Polinnen

Zur Abtreibung nach Deutschland

Viele Polinnen reisen nach Deutschland, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen, weil das in ihrem Heimatland oft unmöglich ist. Das polnische Recht ist sehr strikt und offenbar versuchen Ärzte immer wieder, Abtreibungen zu verhindern.

Veröffentlicht:

BERLIN. Immer mehr polnische Frauen kommen nach Deutschland, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen. In ihrem Heimatland ist das oft schier unmöglich. Das berichtet der polnischstämmige Gynäkologe Dr. Janusz Rudzinski vom Krankenhaus Prenzlau.

Er gibt an, dass er im vergangenen Jahr bei rund 1000 polnischen Frauen Abbrüche vorgenommen habe. 2009 waren es noch insgesamt rund 300, in diesem Jahr bisher schon 220. "Die Tendenz ist steigend", sagt Rudzinski.

Seinen Angaben zufolge kommen viele Frauen, nachdem sie im Heimatland bereits versucht haben, mit Medikamenten eine Fehlgeburt herbeizuführen. Oft war der Versuch sogar erfolgreich, doch selbst die Ausschabung lassen Rudzinski zufolge viele Polinnen lieber auf eigene Kosten im Ausland vornehmen als im Heimatland. Für eine Abtreibung berechnet er rund 450 Euro.

Eine baldige Lösung des Problems in Polen hält Rudzinski für unwahrscheinlich: "Ich glaube, da gibt es im Moment keine Chance, etwas durchzusetzen, denn die katholische Kirche ist sehr stark in Polen", sagte er der "Ärzte Zeitung".

Am polnischen Abtreibungsrecht hat sich seit 1993 nichts geändert. Erst vor einem halben Jahr hat eine Initiative von Abtreibungsgegnern eine Verschärfung des ohnehin restriktiven Abtreibungsrechts in Polen gefordert. Sie ist schließlich im polnischen Parlament gescheitert.

Ein Jahr zuvor war auch der Versuch misslungen, die Voraussetzungen für einen legalen Schwangerschaftsabbruch weiter zu fassen.

Offizielle Zahl von Abtreibungen in Polen ist sehr gering

In Polen ist eine Abtreibung nur in drei Fällen erlaubt: wenn die Gesundheit der Mutter bedroht ist, wenn beim Fötus Anzeichen einer lebensbedrohlichen oder unheilbaren Krankheit oder Behinderung festgestellt werden oder wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist.

Die soziale Indikation ist dort unbekannt. Die Zahl der offiziellen Abtreibungen ist entsprechend gering. Sie wird mit 669 im Jahr 2011 angegeben.

Doch selbst wenn nach polnischem Recht eine Abtreibung erlaubt ist, werden Frauen anscheinend daran gehindert, den Eingriff im Inland vornehmen zu lassen. Das prangert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International seit Jahren immer wieder an.

2012 hat der UN-Menschenrechtsrat das Land aufgefordert, den Zugang zu Dienstleistungen im Bereich der reproduktiven Gesundheit, einschließlich des legalen Schwangerschaftsabbruchs, zu verbessern.

Und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dem Land für seinen Umgang mit abtreibungswilligen Frauen bereits drei Rügen erteilt. Zuletzt sah er es im Jahr 2012 als erwiesen an, dass ein 14-jähriges Mädchen daran gehindert wurde, den Eingriff rechtzeitig vornehmen zu lassen, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen für einen legalen Schwangerschaftsabbruch erfüllt waren.

Das Personal in drei Krankenhäusern, Polizeibeamte und Privatpersonen haben den Angaben zufolge verhindert, dass das Mädchen die ihr zustehende Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen konnte.

Schikaniert, gedemütigt, eingeschüchtert

Stattdessen wurde die 14-Jährige den Angaben nach schikaniert, gedemütigt, eingeschüchtert und in einer Jugendeinrichtung inhaftiert. Nach Ansicht des Gerichts verstieß diese Behandlung gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und verletzte das Recht auf Privatleben und das Recht auf Freiheit.

Dieses Klima der Repression gegenüber Abtreibungsbefürwortern reicht anscheinend sogar über die polnischen Grenzen hinaus. Polnische Ärzte in Deutschland äußern sich kaum zu dem Thema. Rudzinski ist bislang der einzige, der offen darüber spricht. Das betrachtet er als Teil des Kampfes für die Frauenrechte in Polen.

Rudzinski ist sicher, dass er längst nicht der einzige polnische Arzt in Deutschland ist, der Abtreibungen bei Polinnen vornimmt. "Viele polnischstämmige Ärzte machen das, aber die meisten wollen darüber nicht sprechen. Sie haben Angst vor dem polnischen Bischof", sagte Rudzinski der "Ärzte Zeitung".

Das gilt vermutlich auch für die Nachbarkrankenhäuser in den grenznahen Städten Schwedt und Pasewalk, für die Kliniken in Frankfurt/Oder und Eisenhüttenstadt. Einige wollten sich nicht äußern, andere waren für ein Statement kurzfristig nicht erreichbar. (ami)

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Kommentare
Lutz Barth 18.03.201408:16 Uhr

Der „Abtreibungstourismus“ indiziert einen „Sterbehilfetourismus“

Mit Verlaub: Auch hierzulande schreiten die „Lebensschützerfraktionen“ unbeirrt auf ihrer Mission fort und dieser moraltheologische Virus von der „Heiligkeit des Lebens“ hat bereits einige Ärzte infiziert, die sich gar dazu hinreißen lassen, sich als „hippokratische Ärzte“ von den so manchen Kolleginnen und Kollegen zu distanzieren, mehr noch, sie können solche „Ärzte nicht als Kollegen“ betrachten.

Im „Geist der christlichen Weltsicht und Ethik“ üben die „Ärzte für das Leben“ ihren Beruf aus da nimmt es nicht wunder, wenn irgendwann einmal sich einer dieser Lebensschützerfraktionen an die unterirdische Botschaft der Bundekanzlerin im Zuge der Integrationsdebatte erinnert:

"Wir fühlen uns dem christlichen Menschenbild verbunden, das ist das, was uns ausmacht." Wer das nicht akzeptiere, "der ist bei uns fehl am Platz". Gleichzeitig sollten die Deutschen über ihre Werte und die zunehmende Entfremdung von Religion sprechen, um sich über ihr Land und ihre Gesellschaft zu vergewissern.“

Von dieser Warte aus betrachtet mag es plausibel erscheinen, wenn polnische Staatsbürgerinnen sich genötigt fühlen, ins benachbarte Ausland zu reisen, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen.
Indes müssen wir aber auch hierzulande eine Tendenz beobachten, dass neben den strengen katholischen Zentraldogmen die Selbstverwaltungskörperschaften der Ärzteschaft langsam aber stetig dazu übergehen, einen Sterbehilfetourismus zu befördern.

Während einstweilen der parlamentarische Gesetzgeber noch nach einer „Sterbehilferegelung“ sucht, kommt der BÄK das unheilvolle Verdienst zu, ihre Kollegenschaft bereits in die ethische „Geiselhaft“ genommen zu haben, wonach mit dem Verbot der ärztlichen Suizidassistenz eine arztethische Werthaltung verordnet wurde, aus der es scheinbar kein Entrinnen mehr gibt.

Auch die BÄK befindet sich auf einer Mission und da muss es doch mehr als nachdenklich stimmen, wenn einige Ärztekammern offensichtlich nicht bereit waren, diese strikte Verbotsregelung im Berufsrecht im Verhältnis 1:1 zu übernehmen, sicherlich wissend darum, dass auch Ärzten das Grundrecht der Gewissensfreiheit zusteht, so wie es im Übrigen auch bei der Mitwirkung bei einem Schwangerschaftsabbruch (§ 14 Ä-MBO) vorgesehen ist.

Neben den Kirchen hat hierzulande die BÄK die Aufgabe übernommen, eine „Kultur des Lebens“ abzusichern, auch wenn dabei der Grundrechtsschutz nicht allzu ernst genommen wird.

An gutmeinenden Erfüllungsgehilfen ermangelt es freilich der BÄK nicht und allen voran die DGP weist dann auch rein vorsorglich in ihren jüngst veröffentlichten Reflexionen über die ärztliche Suizidassistenz darauf hin, dass die Landesärztekammern sich dem Verbot anschließen mögen, trägt doch die unterschiedliche berufsrechtliche Rechtslage zur Verunsicherung der Ärzteschaft bei.

Abermals mit Verlaub: Nicht die unterschiedliche Rechtslage trägt zur Verunsicherung bei, sondern allenfalls der vermessene Anspruch, über das ärztliche Berufsrecht die individuelle Gewissensentscheidung der Ärzteschaft beugen zu wollen.

Polen und Deutschland hat insofern eines gemeinsam: die ethische Gleichschaltung unterschiedlicher Gewissensentscheidungen.

Problematisch allerdings dürfte hierzulande der Umstand sein, dass eine ethische „Basta-Politik“ vornehmlich von ranghohen Ärztefunktionären betrieben wird und diese erkennbar, ähnlich wie manche Politiker, davon zerren, dass ihnen ggf. ein Irrationalitätsprivileg eingeräumt wird, welches lediglich dann verlustig zu gehen droht, wenn diese nicht wiedergewählt werden. Bis dahin allerdings können sich so manche Oberethiker in unserem Lande als „ethische und moralische Zuchtmeister“ präsentieren und weiterhin ihre Botschaften verkünden, die so ethisch nun wahrlich nicht sind!

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