regelungen nötig, nicht allein Richtlinien der BÄK.

Eine demokratische Legitimierung der Regeln für die Aufnahme in die Warteliste und der Organverteilung könne nur der Gesetzgeber schaffen. Zuvor sollten die Regeln ausreichend medizinisch wissenschaftlich begründet, aber auch ethisch geprüft und öffentlich diskutiert werden.

Das Bundesministerium für Gesundheit weist auch diese Kritikpunkte mit Hinweis auf die gute Arbeit der BÄK zurück. Die Bundesärztekammer selbst wollte sich zur Anfrage der "Ärzte Zeitung" nicht äußern.

Wie geht es nun weiter? Im Februar 2015 werden die Opponenten im Streit um das deutsche Transplantationssystem bei einem Symposium der Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Berlin unter Federführung des zuständigen Akademie-Senators Rüdiger Siewert aufeinander treffen.

Folgen wird dann eine Stellungnahme der Akademie, die von der Politik aufgegriffen werden könnte. Ist ein Ende der Transplantationskrise und ein Anfang für die rund 12.000 Patienten auf der Warteliste in Sicht?

Organversagen in der "Altherrensauna"

Experten üben harte Kritik am Transplantationsgesetz und den Strukturen der Transplantationsmedizin. Ein neues Buch will Licht ins Dickicht bringen.

Der Transplantationsskandal ist nun schon zwei Jahre her, seine Aufarbeitung keineswegs abgeschlossen; eine erste Bilanz ist erlaubt. Die Bundesregierung und die von ihr beauftragten Einrichtungen Bundesärztekammer und Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) setzen auf mehr Kontrollen und ein schärferes Gesetz sowie eine millionenschwere Aufklärungskampagne. Sie soll Vertrauen schaffen und den katastrophalen Organmangel beheben - bislang allerdings ohne Erfolg, wie der Einbruch der Organspende zeigt.

Gleichzeitig will die Kritik der Journalisten, die den Skandal kritisch begleiten, nicht verstummen, denn sie halten die Maßnahmen für vordergründig und halbherzig.

Dabei berufen sie sich auf eine kleine, aber entschlossene Gruppe von Ärzten, Gesundheits-Experten, Juristen und Politikern, die bereit sind, ihr Unbehagen über die raschen Reparaturarbeiten am Transplantationssystem und das Ausbleiben einer Grundsanierung publik zu machen.

Hirntod und Evidenzbasierung

In dem Buch "Organversagen", herausgegeben von der taz-Redakteurin Heike Haarhoff, präsentierten die Kritiker die breite Themenpalette der Transplantationsmedizin - vom Hirntod über die mangelnde Evidenzbasierung und fehlende Qualitätssicherung, die ungerechte Verteilung der Spenderorgane bis hin zu den Defiziten des Transplantationsgesetzes.

Die Experten sind keineswegs fundamentalistische Gegner einer modernen Transplantationsmedizin, haben sie doch meist selbst in dem System gearbeitet und gelitten.

Sie kritisieren das Versagen von "Organen" eines Systems, das an den Geburtsfehlern des Transplantationsgesetzes aus dem Jahr 1997 leidet. Der Skandal hat diese Fehler gefördert: Nicht allein die kriminellen oder fahrlässigen Einzeltäter tragen Verantwortung für die Manipulationen, sondern auch der Gesetzgeber und die von ihm beauftragten Institutionen, insbesondere die Bundesärztekammer (BÄK), die keine klaren und akzeptablen Regeln für die Organverteilung geschaffen und ihre Kontrollfunktion vernachlässigt haben, so der Münsteraner Rechtswissenschaftler Thomas Guttmann.

Keine Expertenkompromisse

Der BÄK, deren Kommissionen Regeln erstellen und sie überwachen, fehle zudem die demokratische Legitimation. Verteilungsregeln für Organe sollten nicht Expertenkompromissen folgen, die einen "Stand der medizinischen Wissenschaft" zu definieren versuchen, sondern sich vielmehr an den Vorgaben des Gesetzgebers orientieren. Dieser bezieht neben Ärzten und Wissenschaftlern auch den Nationalen Ethikrat und die Öffentlichkeit in die Diskussion um eine gerechte, ethisch vertretbare Organverteilung mit ein.

"Altherrensauna" hat die Herausgeberin Heike Haarhoff ihr eigenes Kapitel überschrieben. Sie weist auf Ämterhäufungen und Zuständigkeitsverschränkungen per Personalunion in einer Transplantationsmedizin hin, die ursprünglich auf Gewaltenteilung zwischen Organspende, Organvermittlung, deren Regelwerk und Kontrolle angelegt war, und sich nun weitgehend selbst kontrolliert.

Das Fazit: Das Organ-System hat versagt. Der Gesetzgeber ist gefordert, Grundsätzliches zu überdenken und zu verändern. Ob das lesenswerte Buch, das ruhig etwas kompakter hätte ausfallen können, einen Gesinnungswandel bei Gesundheitsministerium und Bundesärztekammer bewirken wird, erscheint allerdings fraglich angesichts ihrer bislang kategorischen Ablehnung einer Neuordnung der Transplantationsmedizin. Genug Denkanstöße und Diskussionsstoff gäbe es allemal. Annette Tuffs

Heike Haarhoff, Hrsg.: Organversagen - Die Krise der Transplantationsmedizin in Deutschland, 316 Seiten, Referenzverlag Frankfurt, 2014

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